Gemeinsames Papier der Mitgliedergruppe Universitäten in der HRK und des Kanzlerarbeitskreises Hochschulmedizin vom 22.11.2010
Dem Präsidium am 23.11.2010 vorgelegt.
Die Verantwortung der Universitäten für die Hochschulmedizin im wissenschaftlichen Wettbewerb
Die aktuellen Rahmenbedingungen für die Entwicklung der deutschen Hochschulmedizin sind durch die Intensivierung des wissenschaftlichen Wettbewerbs geprägt, in den die medizin-führenden Hochschulen nicht zuletzt durch die Exzellenz- und Gesundheitsforschungsinitiative gestellt sind. Hinzu tritt die Reformentwicklung im Gesundheits- und Krankenhauswesen, welche den krankenhauswirtschaftlichen Wettbewerb, dem auch die Universitätsklinika ausgesetzt sind, verschärft hat. Die Hochschulrektorenkonferenz und der Arbeitskreis Hochschulmedizin der deutschen Universitätskanzler legen deshalb einige grundsätzliche Überlegungen zur veränderten Rolle der Hochschulmedizin für die Universitäten vor.
Sie sind geleitet von der Überzeugung, dass für eine Stärkung des Forschungsstandortes Deutschland und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulen in den Lebenswissenschaften, deren maßgeblicher Bestandteil die Medizin ist, eine enge Verzahnung der Hochschulmedizin mit den anderen Universitätsdisziplinen unverzichtbar ist. Nur durch diese enge Verzahnung ist auch die für Universitätsklinika unerlässliche Balance der universitären Aufgaben in Forschung und Lehre sowie der Krankenversorgung durch die Universitätsklinika zu wahren.
Die Hochschulmedizin als integraler Bestandteil der Universität
Die Hochschulrektorenkonferenz und der Kanzlerarbeitskreis Hochschulmedizin halten an dem bereits die Empfehlungen der Hochschulrektorenkonferenz aus dem Jahre 2005 ("Eingebundene Souveränität und zur Zukunft der Medizin in der Universität") leitenden Grundsatz fest, dass die von den Medizinischen Fakultäten zu verantwortende medizinische Forschung und Lehre und die vom Universitätsklinikum sicherzustellende Krankenversorgung sowohl für die qualitätsorientierte Weiterentwicklung als auch für die wissenschaftliche Produktivität der gesamten Universität wichtige Teilbereiche sind. Diese dürfen nicht separiert, sondern müssen akademisch und organisatorisch eng in den Fächerverbund der Universität integriert geführt und betrieben werden. Für diesen Grundsatz sind vor allem die folgenden Gesichtspunkte leitend:
- Der universitäre Anspruch der Hochschulmedizin ist - auf Dauer glaubhaft und in der Alltagspraxis tragfähig - nur im Dialog der Medizin mit anderen universitären Fächern aufrecht zu erhalten, die wesentliche Beiträge in die Medizin liefern oder von dieser beziehen. Dies gilt namentlich für die Disziplinen der Natur- und Lebenswissenschaften, der Technikwissenschaften, aber auch für die Fächer der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften. Dieser Dialog bedarf nicht nur möglichst kurzer Wege, sondern auch besonderer strategischer Positionierung und Förderung seitens der Universitätsleitungen, er muss außerdem auf akademischer Augenhöhe zwischen den Wissenschaftsdisziplinen und -fächern geführt werden.
- Die Entwicklungsdynamik universitärer Forschung und Lehre bedarf angesichts der aktuellen Herausforderungen der integrativen Führung einer Universität und der Beteiligung aller Fachkulturen an ihrer konkreten Ausgestaltung. Dies gilt insbesondere angesichts der übergeordneten Forschungsinitiativen (z.B. Exzellenz- und Gesundheitsforschungsinitiative), die teilweise Allianzbildungen mit anderen universitären wie außeruniversitären Einrichtungen fordern, und angesichts der in diesem Zusammenhang notwendigen Profilentscheidungen und Schwerpunktsetzungen sowie der unverzichtbaren inneruniversitären Vernetzung der Medizin in der Lehre (interdisziplinäre Studiengänge). In dieser Hinsicht können ohne erhebliche Effektivitäts- und Effizienzverluste weder die Universitäten auf die Medizin, noch die Medizin auf die Universitäten verzichten.
- Sowohl die Kooperation der Medizinischen Fakultät mit den anderen universitären Fächern als auch ihre Integration in Forschungsverbünde mit außeruniversitären Einrichtungen sind unter den heutigen Wettbewerbsbedingungen unabdingbar. Solche Forschungskooperationen bedürfen, wie sich beispielhaft an der hohen Beteiligung von nicht-medizinischen Disziplinen an Medizin-SFB"s wie auch umgekehrt ablesen lässt, sowohl der strategischen Einbindung in die Schwerpunkte der Universitäten als auch der nachhaltigen Förderung durch ihre Universitätsleitung.
Vor diesem Hintergrund besteht eine der wichtigsten Herausforderungen darin, die gegenwärtig zu beobachtende Tendenz, wonach die Professionalisierungsentwicklungen in der Universität, der Medizinischen Fakultät und dem Universitätsklinikum zu einem Auseinanderdriften von sich "autonom" verstehenden Handlungseinheiten führt, umzukehren und zu einem kooperativ-integrativen Miteinander zu finden und dieses zu stärken.
Zur Verantwortungsgemeinschaft von Universitätsleitung, Medizinischer Fakultät und Universitätsklinikum
Die gegenwärtige Herausforderungslage für die Universitätsmedizin hat drei jeweils auf Autonomie bedachte und in unterschiedlicher Weise professionalisierte Verantwortungsbereiche in einer verträglichen, kooperationsfördernden und möglichst "schlank" organisierten Struktur zusammenzufassen. Zu unterscheiden ist dabei zwischen
- der Verantwortung der Medizinischen Fakultät für exzellente Forschung und Lehre einschließlich der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses;
- der Verantwortung des Universitätsklinikums für eine forschungsbasierte, zugleich aber Forschung und Lehre dienende, also unterstützende, an höchsten ethischen Standards ausgerichtete und in diesem umfassenden Sinne anzustrebende universitäre "Krankenversorgung", die zugleich Grundsätzen medizin-ökonomischer Professionalität gerecht wird und
- der Verantwortung der Universitätsleitung für die Profil- und Schwerpunktbildung, die auf der Einheit von Forschung und Lehre beruht und nach hochschulpolitischen Grundsätzen das interdisziplinäre Potenzial der Gesamtuniversität ausgestaltet.
Diese drei Verantwortungsbereiche und -ebenen müssen zu einer Verantwortungsgemeinschaft zusammengeführt werden. Im Verhältnis zum jeweiligen Trägerland sind die strategische Planung für die Hochschulmedizin im Kontext der landeshochschulpolitischen Entwicklungsplanung für die Medizin und der sie umgebenden Wissenschaften im Wege des Abschlusses von Zielvereinbarungen durch die Universitätsleitungen zu realisieren. Die Universitätsplanung für die Medizin ist aufs Engste mit den Medizinischen Fakultäten abzustimmen, um die Einheit der Universitätsmedizin und ihre Einbindung in die Universitäten im Interesse einer qualitätsvollen Lehre und einer erfolgreichen Forschung sicherzustellen. Aufgabe von Universitätsleitung und Medizinischer Fakultät, insbesondere dem Dekanat, ist es, die wissenschaftlichen Ziele in der Hochschulmedizin und damit das wissenschaftliche Wollen in Forschung und Lehre festzulegen. Die Aufgabe des Universitätsklinikums ist es, hinsichtlich der Möglichkeiten klinischer Forschung und Lehre über das krankenhauswirtschaftliche Können Auskunft zu geben. Die beteiligten Akteure, einerseits Universitätsleitung und Dekanat, andererseits Universitätsklinikum, bringen ihre je eigenständige Verantwortung in einen Aushandlungsprozess ein. Dessen Ziel muss es sein, in einem hoch kompetitiven und dynamisch sich entwickelnden wissenschaftlichen wie auch krankenhauswirtschaftlichen Wettbewerb zu bestehen. Die Besonderheit für die Universitätsmedizin liegt darin, dass es die wissenschaftliche Seite ist, der eine Prärogative für die Entscheidung über Ziele im Rahmen des Aushandlungsprozesses zukommt. Die Medizinische Fakultät unterscheidet sich nämlich wesentlich von einer Forschungsabteilung eines Unternehmens Krankenhaus, weil die Medizinische Fakultät nicht aus den Erträgen der Krankenhauswirtschaft, sondern aus Steuermitteln im Interesse der Freiheit der Wissenschaft finanziert wird.
Die in diesem Zusammenhang Organisationsfragen der Universitätsmedizin gewidmete Diskussion um unterschiedlich ausgestaltete Integrations- oder Kooperationsmodelle geht an der wesentlichen Fragestellung zur Entwicklung der Hochschulmedizin vorbei. Es geht nämlich darum, wer für die wissenschaftliche Entwicklung der Hochschulmedizin die strategische Verantwortung unterhalb der Ebene des Ministeriums wahrzunehmen hat: dies müssen die Universitätsleitungen im engen Zusammenwirken mit den Medizinischen Fakultäten und ihren Dekanaten sein. Die Landesgesetzgeber sind aufgerufen, kreative standortspezifische Regelungen unter Einbeziehung unterschiedlicher örtlicher Gegebenheiten und Erfahrungen zu finden, die die wissenschaftliche Integration der Medizinischen Fakultät in die Gesamtuniversität gewährleisten, und die der Krankenversorgung die Aufgabe zuweist, die klinische Forschung und Lehre zu unterstützen.
Erfordernisse landesgesetzgeberischer Grundentscheidungen zur Sicherung der Gesamtverantwortung der Universität für die hochschulmedizinische Entwicklung
Die zuständigen Landesgesetzgeber sollten dabei zur Sicherstellung der Verantwortung der Universitäten für die Hochschulmedizin vor allem folgende Aspekte in den Blick nehmen:
- Der Universität und ihrer Medizinischen Fakultät sind alle Entscheidungsagenden zuzuordnen, die die Universität und ihre Medizinische Fakultät in die Lage versetzen, über die wissenschaftliche Strategie der Universitätsmedizin zu entscheiden. Das Universitätsklinikum ist deshalb dazu zu verpflichten, die Medizinische Fakultät in der Forschung und Lehre zu unterstützen und daran ausgerichtet Aufgaben in der Krankenversorgung wahrzunehmen; eine solche gesetzliche Regelung schließt ein freies Eigentümerbelieben eines Universitätsklinikums aus und verpflichtet es, zur Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit als übergeordnetem Gemeinwohlinteresse beizutragen.
- Die Universitäts- und Fakultätsleitungen sind in den Gremien des Universitätsklinikums zu verankern und für eine angemessene Vertretung ihrer Interessen instand zu setzen. Gleiches gilt für das Universitätsklinikum, dem eine angemessene Vertretung seiner Interessen in der Universität zu gewährleisten ist. Die Art und Weise der organisatorischen Verzahnung der drei genannten Verantwortungsbereiche hat sicherzustellen, dass Universitätsleitung und Medizinische Fakultät ihre unverzichtbare Steuerungshoheit bei Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung in Fragen von Forschung und Lehre behalten. Dies betrifft insbesondere die Einbeziehung der Medizin in die Struktur- und Entwicklungsplanung der Gesamtuniversität, den Abschluss von Zielvereinbarungen zwischen Universitätsleitung und Medizinischer Fakultät einerseits sowie die Einbeziehung der Medizin in die Zielvereinbarungen der Universität mit dem Land. Entsprechend dem Grundsatz, wonach die Zuständigkeit für die Entwicklungsplanung auch die Zuständigkeit für die Budgetverteilung implizieren soll, sollte die Zuständigkeit der Universitätsleitung auch für das Budget der Medizinischen Fakultäten festgelegt sowie die Zuständigkeit für das Berufungswesen bezüglich aller, also auch der klinischen Professuren der Medizinischen Fakultäten zugewiesen werden (Zustimmung zur Freigabe, bei der über die Ausstattung und Investitionen grundsätzlich zu entscheiden ist; zur Denomination; das Recht der Ruferteilung durch die Universitätsleitung; Zustimmung des Präsidiums zu den Verhandlungsergebnissen des Dekanats). Im Interesse zeitgerechter Berufungen ist eine enge Kooperation zwischen Universität, ihrer Medizinischen Fakultät und dem Universitätsklinikum in allen klinischen Berufungsangelegenheiten vorzusehen, die unter der Gesamtverantwortung der Universitätsleitung stehen.
- Transparenz in der Verwendung und Bewirtschaftung der Landeszuschüsse für Forschung und Lehre und deren effektive Kontrolle durch die Universitäten und Medizinische Fakultäten bis hin zu ressourcensteuernden Maßnahmen durch die Universitätsleitungen. Geeignete Regelungsmechanismen im Falle von Konflikten zwischen Universitäten/Medizinischen Fakultäten und Universitätsklinika. Eindeutige Regelungen einer abgestimmten Außenvertretung von Universitäten und Universitätsklinika unter der Verantwortung der Universitätsleitungen.
- Regelungen zur Herstellung des Einvernehmens zwischen den Vorständen der Universitätsklinika und den Universitätsleitungen in Fragen des Dienst- und Tarifrechtes, die die Hochschulräte/Universitätsräte und Aufsichtsräte/Verwaltungsräte der Universitätsklinika einbeziehen.
- Vereinbarungen zwischen den Universitäten und den Universitätsklinika hinsichtlich einer Integration der Medizinischen Fakultäten in die Programme der Universitäten zur Pflege des wissenschaftlichen Nachwuchses. Eine eindeutige, aufgabenbezogene personalrechtliche Zuordnung der Beschäftigten der Universitäten/Medizinischen Fakultäten einerseits und der Universitätsklinika andererseits.
- Leistungsvereinbarungen zwischen Universität, Medizinischer Fakultät und Universitätsklinik bezüglich des Leistungsaustauschs, mit denen die Leistungsarten und Leistungsmengen, die die Medizinische Fakultät von dem Universitätsklinikum beziehen, festgelegt und bepreist werden. Leistungsvereinbarungen stehen unter dem Gebot der verursachungsgerechten Vollkostenrechnung, um auch den Vorgaben des EU-Beihilferechtes gerecht zu werden. Die Leistungsvereinbarungen sollen den Beteiligten Transparenz verschaffen und damit eine gemeinsame Vertrauensgrundlage für ihre Zusammenarbeit bieten. Deshalb ist der Universität die Hoheit über die Verwendung der Lehr- und Forschungsmittel zu gewährleisten, die sowohl die Grundlage für das Controlling bildet, als auch die Entscheidung darüber sichert, was die Universität/Medizinische Fakultät vom Universitätsklinikum zu bestellen wünscht. Kooperationsvereinbarungen sollten außerdem Regelungen über die Zusammenarbeit von Universitäts-/Dekanatsverwaltung und der Verwaltung des Universitätsklinikums andererseits enthalten. Diese sollen dafür Sorge tragen, dass bei der Aufgabenerledigung durch die Universitätsklinika Belange der Krankenversorgung nicht Lehr- und Forschungsaufgaben verdrängen; hierfür sollte auch ein Controlling zur budgetgerechten Verwendung von Arbeitszeiten vorgesehen werden.
Weitere Forderungen an Bund und Länder
Schließlich sind Bund und Länder - je nach Zuständigkeit - aufgefordert,
- eine ausreichende Grundfinanzierung von Forschung und Lehre für die Hochschulmedizin im Wege auskömmlicher staatlicher Zuführungsbeträge sicherzustellen,
- im Zuge der Föderalismusreform die notwendigen Mittel bereitzustellen, um Investitionen im Bau- und Gerätebereich zum Abbau des erheblichen Investitionsstaus in der Hochschulmedizin zu gewährleisten,
- eine dauerhafte steuerliche Befreiung im Hinblick auf den Leistungsaustausch zwischen den Universitäten, Medizinischen Fakultäten und den Universitätsklinika herzustellen,
- es zu ermöglichen, dass der Wissenschaftsrat als Akkreditierungsinstanz für die Hochschulmedizin nach wie vor in Anspruch genommen wird.