Die Bremer Professorin Yasemin Karakasoglu und die Stifterverbands-Expertin Bettina Jorzik im Gespräch über die inhaltliche Dimension von Vielfalt an Hochschulen – und darüber, wie sich die Diversität künftig entwickeln könnte. (Zweiter Teil)
Den ersten Teil des Interviews können Sie hier nachlesen.
Täuscht der Eindruck, oder hat sich beim Thema Vielfalt die Diskussion verändert: Am Anfang drehte sie sich um strukturelle und institutionelle Aspekte, in jüngerer Zeit stärker um inhaltliche Dimensionen?
Karakasoglu: Sie meinen, dass sich die Universitäten mit ihrem Selbstverständnis beschäftigen? Dass sie ihre Gründungsgeschichte hinterfragen? Wie ihre Stellung zur Welt ist – ob man also bei der Suche nach internationalen Kooperationspartnern vor allem nach Großbritannien und in die USA schaut? Ob sie den Zugang zu ihren Ressourcen und Wissensgrundlagen fair mit anderen teilen?
Genau, damit haben Sie schon viele Punkte aus der aktuellen Debatte angesprochen. Gehören diese Aspekte Ihrer Meinung nach zur Debatte über die Vielfalt – oder sind die ein eigenes Thema?
Jorzik: Ich finde es folgerichtig und wünschenswert, dass sich die Hochschulen zunehmend mit den inhaltlichen Dimensionen des Themas beschäftigen. Aber ich sehe auch eine Gefahr: Wenn nahezu ausschließlich die Anti-Diskriminierungs- oder Anti-Rassismus-Aspekte in den Vordergrund gestellt werden, verändert sich der Diskurs. Dann geht es fast nur noch um individuelle Benachteiligung, um individuelle Betroffenheit – und man vergisst darüber schnell die Fragen, wie sich Vielfalt systematisch unterstützen lässt und auch, wie sich der Reichtum nutzen lässt, der in der Vielfalt steckt.
Karakasoglu: Das sehe ich anders: Viele Hochschulen haben die Charta der Vielfalt unterzeichnet und machen Werbung mit Bildern, auf denen Menschen mit anderer Hautfarbe auf dem Campus zu sehen sind oder auch Menschen, die im Rollstuhl sitzen. Daran ist natürlich nichts auszusetzen; visuelle Marker für Vielfalt als Normalität zu setzen, ist sinnvoll. Aber immer noch haben doch Personen, die auf diese Weise visuell repräsentiert sind, in ihrem Alltag nicht den Eindruck, dass ihnen diese proklamierte Wertschätzung auch tatsächlich entgegengebracht wird. Man kann sehr viel Positives über Vielfalt sagen, aber solange das nicht einhergeht mit einer klaren Positionierung und Maßnahmen gegen Diskriminierung, ist das unglaubwürdig und sorgt für Verunsicherung und Verärgerung.
Jorzik: Aber da haben wir ja keinen Dissens! Ich finde, Anti-Diskriminierung ist ein sehr wichtiges Thema – aber wir sollten dabei nicht stehenbleiben. Vielfalt hat eben nicht nur etwas mit persönlicher Betroffenheit zu tun. Nach meinem Verständnis geht es bei diesem Thema nicht darum, die Unterschiede zu nivellieren – wir sind nun einmal alle anders. Es ist auch nicht alles schön bunt: Vielfalt ist auch ein anstrengendes Thema, das mit Friktionen und Konflikten einhergeht. Wir müssen lernen, solche Unterschiede auszuhalten und uns mit der Frage beschäftigen, wie wir sie fruchtbar machen für das Miteinander.
Frau Karakasoglu, was wünschen Sie sich mit Blick auf das Thema Vielfalt an Hochschulen für die nächsten Jahre?
Karakasoglu: Mir ist wichtig, dass die Vielfalt nicht zu einem Lippenbekenntnis wird. Wir brauchen Strukturen, die nachhaltig etabliert werden, und ein Monitoring, mit dem wir messen können, wie sich die Prozesse entwickeln. Nehmen Sie zum Beispiel die Einführung von Tenure Track-Verfahren oder auch die Besetzung von Professuren: Da braucht es Expertinnen und Experten in der Verwaltung, die darauf achten, dass bei solchen Entscheidungen die Leitlinien für Diversitätssensibilität und Anti-Diskriminierung eingehalten werden.
Wie sollte sich das in den Strukturen widerspiegeln?
Jorzik: Es ist entscheidend, dass es eine klare Zuständigkeit für dieses Thema in der Hochschulleitung gibt. Das muss gar nicht zwingend ein eigenes Ressort sein – es gibt auch jetzt schon prominente Beispiele, wo das Thema zum Beispiel beim Hochschulpräsidenten selbst verortet ist. Manche Hochschulen siedeln es aber auch in einem anderen Ressort an, da gibt es wirklich viele Ideen und Herangehensweisen.
Karakasoglu: Die Vielfalt muss erlebbar und belegbar sein. Es hilft nichts, wenn man sich nach außen mit einer tollen Diversity-Strategie brüstet, aber innerhalb der Hochschule noch nie jemand etwas von ihr gehört hat. Man braucht eine wirklich sehr gute Ausstattung für dieses Thema – und eine kontinuierliche Kommunikation. Es muss spürbar sein, dass es der Institution ernst ist mit der Vielfalt. Und da haben wir noch einiges zu tun, weil das Thema bei der chronischen Unterfinanzierung der Hochschulen in Konkurrenz mit vielen anderen Aspekten steht.
Jorzik: Und noch eins ist wichtig: Das Thema ist nicht irgendwann erledigt und abgearbeitet. Man kann es nicht zur Priorität einer Legislaturperiode machen wie etwa die Digitalisierung, und danach ist das Thema dann durch. Nein: Vielfalt ist eine Daueraufgabe.
Das Interview führte Kilian Kirchgeßner.
Zu den Personen:
Bettina Jorzik leitet beim Stifterverband für die deutsche Wissenschaft den Programmbereich „Lehre und akademischer Nachwuchs“. Sie verantwortet unter anderem das Diversity Audit, bei dem Hochschulen dabei begleitet werden, eine zu ihrem Profil passende Diversitätsstrategie aufzustellen und umzusetzen.
Prof. Dr. Yasemin Karakasoglu ist Professorin für Bildung in der Migrationsgesellschaft/interkulturelle Bildung an der Universität Bremen. Von 2011 bis 2017 war sie dort Konrektorin für Internationalität und Diversität. Sie forscht und lehrt zu Migration und Transnationalität im Kontext von Schulen und Hochschulen und ist im Vorstand des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD).
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