Empfehlung des Präsidiums der HRK vom 23.4.2012 an die promotionsberechtigten Hochschulen
I. Zur Qualitätssicherung in Promotionsverfahren
Die HRK hat in der Vergangenheit mehrere Empfehlungen zur Promotion verabschiedet und dabei grundsätzliche Feststellungen getroffen und aktuelle Entwicklungen aufgegriffen (vgl. Zum Promotionsstudium 1996, Zur Organisation des Promotionsstudiums 2003, Zur Zukunft des Doktorats in Europa 2004). Darüber hinaus haben nationale und europäische Wissenschaftsorganisationen Stellungnahmen und Empfehlungen zur Optimierung der Promotionsphase vorgelegt (u.a. die EUA [1], LERU [2], der WR [3] und UniWIND [4]).
Diese Stellungnahmen weisen Übereinstimmungen sowohl in ihren Analysen als auch in ihren Empfehlungen auf. Mit den hier dargestellten 11 Leitlinien bietet die HRK den Universitäten grundlegende Orientierungen zur Qualitätssicherung von Promotionsverfahren an. Zur medizinischen Promotion und zu besonderen Formen der Promotion wie der kumulativen und publikationsbasierten Promotion ist es erforderlich, stärker fächerbezogene Aussagen in separaten Entschließungen zu treffen.
Ziele der Promotion und ihre Qualitätssicherung
Durch die Promotion wird die Befähigung zu vertiefter selbstständiger wissenschaftlicher Arbeit nachgewiesen. Sie verkörpert eine eigenständige Forschungsleistung und ist nicht als dritte Phase des Studiums zu verstehen. Doktorandinnen und Doktoranden sind Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die mit den in ihren Dissertationen erbrachten wissenschaftlichen Leistungen einen wesentlichen und innovativen Beitrag zum wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt und zur Zukunftsfähigkeit des Wissenschaftssystems erbringen. Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Doktoranden müssen daher gefordert und gefördert werden. Ziel der Promotionsphase ist, sich für eine Tätigkeit in Forschung und Wissenschaft aber auch für Führungsaufgaben in der Wissenschaftsgesellschaft zu qualifizieren.
Jede Promotion ist eine individuelle wissenschaftliche Leistung, und jede Promotion profitiert von einer Strukturierung der Promotionsphase. Besonders geeignet sind strukturierte Promotionsprogramme, die auch fachübergreifende Kompetenzen vermitteln, insbesondere im Rahmen von Graduiertenkollegs, -zentren oder -schulen.
Wie die Qualitätssicherung des Promotionsverfahrens strukturell und inhaltlich geregelt ist, ist in den Promotionsordnungen festzulegen. Insbesondere muss die Transparenz und Kontrolle institutionell gewährleistet sein. Neben den Aufgaben der Dekanin bzw. des Dekans, der Promotionskommission und des Fakultätsrates sind auch die Aufgaben der Kommission zur Selbstkontrolle in der Wissenschaft eindeutig in Hinblick auf die Qualitätssicherung des Promotionswesens zu definieren.
II. Leitlinien zur Qualitätssicherung der Promotionsphase
1. Verantwortung der Universität für die Promotion
Das Promotionsrecht wird durch den Staat an Universitäten und gleichgestellte Hochschulen (im Folgenden: Universitäten) verliehen. Sie wissen um ihre Verantwortung für die Qualität der Promotion und für die Einhaltung wissenschaftlicher Standards. Diese Verantwortung bezieht sich allgemein auf das Erreichen eines angemessenen Qualifikationsprofils, das jede Universität unter Einsatz ihrer Reputation mit dem Doktortitel bestätigt. Dementsprechend hat die HRK wiederholt betont, dass die Qualifizierung von Doktorandinnen und Doktoranden sowie die Promotion als Prüfung von der Universität institutionell zu verantworten sind. Dies schließt kooperative Promotionsverfahren mit Fachhochschulen ein [5].
2. Transparente Zugangswege und Auswahlverfahren
Die Auswahl der Doktorandinnen bzw. der Doktoranden ist in einem transparenten Verfahren zu entscheiden. Die Zugangsvoraussetzungen sind eindeutig zu formulieren. Zu den Zugangsvoraussetzungen zählt auch das Wissen der Kandidatinnen und Kandidaten um die Grundlagen und Regeln guter wissenschaftlicher Praxis. Bei der Auswahl von Doktorandinnen und Doktoranden haben sich Interviews, Forschungskolloquien bzw. ein Vortrag in Verbindung mit einem letter of motivation bewährt.
Im Interesse der Rechtssicherheit der Doktorandinnen und Doktoranden soll der Antrag auf Annahme als Doktorand bzw. Doktorandin bei der Fakultät bzw. der entsprechenden Einrichtung vor der Aufnahme der wissenschaftlichen Arbeit an der Dissertation gestellt werden. Mit der Annahme zur Promotion sind die Doktorandinnen und Doktoranden von den Universitäten als zur Doktorandenschaft gehörig zu registrieren.
3. Wissenschaftlich-organisatorisches Umfeld
Allen Doktorandinnen und Doktoranden muss ein passendes Umfeld geboten werden, um darin ihre eigene Forschung erfolgreich betreiben zu können. Besonders geeignet ist eine größere Anzahl von qualifizierten, an verwandten Themen arbeitenden Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, sodass es zu wechselseitiger Unterstützung und wissenschaftlichem Austausch kommen kann. Diese kritische Masse muss nicht notwendigerweise am selben Ort vorhanden sein, sondern kann auch durch überregionale Vernetzung gewährleistet werden. Herausragende Forschung verlangt zudem (von Ausnahmen abgesehen) einen internationalen Rahmen. Doktorandinnen und Doktoranden werden daher früh in die internationale Forschergemeinschaft eingeführt und erhalten die Möglichkeit, eigene internationale Netzwerke aufzubauen.
4. Betreuung
Die Annahme von Doktorandinnen und Doktoranden verpflichtet die Universität zur wissenschaftlichen Betreuung. Empfehlenswert ist, dass ein Doktorandenverhältnis von einer Promotionsvereinbarung flankiert wird, in der die grundlegenden Anforderungen an Betreuende und Doktorandinnen und Doktoranden festgehalten werden.
Diese Vereinbarung enthält Aussagen zur Anzahl und Zuordnung von Fach-Betreuern (in der Regel zwei Betreuer bzw. Betreuerinnen, wobei eine/r die Hauptbetreuung übernimmt und die/der zweite als zusätzliche/r Ansprechpartner/in fungiert), zur Form der Betreuung (z.B. Statusgespräche, Arbeitsberichte, Kontakthäufigkeit) sowie zu weiteren Betreuungselementen. Eine gute Betreuung sichert auch die Fertigstellung der Promotion in einem angemessenen Zeitraum. Dabei sind disziplinspezifische Besonderheiten und Erfordernisse der Berufssituation der Doktorandinnen und Doktoranden zu berücksichtigen.
Betreuerinnen und Betreuer und Doktorandinnen und Doktoranden achten darauf, dass die Arbeit an der Dissertation in der Regel in drei Jahren abgeschlossen werden kann. Die Verantwortung dafür beginnt bereits mit der Themenstellung, setzt sich über regelmäßige Status- und Betreuungsgespräche fort und schließt die Notwendigkeit eines zügigen Promotionsverfahrens ein.
Die Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses gehört zu den grundlegenden Aufgaben von Professorinnen und Professoren. Neben ihnen sollten analog zu den Juniorprofessorinnen und -professoren auch Nachwuchsgruppenleiterinnen und -leiter Betreuungs- und Gutachteraufgaben übernehmen dürfen.
Betreuerinnen und Betreuer handeln bei der Wahrnehmung dieser grundlegenden Aufgabe verantwortungsvoll und planen ausreichend Zeit für eine angemessene Betreuung. Dies wirkt sich zwingend auf die Zahl von Doktorandinnen und Doktoranden für jede einzelne Betreuerin und jeden einzelnen Betreuer aus und legt eine angemessene Anzahl nahe, um allen eine optimale Betreuung zu bieten.
Als unabdingbar wird eine Stelle angesehen, die im Konfliktfall vermittelnd und schlichtend aktiv wird. Dies kann z.B. eine Ombudsperson sein, die sich durch eine hohe Reputation auszeichnet und hinreichend neutral agieren kann. Eine Ombudsstelle zur Konfliktregelung für den Promotionsbereich steht allen Doktorandinnen und Doktoranden und Betreuerinnen und Betreuern offen.
5. Qualifizierungsangebote
Universitäten halten für Doktorandinnen und Doktoranden Qualifizierungsangebote vor und ermöglichen Doktorandinnen und Doktoranden den Erwerb von akademischen Schlüsselqualifikationen sowie Lehr- und Betreuungskompetenzen. Die Wahrnehmung dieser Angebote soll sich aber nicht promotionsverlängernd auswirken. Diese Angebote werden den Lehrenden als Lehrleistung anerkannt und auf das Deputat angerechnet.
Kolloquien bieten Doktorandinnen und Doktoranden die Möglichkeit, ihre Forschungsaktivitäten einem breiteren Adressatenkreis vorzutragen und sie dort zu diskutieren.
6. Bewertung der Promotionsleistung
Prinzipiell kommt der von der Fakultät bestimmten Prüfungskommission die Verantwortung für die Beurteilung der Qualität der Promotion zu. Die Gutachterinnen und Gutachter müssen nach fachlichen Gesichtspunkten ausgewählt werden.
Gutachten müssen stets unabhängig voneinander erfolgen und dürfen nicht in Kenntnis anderer Gutachten geschrieben werden.
Externe - möglichst internationale - Gutachterinnen und Gutachter sichern zusätzlich die Qualität der Begutachtung. Die Betreuerin bzw. der Betreuer der Promotion kann ein Gutachten erstellen.
In den Gutachten müssen die Noten nachvollziehbar begründet werden. In Hinblick auf einheitliche Qualitätsmaßstäbe ist zu empfehlen, dass fachspezifisch Kriterien für die Notengebung festgelegt werden.
Zudem wird empfohlen - wie bereits von der HRK 1996 in der Entschließung „Zum Promotionsstudium“ vorgeschlagen - eine Disputation, die auch der Fakultätsöffentlichkeit eine Mitwirkung einräumt, als mündliche Prüfungsform durchzuführen.
Die Abgabe der Dissertation wird auch in elektronischer Form gefordert, um eine zumindest stichprobenartige elektronische Überprüfung zu ermöglichen. Dabei dürfen Doktorandinnen und Doktoranden nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Ergänzende Überprüfungen erfolgen deshalb nach dem Zufallsprinzip bzw. nur im konkreten Verdachtsfall.
7. Eidesstattliche Versicherung
In den Hochschulgesetzen und in den Promotionsordnungen muss die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung über die Eigenständigkeit der erbrachten wissenschaftlichen Leistungen vorgesehen werden. Doktorandinnen und Doktoranden sind auf die Bedeutung der eidesstattlichen Versicherung und die strafrechtlichen Folgen einer falschen oder unvollständigen eidesstattlichen Versicherung hinzuweisen.
8. Ungültigkeit der Promotionsleistungen und Aberkennung des Doktorgrades
Regeln und Verfahren für die Ungültigkeit von Promotionsleistungen und Aberkennung des Doktorgrades müssen in der Promotionsordnung eindeutig definiert werden. Grundlage für die Beurteilung von ungültigen Promotionsleistungen sind die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis, die die HRK bereits in ihrer Empfehlung „Zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten in den Hochschulen“ basierend auf den Vorschlägen der DFG [6] für die Hochschulen spezifisch formuliert hat [7].
9. Antidiskriminierung, Gender-Sensitivity, Familie und Wissenschaft
Bei der Auswahl und Annahme von Doktorandinnen und Doktoranden, bei der Betreuung und Begutachtung der Dissertation sowie der Überprüfung der mündlichen Promotionsleistung darf niemand aufgrund seines Geschlechts, seiner ethnischen, nationalen, kulturellen oder sozialen Herkunft, seiner religiösen oder politischen Anschauung oder seiner sexuellen Orientierung benachteiligt werden.
In der Promotionsphase sollten für Männer und Frauen Rahmenbedingungen vorhanden sein, die es ermöglichen, Familie und Promotion zu vereinbaren.
In der Promotions- und insbesondere in der PostDoc-Phase nimmt der Anteil von Frauen im Vergleich zu den Bachelor- und Masterstudierenden signifikant ab. Frauen müssen bestärkt werden, eine Promotion anzufertigen bzw. eine akademische Laufbahn einzuschlagen, etwa durch Mentoringprogramme und Gender-Sensitivity (z.B. ein Arbeitsklima, das sich durch gleiche Wertschätzung für Frauen und Männer auszeichnet). Nachdrücklich wird dazu die Bereitstellung von Coaching-Angeboten empfohlen.
10. Externe Promotion
Externe Promotionen (Promotionen, die nicht im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses zu einer Universität oder eines Stipendiums erarbeitet werden) können einen besonderen Beitrag zur wissenschaftlichen Erkenntnis leisten. Externe Promotionen stellen aber eine besonders anspruchsvolle Betreuungssituationen dar und bedürfen besonderer Unterstützung, vor allem wenn sie berufsbegleitend und in Teilzeit durchgeführt werden. Selbstverständlich müssen an sie die gleichen Qualitätsstandards gelegt werden wie an interne Promotionen.
11. Fast track
Fast-Track-Promotionen können insbesondere dazu dienen, hervorragende Doktorandinnen und Doktoranden aus Ländern zu gewinnen, in denen ein dreijähriger Bachelor-Abschluss die Regelvoraussetzung für den Beginn einer Promotion ist. Bei der Auswahl der Kandidaten sind fächerbezogen hohe Maßstäbe an die Zulassungsvoraussetzungen anzulegen. Die HRK spricht sich dafür aus, dass nur Fast-Track-Promotionen mit integriertem Masterabschluss angeboten werden.
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[1] European University Association. Salzburg II Recommendations: European universities' achievements since 2005 in implementing the Salzburg Principles. 2010
[2] League of European Research Universities. Doctoral degrees beyond 2010 – Training talented researchers for society. März 2010
[3] Wissenschaftsrat. Anforderungen an die Qualitätssicherung der Promotion. Positionspapier vom 9.11.2011
[4] Universitätsverband zur Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland. Junge Forscherinnen und Forscher – Empfehlungen zur Promotion an deutschen Universitäten. 2011
[5] so bereits HRK, „Profilelemente von Universitäten und Fachhochschulen“, zustimmend zur Kenntnis genommen vom 181. Plenum vom 24./25. Februar 1997
[6] Deutsche Forschungsgemeinschaft: Vorschläge zur Sicherung guter wissenschaftlicher Standards. Empfehlungen der Kommission „Selbstkontrolle in der Wissenschaft“, Weinheim 1998
[7] Zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten in den Hochschulen, Empfehlung des 185. Plenums vom 6. Juli 1998