Empfehlung der 11. Mitgliederversammlung der HRK am 22.11.2011 in Berlin
Zusammenfassung
Wissenschaft ist ihrem Wesen nach international. Diese Internationalität geht notwendigerweise sowohl mit Multikulturalität als auch mit Multilingualität einher. Vor diesem Hintergrund wird seit einiger Zeit (nicht nur) in Deutschland der zunehmende Gebrauch des Englischen als Lingua franca in wissenschaftlichen Kontexten kritisch diskutiert und unter anderem nach der Zukunft des Deutschen als Wissenschaftssprache gefragt.
Die Hochschulen haben auf die Herausforderung der Internationalisierung mit der verstärkten Verwendung der englischen Sprache in Forschung und Lehre reagiert. Hiermit wurde die Voraussetzung geschaffen, um herausragende nicht-deutschsprachige Spitzenwissenschaftlerinnen und Spitzenwissenschaftler für eine Forschungstätigkeit in Deutschland zu gewinnen. Ebenso konnte die Attraktivität einzelner Studiengänge für ausländische Studierende gesteigert werden.
Im Zuge dieser Entwicklung sind für die Hochschulen neue Problemstellungen entstanden:
- Die in der Forschung immer häufiger anzutreffende zwingende Nutzung des Englischen kann die Arbeitseffektivität und -effizienz von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einschränken. Gleichzeitig führt die unzureichende Berücksichtigung von nicht-englischsprachigen Veröffentlichungen zu unerwünschten Wettbewerbsverzerrungen.
- Im Bereich des Lehrens und Lernens hat sich gezeigt, dass nicht alle internationalen Studierenden die erwarteten sprachlichen Voraussetzungen für ein englischsprachiges Studium mitbringen. Auch verfügen nicht alle Lehrenden zwangsläufig über die erforderlichen Kenntnisse, um auch auf Englisch exzellente Lehre sicher gewährleisten zu können.
- Die personelle und institutionelle Ausstattung der Hochschulen berücksichtigt häufig die im Rahmen der Internationalisierung entstandenen neuen Anforderungen nicht in ausreichendem Maße.
- Die Hinwendung zu ausschließlich englischsprachiger Kommunikation in Forschung, Lehre und Lernen geht zu Lasten anderer Sprachen und gefährdet damit die Sprachenvielfalt. Sie konterkariert die Bemühungen der auswärtigen Kulturpolitik, der deutschen Sprache weltweit mehr Ansehen zu verschaffen, sowie auch die Bestrebungen der Europäischen Union, Mehrsprachigkeit in Europa zu fördern.
- Nicht zuletzt ist es ein wichtiger Aspekt des internationalen Austausches, dass ausländische Studierende und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Kultur und Sprache des Gastlandes kennen lernen.
Vor diesem Hintergrund ist es erforderlich, Mehrsprachigkeit sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene erfolgreich in der Wissenschaft zu verankern. Ziel ist es, in den Hochschulen ein verstärktes Bewusstsein für sprachenpolitische Fragen und damit einen bewussten Einsatz von unterschiedlichen Sprachen im Hochschulalltag zu fördern. Nur eine sinnvolle Gewichtung der nationalen Sprache, d. h. des Deutschen, der "internationalen" Sprache Englisch sowie weiterer Sprachen wird langfristig wirkliche Mehrsprachigkeit fördern.
Obwohl aus deutscher Perspektive geschrieben, verstehen sich die hier vorgelegten Empfehlungen vor diesem Hintergrund als ein Beitrag zur Mehrsprachigkeit in Europa.
Empfehlungen
Um Mehrsprachigkeit zu fördern und langfristig das Deutsche als Wissenschaftssprache zu erhalten, ist ein reflektierter Umgang mit sprachenpolitisch relevanten Entscheidungen erforderlich. Insbesondere sollten die Akteure auf allen Ebenen Gestaltungsräume identifizieren und unter Berücksichtigung des Ziels einer Mehrsprachigkeit in der Hochschule ausformen und nutzen. Die sprachliche ist dabei nur eine Dimension der internationalen Kultur einer Hochschule. Kulturelle Diversität an den Hochschulen erfordert von allen Akteuren eine Bereitschaft zum Umdenken, angefangen beim Gesetzgeber über die ministerielle Exekutive bis hinein in die Selbstverwaltungsabläufe der Hochschulen.
- Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Studierende an deutschen Hochschulen sind gefordert, zusätzlich zum Deutschen zumindest ausreichende Kenntnisse in einer international verbreiteten Fremdsprache - in der Regel Englisch - zu erwerben, die sie befähigen, international zu agieren. Der Erwerb weiterer Fremdsprachenkenntnisse ist unter Umständen fachspezifisch erforderlich und im Sinne einer Mehrsprachigkeit wünschenswert. Demgegenüber wird von ausländischen Studierenden und Wissenschaftlern die Bereitschaft erwartet, in angemessenem Umfang Deutschkenntnisse zu erwerben.
- Die Hochschulen als Institutionen sind gefordert, eine institutionsspezifische Sprachenpolitik zu formulieren, die sowohl zum Erhalt des Deutschen als Wissenschaftssprache beiträgt als auch den qualifizierten Erwerb und Einsatz anderer Sprachen fördert. Um dieses doppelte Ziel zu erreichen, müssen die Hochschulen in die Lage versetzt werden, ein angemessenes Sprachenausbildungs- und Unterstützungsangebot vorzuhalten. Soweit der Erwerb von Sprachkenntnissen erforderlich ist, sollte dieser als verbindliches Element in die Studiengänge integriert werden. Die institutionelle Sprachenpolitik einer Hochschule sollte neben ihrem Leitbild und Profil auch ihre geographische Lage und ihr regionales Umfeld berücksichtigen.
- Die Politik ist gefordert, die für die genannten Ziele erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Sie muss die notwendigen Ressourcen bereitstellen und an den Hochschulen für eine angemessene Personalausstattung, hinreichende Finanzierung von Sprachenforschung und Sprachenzentren sowie für die erforderlichen Serviceleistungen für die Wissenschaftler (z. B. Übersetzungen, Korrekturlesedienste, Dolmetscher) Sorge tragen. Zudem ist die Finanzierung des Aufbaus europäischer bibliometrischer Instrumente für nicht-englischsprachige Publikationen erforderlich, um eine angemessene Berücksichtigung von Publikationen sicherzustellen, die in einer anderen als der englischen Sprache erscheinen.
1. Einleitung
Die deutschen Hochschulen befürworten eine globale Konzeption ihres Handelns und ihre damit einhergehende Internationalisierung nachdrücklich. Eine laufende Überprüfung der Erfolge und Auswirkungen der angestoßenen Reformen sowie eine ständige Anpassung und Optimierung der Internationalisierungsmaßnahmen sind dabei selbstverständlich. Hierzu gehört auch die Auseinandersetzung mit der Sprachenfrage, die durch die fortschreitende Internationalisierung an Bedeutung gewinnt. Seit einiger Zeit wird in Deutschland der zunehmende Gebrauch des Englischen als Lingua franca in wissenschaftlichen Kontexten kritisch diskutiert und nach der Zukunft des Deutschen als Wissenschaftssprache gefragt.
Eine Spezifikation im Rahmen der Globalisierung stellt der europäische Konvergenzprozess mit seinen besonderen Zielsetzungen und vielfältigen Auswirkungen auf die Hochschulen dar. Die Bologna-Erklärung der europäischen Bildungsminister nimmt dabei konkreten Bezug auf die Sprachenfrage, indem sie feststellt, dass die angestrebte Errichtung eines europäischen Hochschulraums "unter uneingeschränkter Achtung der Vielfalt (...) der Sprachen" [1] stattfinden solle.
Auch der Europäische Rat und die EU-Kommission setzen sich explizit für Mehrsprachigkeit in Europa ein und fordern u.a., "dass für junge Menschen (...) während der Berufs- und Hochschulausbildung ein breit gefächertes und hochwertiges Unterrichtsangebot in den Bereichen Sprachen und Kultur bereit steht, das sie zwecks Integration in die Wissensgesellschaft in die Lage versetzt, mindestens zwei Fremdsprachen zu beherrschen." [2] Die wissenschaftliche Mehrsprachigkeit Europas mit mehreren ausgebauten Wissenschaftssprachen stellt einen Standortvorteil dar, den es zu erhalten gilt. Die hier vorgelegten Empfehlungen sind aus deutscher Perspektive geschrieben. Gleichwohl ist es ihr Ziel, einen Beitrag zur Mehrsprachigkeit in Europa zu leisten.
Die deutschen Wissenschaftsorganisationen haben sich in verschiedenen Erklärungen und Memoranden mit der Rolle des Deutschen als Wissenschaftssprache auseinandergesetzt. [3] Die in diesem Zusammenhang formulierten Überlegungen bilden die Grundlage für die weitere Auseinandersetzung mit diesem Thema.
2. Die spezifische Problemstellung der Hochschulen
Eine globale Konzeption der Hochschule als Institution erfordert eine Antwort auf die Frage, wie im akademischen Bereich mit unterschiedlichen Sprachen, insbesondere der Landessprache und dem Englischen, aber auch mit anderen Fremdsprachen umgegangen werden soll. Die Hochschulen stehen hier vor einem Zielkonflikt: Zum einen erfordern exzellente Forschung und Lehre eine breite Verankerung auf internationaler Ebene, zum anderen gilt es, die in der eigenen ausgebauten Wissenschaftssprache angelegten Möglichkeiten weiterzuentwickeln sowie die Kommunizierbarkeit von Forschungsergebnissen in die Gesellschaft sicherzustellen. Auf diese doppelte Herausforderung müssen die Hochschulen eine institutionelle Antwort finden.
Für die unterschiedlichen Personengruppen an den Hochschulen ergibt sich dabei jeweils eine spezifische Situation. [4]
Lehrende an deutschen Hochschulen
Die hohe Anzahl englischsprachiger Studienangebote deutscher Hochschulen zeigt, dass die Hochschulen in der Lehre auf die Anforderungen der Internationalisierung reagiert haben. Allerdings verfügen nicht alle Lehrenden zwangsläufig über die erforderlichen Kenntnisse, um auch auf Englisch exzellente Lehre sicher gewährleisten zu können. Umgekehrt gilt für ausländische Dozentinnen und Dozenten, dass Deutschkenntnisse (oder deren Erwerb) die Integration an der deutschen Hochschule und in die Gesellschaft erleichtern. Zudem sind für die Kommunikation im Rahmen der akademischen Selbstverwaltung in der Regel solide Kenntnisse der Landessprache erforderlich.
Ausländische Forscherinnen und Forscher
Innerhalb der Hochschulen ist es in vielen Bereichen heute möglich, auf Englisch zu forschen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, um herausragende nicht-deutschsprachige Spitzenwissenschaftlerinnen und Spitzenwissenschaftler für eine Forschungstätigkeit in Deutschland zu gewinnen. Allerdings führt die zunehmende Verwendung der englischen Sprache dazu, dass ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ggf. vorhandene Deutschkenntnisse nicht nutzen (können) und damit wichtige Ressourcen und Potenziale, auch im Hinblick auf eine längerfristige Beschäftigung in Deutschland, ggf. ungenutzt bleiben.
Umgekehrt gilt auch für ausländische Forscherinnen und Forscher, dass Deutschkenntnisse (oder deren Erwerb) die Integration an der deutschen Hochschule und in die Gesellschaft erleichtern und des Weiteren in der Regel für die Kommunikation im Rahmen der akademischen Selbstverwaltung erforderlich sind.
Ausländische Studierende und Doktorandinnen und Doktoranden
Ausländische Studierende und Doktoranden sind an deutschen Hochschulen hoch willkommen. Eine international zusammengesetzte Studierendenschaft ist bereichernd und trägt zu einem anregenden und internationalen Lernumfeld für alle Studierenden bei. Gemeinsam mit ihren deutschen Kolleginnen und Kollegen tragen internationale Doktoranden zur Weiterentwicklung der Forschung und zum Erkenntnisfortschritt bei.
Darüber hinaus ist es für den Standort Deutschland vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung von entscheidender Bedeutung, Fachkräfte für die deutsche Wirtschaft qualifiziert und in ausreichender Anzahl auszubilden. Zudem sind die ausländischen Absolventinnen und Absolventen Deutschlands zukünftige Partner und Multiplikatoren in Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur.
Mithilfe englischsprachiger Studiengänge und Graduiertenprogramme treiben die Hochschulen ihre Internationalisierung voran und ziehen Studierende und junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt an. Die dabei erfolgende Öffnung der Hochschulen für Studierende und junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die über keine oder nur geringe Deutschkenntnisse verfügen, eröffnet neue Chancen, bringt aber auch neue Herausforderungen mit sich. Insbesondere führen englischsprachige Lehrangebote nicht zum intendierten Ziel, wenn aufgrund unzureichender Englischkenntnisse der Lehrenden oder Lernenden und fehlender Kommunikationsmöglichkeiten in der Landessprache weder die angemessene wissenschaftliche noch die gewünschte persönliche Integration in die deutsche Hochschule und ihre Umgebung erreicht wird.
Seitens der ausländischen Studierenden und ihres Umfelds besteht darüber hinaus die - z.T. unausgesprochene - Erwartung, dass ein Studium in Deutschland auch zu entsprechenden Deutschkenntnissen und Kontakten mit der deutschen Gesellschaft führt, die eine langfristige berufliche Perspektive in Deutschland eröffnen. Die Chancen ausländischer Arbeitskräfte auf dem deutschen Arbeitsmarkt werden durch die Kenntnis des Deutschen und Englischen (oder anderer Fremdsprachen) erheblich gefördert.
Deutsche Studierende und Doktorandinnen und Doktoranden
Fremdsprachenkenntnisse stellen - bei gleichzeitiger Festigung der muttersprachlichen Kompetenz - für die Studierenden eine wünschenswerte Qualifikation und einen kompetitiven Vorteil für ihr späteres Berufsleben in einem globalisierten Arbeitsumfeld dar. Der Mehrwert fremdsprachiger Lehrveranstaltungen ist allein vor diesem Hintergrund offensichtlich. Allerdings kann sich dieser positive Effekt für Studierende mit unzureichenden Fremdsprachenkenntnissen auch in sein Gegenteil verkehren. Dies gilt nicht nur für englischsprachige Lehrveranstaltungen, sondern auch für englischsprachige Doktorandenkollegs und Graduiertenschulen.
Auch hier kann es sich für Nicht-Muttersprachler als nachteilig erweisen, wenn die Kommunikation durchgehend in englischer Sprache erfolgt. Ferner strebt eine immer höhere Zahl von Studierenden und Doktorandinnen und Doktoranden der deutschen Hochschulen im Rahmen ihres Studiums oder ihrer Promotion einen Auslandsaufenthalt an, ohne dass sie in jedem Fall über die erforderlichen Sprachkenntnisse verfügen (d. h. zumindest über Grundkenntnisse der Sprache des Gastlandes sowie ausreichende Kenntnisse der jeweiligen Unterrichtssprache). Auf diese Weise wird der Erfolg des Studien- bzw. Forschungsaufenthaltes gefährdet.
3. Handlungsfeldspezifische Situationsanalyse und sich daraus ableitende Empfehlungen
3.1 Forschung
Im Forschungsbereich führt das Bemühen um möglichst effiziente Kommunikationsprozesse nicht nur im internationalen, sondern auch im nationalen Kontext immer häufiger zur ausschließlichen Verwendung der englischen Sprache, sowohl im Antrags- und Berichtswesen als auch bei Fachveranstaltungen. Dies gilt in besonderer Weise im Publikationswesen, da die bestehenden bibliometrischen Datenbanken auf englischsprachige Publikationen ausgerichtet sind und Veröffentlichungen in anderen Sprachen bestenfalls unzureichend berücksichtigen.
Die sich aus dieser Situation ergebende zwingende Fremdsprachennutzung kann die Arbeitseffektivität und -effizienz von Wissenschaftlern beschränken. Sie kann darüber hinaus für die Vermittlung von national bzw. gesellschaftlich relevanten Forschungsergebnissen nicht adäquat sein sowie langfristig den Zugang zu der älteren, nicht englischsprachigen Literatur erschweren. Zudem führt die unzureichende Berücksichtigung von nicht-englischsprachigen Veröffentlichungen zu unerwünschten Wettbewerbsverzerrungen.
Antrags- und Berichtswesen
Situation: Nicht nur auf europäischer Ebene, sondern zunehmend auch im deutschen Kontext wird erwartet, dass Anträge und Berichte auf Englisch verfasst werden.
Empfehlung: Eine zu ausgeprägte Dominanz des Englischen kann Innovation behindern. Im Antrags-, Begutachtungs- und Berichtswesen sollten daher nicht nur die jeweiligen Traditionen der Fächer und ihre regionalen Bezüge berücksichtigt werden, sondern es sollte auch die Sprache möglichst frei gewählt werden können. Anträge sollen grundsätzlich auch auf Deutsch oder einer anderen verbreiteten Wissenschaftssprache gestellt werden können, auch auf EU-Ebene. Es ist sicherzustellen, dass hierfür sprachlich entsprechend versierte Gutachter eingesetzt werden. Bei der EU können bereits jetzt Zwischenberichte in verschiedenen Sprachen eingereicht werden. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollten stärker ermutigt werden, diese Möglichkeit auch wahrzunehmen.
Publikationswesen
Situation: In der Forschung ist es in vielen Bereichen heutzutage üblich, auf Englisch zu publizieren. Die bestehenden bibliographischen Datenbanken und Zitationsindices sind auf englischsprachige Publikationen ausgerichtet und berücksichtigen Veröffentlichungen in anderen Sprachen nur unzureichend.
Empfehlung: Es ist erforderlich, das Potenzial bestehender Wissenschaftssprachen, wie des Deutschen, als Publikationssprachen weiterhin zu nutzen und diese in ihrer Bedeutung als Wissenschaftssprachen zu stärken. Dies geschieht beispielsweise, indem deutsch- und englischsprachige Zeitschriften parallel geführt werden. [5] Für nicht-englischsprachige Autoren sollen Übersetzungen gefördert bzw. Korrekturlesedienste angeboten werden. [6] Zudem soll auf europäischer Ebene eine Alternative zu den aktuell genutzten bibliometrischen Instrumenten etabliert werden, die muttersprachliche Publikationen verstärkt berücksichtigt. Hier ist zu prüfen, ob eine Zusammenarbeit mit Wissenschaftsräumen außerhalb Europas, zum Beispiel mit asiatischen Ländern, sinnvoll sein kann. Auch zu dem angelsächsischen Verfahren der Messung von Forschungsleistungen anhand von Zitationshäufigkeiten sollten alternative europäische Verfahren entwickelt werden. Bei der Leistungsorientierten Mittelvergabe (LOM) wie auch bei Berufungen sind die durch die aktuelle Situation entstehenden Verzerrungen zu berücksichtigen. Nicht zuletzt sind auch bei Empfehlungen zur internationalen Publikationspraxis, die im Rahmen von Evaluationsprozessen abgegeben werden, sprachenpolitische Implikationen zu beachten.
Fachveranstaltungen
Situation: In wachsendem Maße werden in einigen Disziplinen die Vorbereitung und Durchführung von Veranstaltungen in Deutschland mit mehrheitlich oder ausschließlich deutschsprachigem Publikum auf Englisch abgehalten.
Empfehlung: Die Hochschulen sollen bei Veranstaltungen und deren Vorbereitung eine verstärkte Sensibilität für Sprachenfragen entwickeln. Idealerweise sollen Veranstaltungen in Deutschland und mit deutschsprachigem Publikum auf Deutsch stattfinden, wobei ggf. fachspezifische Unterschiede zu berücksichtigen sind. Internationale Veranstaltungen sollten mit Simultandolmetschern abgehalten werden oder das Konzept der rezeptiven Mehrsprachigkeit zugrunde legen, bei der die Beteiligten jeweils die eigene Sprache sprechen, die des Anderen aber hinreichend verstehen können. Gegenüber Fachgesellschaften soll auf eine analoge Verfahrensweise gedrungen werden.
Promotionsphase
Situation: Vermehrt werden auch in Deutschland englischsprachige Doktorandenkollegs und Graduiertenschulen angeboten, um die Internationalisierung zu fördern und vermehrt ausländische Doktorandinnen und Doktoranden anzuziehen. Diese Kollegs können bei sprachlich nicht entsprechend versierten deutschen Doktoranden und Dozenten allerdings zu Verständnis- und Kommunikationshürden führen. Umgekehrt können auch auf Seiten der ausländischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer unzureichende Englischkenntnisse die angemessene wissenschaftliche Integration behindern. Zudem besteht die Gefahr der Frustration, wenn trotz eines Aufenthalts in Deutschland keine Deutschkenntnisse erworben und Kontakte zu Einheimischen geknüpft werden können.
Empfehlung: Teilnehmer von Doktorandenkollegs und Graduiertenschulen sollten bei Bedarf die Möglichkeit haben, die benötigten Deutsch- bzw. Fremdsprachenkenntnisse mit Hilfe entsprechender vorbereitender und begleitender Kurse zu erwerben und sollten dazu ermutigt werden, diese Angebote wahrzunehmen. Um Kommunikationshürden zu vermindern, soll in den Veranstaltungen verstärkt auf das Prinzip der rezeptiven Mehrsprachigkeit gesetzt werden. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Promovenden in der Regel unter einen hohen zeitlichen Druck stehen. Vor diesem Hintergrund sollten bereits bei der Zulassung zur Promotion klare sprachliche Standards kommuniziert werden.
3.2 Lehre und Lernen
Die deutschen Hochschulen haben sich erfolgreich für die internationale Ausrichtung und Attraktivität ihres Lehrangebots eingesetzt. Hierbei spielen naturgemäß englischsprachige Veranstaltungen bis hin zu komplett englischsprachigen Studiengängen eine besondere Rolle. Allerdings hat sich gezeigt, dass nicht alle Lehrenden zwangsläufig über die erforderlichen Kenntnisse verfügen, um auch auf Englisch exzellente Lehre sicher gewährleisten zu können.
In der konkreten Implementierung von fremdsprachigen Lehrangeboten wird darüber hinaus deutlich, dass die hiermit verbundenen erhöhten Anforderungen an Studierende und Lehrende zu neuen Herausforderungen führen, nicht nur in sprachlicher und interkultureller Hinsicht, sondern auch im Hinblick auf inneruniversitäre Traditionen. Dabei zeichnet sich zudem ab, dass der Ausbau der englischsprachigen Studienangebote vor dem Hintergrund begrenzter finanzieller und personeller Ressourcen häufig zu Lasten von Angeboten in anderen Fremdsprachen geht.
Studienbezogene Informations- und Beratungsangebote
Situation: Die deutschen Hochschulen setzen sich dafür ein, ihre Informationsangebote zunehmend auch internationalen Interessenten zugänglich zu machen. Gleichwohl liegen viele grundlegende Informationen, Dokumente und Formulare aus Kapazitätsgründen nur in deutscher Sprache vor. Auch Beratungs- und Serviceangebote sind häufig deutschsprachig. Viele Informationen sind einem internationalen Publikum damit nicht zugänglich. Ausländischen Studierenden und Wissenschaftlern wird damit der Einstieg in den deutschen Studien- und Forschungsalltag auf diese Weise unnötig erschwert.
Empfehlung: Über das allgemeine deutschsprachige Angebot hinaus sollen die Hochschulen ihr fremdsprachiges Internetangebot konsequent weiter ausbauen und Beratungs- und Serviceleistungen auch in Englisch sowie - je nach Fach und internationalen Kontakten - in weiteren Sprachen anbieten. Auch sollen häufig verwendete Formulare und grundlegende Dokumente ins Englische und weitere wichtige Fremdsprachen übersetzt werden.[7] Darüber hinaus wird den Hochschulen empfohlen, sich einen Überblick über die an der Hochschule vorhandenen sprachlichen Kompetenzen verschaffen, damit auf diese im Bedarfsfall zurückgegriffen werden kann.
Spracherwartung
Situation: Insbesondere ERASMUS-Studierende und Studierende englischsprachiger Programme verfügen häufig über nur geringe Deutschkenntnisse. Von den Anbietern englischsprachiger Programme wird "aus Marketinggründen" zum Teil betont, dass Deutschkenntnisse für das Studium in Deutschland nicht erforderlich seien. In der Praxis führt dies für die Betroffenen oft zu Problemen und Frustrationen. Unzureichende Deutschkenntnisse behindern die akademische und persönliche Integration in die deutsche Hochschule und ihr Umfeld erheblich. Des Weiteren besteht seitens der ausländischen Studierenden und ihres Umfelds die - z.T. unausgesprochene - Erwartung, dass ein Studium in Deutschland auch zu den entsprechenden Deutschkenntnissen und Kontakten mit der deutschen Gesellschaft führt. Umgekehrt gilt dies auch für Studierende und Doktoranden der deutschen Hochschulen, die im Rahmen ihres Studiums oder ihrer Promotion einen Auslandsaufenthalt anstreben.
Empfehlung: Die Hochschulen sollten der sprachlichen Qualifikation aller Studierenden besondere Beachtung schenken. Für ausländische Studierende gilt, dass Deutschkenntnisse Integration und Studienerfolg fördern. Dort, wo Studierende ohne Deutschkenntnisse zum Studium zugelassen werden, sollten sie ermutigt werden, im Verlauf ihres Studiums deutsche Sprachkenntnisse zu erwerben. Der Umfang der erwarteten bzw. zu erwerbenden Deutschkenntnisse muss dabei in einem angemessenen Verhältnis zu den angestrebten Studienzielen stehen. Die Hochschulen sollten entsprechende Kurse anbieten und sie als verbindliche Module in die Studiengänge integrieren. Hierbei kann es auch erforderlich sein, innovative Lernszenarien zu entwickeln und zu implementieren, die den unterschiedlichen Bedürfnissen, Erwartungen, Zeitbudgets und Lernzielen gerecht werden
Partnerschaftsverträge mit ausländischen Hochschulen sollten die Sprachenfrage ebenfalls berücksichtigen (beispielsweise angemessene Vorbereitung der eigenen Studierenden vor Auslandsaufenthalten und Sicherstellung von Sprachangeboten für Gaststudierende und -wissenschaftler).
Studierende einer deutschen Hochschule, die im Rahmen ihres Studiums einen Auslandsaufenthalt anstreben, sollten zur Sicherung von Studienerfolg und Integration über Kenntnisse der Sprache des jeweiligen Gastlandes verfügen. Diese sollten in einem angemessenen Verhältnis zu den angestrebten Studienzielen stehen.
Auch ausländische Lehrende sollten nach einer angemessenen Zeit ausreichende deutsche Sprachkenntnisse erwerben. Dabei sollten sie von den Hochschulen umfassend unterstützt werden.
Lehrveranstaltungen
Situation: An den deutschen Hochschulen wurde in den vergangenen Jahren eine hohe Anzahl englischsprachiger Studienangebote eingerichtet, um die Lehre zu internationalisieren und ausländische Studierende anzuziehen. Auch in regulären Studiengängen spielt Englisch in wachsendem Maße eine wichtige Rolle. Allerdings verfügen nicht alle Lehrenden zwangsläufig über die erforderlichen Kenntnisse, um auch auf Englisch exzellente Lehre sicher gewährleisten zu können. Englischsprachige Angebote stellen auch einen Teil der Studierenden vor Verständnis- und Kommunikationsprobleme und können damit die Qualität der wissenschaftlichen Debattenkultur einschränken bzw. den Erkenntnisprozess beeinträchtigen.
Empfehlung: Bei Studierenden grundständiger Studiengänge erscheint es sinnvoll, zunächst die Kompetenz im Deutschen zu stärken, um ein sicheres wissenschaftssprachliches Agieren zu ermöglichen. Eine Einführung in den englischsprachigen Wissenschaftsdiskurs kann darauf aufsetzen. Grundständige Lehrveranstaltungen sollten daher in der Regel deutschsprachig sein[8], bei Bedarf allerdings die Rezeption englischsprachiger und sonstiger fremdsprachiger Literatur einschließen. Gleichzeitig ist der Erwerb einer oder weiterer Fremdsprachen im Hinblick auf akademische und berufliche Perspektiven nachhaltig zu unterstützen. Sprachkurse - inklusive Deutschkurse - sollten daher mit Leistungspunkten honoriert werden. Im Bereich der weiterführenden Studiengänge erscheint demgegenüber eine größere Varianz möglich und sinnvoll.
3.3 Institutionelle Dimension
Internationalität ist nur dann glaubhaft und wirksam, wenn sie alle Dimensionen des hochschulischen Handelns umschließt. Neben Forschung und Lehre müssen daher auch interne und externe Verwaltungs- und Kommunikationsprozesse miteinbezogen werden.
Information, Beratung und Betreuung ausländischer Wissenschaftler und Studierender sowie die Vielzahl europäischer und anderer internationaler Förderprogramme verlangen nicht nur die Kenntnisse der jeweiligen Hochschul-, Wissenschafts- und Fördersysteme, sondern ebenso die entsprechenden Sprachkenntnisse, ohne dass die jeweiligen Personalpläne entsprechend dotierte Stellen in ausreichender Anzahl ausweisen.
Ihre Außendarstellung haben die Hochschulen mittlerweile - zumindest teilweise - auf ein internationales Publikum ausgerichtet. Allerdings stellt die Sicherstellung einer angemessenen Qualität im fremdsprachigen Internetauftritt der Hochschule teilweise noch eine Herausforderung dar. Zudem liegen viele grundlegende Informationen, Dokumente und Formulare aus Kapazitätsgründen nur in deutscher Sprache vor. Auch Beratungs- und Serviceangebote werden häufig nur auf Deutsch angeboten. Viele Informationen sind einem internationalen Publikum damit nicht zugänglich. Ausländischen Studierenden und Wissenschaftlern wird der Einstieg in den deutschen Studien- und Forschungsalltag auf diese Weise unnötig erschwert.
Information und Außendarstellung
Situation: Die deutschen Hochschulen richten ihre Internetauftritte zunehmend auf ein internationales Publikum aus, allerdings liegen viele Informationen nach wie vor nur auf Deutsch vor. Zudem stellt die Sicherung einer angemessenen fremdsprachlichen Qualität teilweise noch eine Herausforderung dar.
Empfehlung: Allgemeine Informationen, der Internetauftritt und die sonstige Außendarstellung einer Hochschule sollten zumindest zweisprachig in Deutsch und Englisch erfolgen. Eine weitere Differenzierung sollte in Übereinstimmung mit den Außenkontakten der Hochschule stattfinden. Hierbei ist auf die Qualität der fremdsprachigen Darstellung zu achten.
Beratung und Service sowie Schulung des Verwaltungspersonals
Situation: Vor dem Hintergrund einer zunehmend internationalen Studierendenschaft und eines kulturell diversen Lehrkörpers sehen sich Hochschulangestellte neuen Aufgaben gegenüber. Im Hinblick auf die Betreuung ausländischer Wissenschaftler und Studierender sowie auf Informations- und Beratungsangebote und die Vielzahl europäischer und anderer internationaler Förderprogramme sind sie nicht nur gefordert, die jeweiligen Hochschul-, Wissenschafts- und Fördersysteme zu kennen, sondern ebenso die entsprechenden Sprachkenntnisse vorzuhalten. Diese gestiegenen Ansprüche spiegeln sich jedoch nicht in den jeweiligen institutionellen Stellenplänen wider, die häufig entsprechend dotierte Stellen nicht in ausreichender Anzahl ausweisen.
Empfehlung: Eine allgemeine Mehrsprachigkeit des Verwaltungspersonals wird nur in Ausnahmefällen erreichbar sein. Es muss allerdings sichergestellt werden, dass das Personal, das Kontakt zu ausländischen Studierenden und Wissenschaftlern hat, zumindest über Grundkenntnisse im Englischen verfügt. Eine verstärkte Gewinnung internationaler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Migrationshintergrund kann dazu beitragen, die Situation zu entspannen und eine Willkommenskultur an den Hochschulen zu etablieren. Zudem sollten die Hochschulen prüfen, ob die Bündelung aller für ausländische Studierende relevanten Verwaltungs- und Servicedienste an einer zentralen Stelle sinnvoll ist. Dies würde eine kompetente Stellenbesetzung mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die über entsprechende Sprachkenntnisse verfügen, erleichtern.
Unterstützung des Wissenschaftlichen Personals
Situation: Für die internationale Sichtbarkeit der an einer Hochschule geleisteten Arbeit ist es wichtig, Ergebnisse nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Englisch zu publizieren. Allerdings verfügen nicht alle Angehörigen des wissenschaftlichen Personals einer Hochschule über die erforderlichen Kompetenzen, um auf Englisch zu publizieren.
Empfehlung: Die Hochschulen sollen Kurse für wissenschaftliches Englisch sowie je nach Bedarf Redaktionshilfe für englischsprachige Texte anbieten.
[1] "Der Europäische Hochschulraum. Gemeinsame Erklärung der Europäischen Bildungsminister", 19. Juni 1999, Bologna.
[2] Mitteilung der Kommission "Mehrsprachigkeit: Trumpfkarte Europas, aber auch gemeinsame Verpflichtung", 18.9.2008, KOM(2008) 566 endgültig; Entschließung des Rates vom 21. November 2008 zu einer europäischen Strategie für Mehrsprachigkeit, (2008/C 320/01)
[3] Gemeinsame Erklärung der Präsidenten von AvH, DAAD, Goethe-Institut und HRK (18.2.2009) "Deutsch als Wissenschaftssprache", AvH: "Sprachenpolitische Leitlinien der AvH" (Juni 2009), GATE: "Nationaler Kodex für das Ausländerstudium an deutschen Hochschulen" (Beschluss der HRK-Mitgliederversammlung, November 2009), DAAD: "Memorandum zur Förderung des Deutschen als Wissenschaftssprache" (Februar 2010).
[4] Die folgenden Ausführungen fokussieren sprachenpolitisch relevante Aspekte. Eine Auseinandersetzung mit interkulturellen Anforderungen würde, obwohl in diesem Kontext ebenfalls von Belang, den Rahmen des vorliegenden Textes sprengen und muss daher an anderer Stelle erfolgen.
[5] Dies geschieht z.B. erfolgreich bei der Zeitschrift "Angewandte Chemie". Ferner bieten verschiedene wissenschaftliche Fachgesellschaften, wie etwa der Verein für Socialpolitik oder die Deutsche Statistische Gesellschaft, ihren Mitgliedern je eine Vereinszeitung auf Deutsch und auf Englisch an. Auch das könnte für andere Fachgesellschaften ein Vorbild sein.
[6] In diesem Zusammenhang ist die Initiative der VW-Stiftung, die Übersetzung deutschsprachiger wissenschaftlicher Arbeiten zu fördern, als positives Beispiel erwähnenswert.
[7] Hierbei ist allerdings darauf hinzuweisen, welche Sprachversion von Prüfungsordnungen und sonstigen rechtlichen Akten die letztlich verbindliche Fassung ist.
[8] Fachspezifisch kann es allerdings auch angezeigt sein, zu anderen Lösungen zu kommen. Diese sind ggf. sorgfältig zu prüfen.