Empfehlungen zur Lehrerbildung


14. HRK-Mitgliederversammlung vom 14.5.2013

A    Einleitung

Angesichts aktueller und bevorstehender Herausforderungen für die Lehrerbildung hat die Hochschulrektorenkonferenz eine Expertenkommission einberufen, um Fragen zur gegenwärtigen Situation und zur künftigen Ausgestaltung der Lehrerbildung an den Hochschulen zu erörtern. Die Diskussionsergebnisse dieser Kommission sind in die Empfehlungen eingeflossen.

Die Hochschulen sehen sich der Idee einer kompetenzorientierten, auf die Vermittlung von Wissen und auf die Persönlichkeitsbildung ausgerichteten Lehrerbildung verpflichtet. Die für Lehrerinnen und Lehrer erforderlichen Kompetenzen können jedoch nicht allein in der ersten Phase der Lehrerbildung, dem Hochschulstudium erworben werden. Lehrerbildung ist vielmehr als berufsbiographischer Prozess der kontinuierlichen, theorie- und praxisbasierten Aus- und Fort-/Weiterbildung in den Phasen des Hochschulstudiums, des Vorbereitungsdienstes und der berufsbegleitenden Fort- und Weiterbildung zu begreifen.

Die Beiträge der verschiedenen Akteure zur Lehrerbildung sind in sachgerechter und zweckdienlicher Weise mit einander zu verschränken, erfüllen jedoch spezifische Funktionen, die nicht durch die Beiträge anderer Akteure ersetzt werden können. Die Zielsetzung der ersten Phase der Lehrerbildung, des Hochschulstudiums, ist die wissenschaftliche Qualifizierung künftiger Lehrerinnen und Lehrer, also die durch einen systematischen Forschungsbezug gekennzeichnete Vermittlung von fachwissenschaftlichen, fachdidaktischen und erziehungswissenschaftlichen Kenntnissen und Fähigkeiten. Die Habitualisierung schul- und unterrichtspraktisch notwendiger Kompetenzen und Fertigkeiten kann dagegen nicht von den Hochschulen erwartet werden. Im Hinblick auf die erste Phase der Lehrerbildung bekennen sich die Hochschulen dementsprechend ausdrücklich zu einer im Kern notwendigerweise universitären Lehrerbildung, die durch schulform-, schulstufen- oder fachbezogene Kooperationen der Universitäten mit anderen Hochschultypen zu ergänzen ist.

Die Hochschulen sehen sich aber nicht nur in der Verantwortung für die erste Phase der Lehrerbildung. Sie können und wollen darüber hinaus auch einen wesentlichen Beitrag zur dritten Phase der Lehrerbildung, der berufsbegleitenden Fort-/Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern leisten. Dieser Verantwortung können sie jedoch nur unter der Voraussetzung einer hinreichenden Unterstützung durch die bildungspolitischen Entscheidungsträger gerecht werden. Aus diesem Grund richtet die Hochschulrektorenkonferenz ihre Vorschläge und Empfehlungen zur künftigen Ausgestaltung der Lehrerbildung und der berufsbegleitenden Fort- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern in den Hochschulen nicht nur an die Hochschulen selbst, sondern auch an die relevanten bildungspolitischen Entscheidungsträger, an die Bundesländer und ihr Koordinierungsgremium, die Kultusministerkonferenz, und an den Bund. Mit diesen Empfehlungen erhebt die Hochschulrektorenkonferenz natürlich keinen Anspruch auf Verbindlichkeit.

B    Anregungen zu grundsätzlichen Fragen der Lehrerbildung und des schulischen Lehramts

Die in der Bundesrepublik Deutschland gegebene Struktur der Lehrerbildung und des Lehrerberufs hat ihre eigene schulpraktische und administrative Tradition, die zunächst von den Hochschulen unabhängig ist, aber die Erstausbildung mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. Vor allem aus dem für Deutschland spezifischen Zwei-Fächer-Grundsatz und der in vielen Bundesländern weitestgehend freien Wahl der Fächerkombinationen im Lehramtsstudium ergeben sich zahlreiche Schwierigkeiten für die inner- und außerhochschulische Lehrerbildung und das schulische Lehramt. Hierzu gehören nicht nur die fehlende fachliche Heimat der Studierenden in den Hochschulen und die möglichen Überschneidungen von Lehrveranstaltungen. Studierende in Lehramtsstudiengängen mit zwei gleichberechtigten Studienfächern sowie mit obligatorischen fachdidaktischen und erziehungswissenschaftlichen Studienanteilen erwerben notwendigerweise geringere wissenschaftliche Qualifikationen als Studierende in regulären Studiengängen mit einem einzigen Studienfach. Zudem erweist sich das Zwei-Fach-Prinzip als Hindernis der nationalen und internationalen Mobilität für Lehramtsstudierende, Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter und Lehrerinnen und Lehrer. Vor diesem Hintergrund regt die Hochschulrektorenkonferenz an,

1.    den Zugang zu schulischen Lehrämtern verschiedener Schulformen und -stufen für Lehrkräfte mit einem einzigen Unterrichtsfach und für solche Lehrkräfte zu öffnen bzw. zu erleichtern, die zwei oder mehrere Unterrichtsfächer nach einem Haupt-/Nebenfach-Modell, also nicht in gleichem Umfang studiert haben, und

2.    die in diversen Bundesländern bestehenden Fächerkombinationen zu prüfen und einen Prozess der länderübergreifenden Regelung anzustreben.

Für die Lehrerbildung und das schulische Lehramt ergeben sich darüber hinaus natürlich auch grundsätzliche Probleme aus der Vielzahl der verschiedenen Modelle, Strukturen und Rahmenbedingungen der inner- und außerhochschulischen Lehrerbildung in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland. Dies gilt in besonderem Maße für das Nebeneinander von gestuften und grundständigen Studienangeboten und von staatlichen und akademischen Abschlussprüfungen in der hochschulischen Lehrerbildung.

3.    Die Hochschulrektorenkonferenz empfiehlt den bildungspolitischen Entscheidungsträgern daher, sich im Interesse aller Beteiligten und jenseits der inzwischen erreichten Anerkennung der länderspezifisch erworbenen Prüfungen und Zertifikate weiterhin auch um eine länderübergreifende Harmonisierung dieser Modelle und Strukturen zu bemühen.

C    Anregungen zur künftigen Ausgestaltung der hochschulischen Lehrerbildung
1.    Förderung der erziehungswissenschaftlichen und der fachdidaktischen Forschung
Die für die erfolgreiche Professionalisierung von Lehrerinnen und Lehrern wesentliche Frage nach schulform- und schulstufenunabhängig erforderlichen Kernkompetenzen ist bislang nicht befriedigend beantwortet. Hier besteht ein dringender Bedarf an wissenschaftlich fundierten, empirisch gestützten Argumentations- und Entscheidungshilfen. Die Hochschulrektorenkonferenz empfiehlt dementsprechend, die auf das Berufsfeld bezogene erziehungswissenschaftliche Forschung gezielt zu fördern. Mit Blick auf den spezifischen Beitrag der Universitäten zu einem kontinuierlichen, berufsbiographischen Prozess der Lehrerbildung empfiehlt sie, darüber hinaus auch die fachdidaktische Forschung gezielt zu fördern.

2.    Verankerung der Lehrerbildung in den hochschulischen Strukturen
Hier sind zwei Modelle zu unterscheiden, die Lehrerbildung in Hochschulen mit einem Schwerpunkt in der Lehrerbildung (wie z.B. die Pädagogischen Hochschulen Baden-Württembergs) einerseits und die Eingliederung der Lehrerbildung in die Strukturen der Universitäten und Hochschulen andererseits. Das erstgenannte Modell bedeutet zunächst ein deutliches Profilmerkmal, birgt aber die Gefahr, die Lehrerbildung von der Breite der Fachwissenschaften abzukoppeln. Andererseits stellen auch die in verschiedenen Landeshochschulgesetzen festgeschriebene Einrichtung von Lehrerbildungszentren an den Universitäten oder die vereinzelt eingerichteten Professional Schools of Education für sich alleine noch keine qualitätsverbessernden Maßnahmen dar.
Die Hochschulrektorenkonferenz empfiehlt, diese Zentren auch für die weiterführende wissenschaftliche Qualifizierung von Lehrerinnen und Lehrern im Bereich der Fachdidaktik zu nutzen. Dies würde verbindliche Regelungen zur Freistellung schulischer Lehrkräfte durch die Schulträger voraussetzen, die länderübergreifend festgeschrieben werden sollten.

3.    Fort- und Weiterbildung für Lehrerinnen und Lehrer / Quer- und Seiteneinstieg in das Lehramt
Die Hochschulen können ihrer Verantwortung für die dritte Phase der Lehrerbildung, für die berufsbegleitende Fort- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern nur unter der Voraussetzung ausreichender Ressourcen gerecht werden. Die Hochschulrektorenkonferenz empfiehlt aus diesem Grund, hochschulische Fort- und Weiterbildungsangebote in die Kapazitätsberechnungen mit einzubeziehen oder sie als kostenpflichtige Angebote einzuführen. Dies würde wiederum voraussetzen, dass Lehrerinnen und Lehrer durch die Schulträger zur Nutzung solcher Angebote angehalten und bei der Nutzung kostenpflichtiger Angebote auch in angemessener Weise unterstützt werden. Gleiches gilt für berufsbegleitende Studienangebote zur Unterstützung des Quer- und Seiteneinstiegs in das schulische Lehramt.

4.    Qualitätssicherung in der Lehrerbildung
Die Qualitätssicherung von Lehreramtsstudiengängen an Hochschulen muss je nach Modell differenziert betrachtet werden (vgl. Punkt 2). Die Hochschulrektorenkonferenz empfiehlt, die landesspezifische Verpflichtung zur Programmakkreditierung von Lehramtsstudiengängen aufzuheben und die externe Qualitätssicherung solcher Studiengänge verpflichtend in Verfahren der institutionellen Auditierung oder Akkreditierung zu integrieren. Die Qualitätssicherung der zweiten und der dritten Phase der Lehrerbildung ist durch Kooperationsverträge der Partner und durch wissenschaftliche Begleitforschung zu gewährleiten.

5.    Eignungsfeststellung, Beratung und Reflexion der Studienwahl
Qualität und Wirksamkeit des schulischen Unterrichts hängen maßgeblich von den Kenntnissen, Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmalen der Lehrkräfte ab. Die Wirksamkeit der hochschulischen Lehrerbildung wiederum ist nicht allein von der Ausbildung, sondern nicht zuletzt auch von der Eignung der Studierenden für das Lehramtsstudium und das schulische Lehramt abhängig. Daher empfiehlt die Hochschulrektorenkonferenz, die Hochschulen bei der Entwicklung und der Nutzung von Instrumenten der Eignungsfeststellung zu unterstützen.

6.    Inklusion / Umsetzung der Behindertenrechtskonvention in der Lehrerbildung
Die Hochschulen begrüßen die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention. Eine inklusionspädagogische Qualifizierung künftiger Fachlehrkräfte im Rahmen der hochschulischen Lehrerbildung könnte z.B. darauf ausgereichtet sein, diesen Lehrkräften diagnostische Fähigkeiten zu vermitteln, sie zu einer Erstberatung und zu einer wirkungsvollen weiterführenden Zusammenarbeit mit Inklusions-, Sonder- und Sozialpädagogen an den Schulen zu befähigen. Die Hochschulrektorenkonferenz empfiehlt daher, sich bei der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention für die unterrichtsfachbezogene hochschulische Lehrerbildung weniger an dem Paradigma der inklusionspädagogisch spezialisierten Fachlehrkraft als vielmehr an der Idee des multiprofessionellen Teams zu orientieren. Sie weist in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hin, dass eine inklusionspädagogische Qualifizierung von künftigen Lehrkräften im Rahmen des Hochschulstudiums eine entsprechende Ausstattung der Hochschulen voraussetzt.

7.    Kooperative Formen der Professionalisierung und der Spezialisierung von schulischen Lehrkräften
Zur Sicherung umfassender Portfolios von fachlichen, (fach)didaktischen, pädagogischen und sozial-kommunikativen Kompetenzen an den Schulen empfiehlt es sich, kooperative Formen der Spezialisierung und der berufsbegleitenden Professionalisierung schulischer Lehrkräfte zu fördern. Lehrerinnen und Lehrer sollten daher bei der Bildung von Arbeitseinheiten und Teams unterstützt werden, in denen sie sich im Sinne der kontinuierlichen und kollegialen Supervision wechselseitig unterstützen und durch die Ausbildung spezifischer Kompetenzprofile ergänzen. Um künftige Lehrkräfte zu einer solchen Zusammenarbeit zu befähigen, empfiehlt die Hochschulrektorenkonferenz dementsprechend, kooperative Formen des forschenden, problemorientierten Lernens stärker in die hochschulische Lehrerbildung zu integrieren.

8.    Internationalisierung und Interkulturalität in der Lehrerbildung
Das Anforderungsprofil für Lehrerinnen und Lehrer zeichnet sich in zunehmendem Maße durch die Fähigkeit aus, mit heterogenen und durch kulturelle Vielfalt geprägten Lerngruppen pädagogisch erfolgreich umzugehen. Zudem ist die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler in zunehmendem Maße durch die Auflösung nationaler Bezugsgrößen gekennzeichnet. Ihrer Rolle als Multiplikatoren können Lehrer und Lehrerinnen nur gerecht werden, wenn sie selbst die hierfür unabdingbaren persönlichen interkulturellen Erfahrungen gemacht haben. Daher empfiehlt die Hochschulrektorenkonferenz, dass Hochschulen im Kontext ihrer umfassenden Internationalisierungsstrategien auch ihre Studienangebote in der Lehrerbildung konsequent internationalisieren. Dies bezieht sich sowohl auf die Integration von Mobilitätsfenstern in die Curricula und die Förderung von Schulpraktika im Ausland als auch auf die gezielte Vermittlung interkultureller Kenntnisse und Fähigkeiten im Sinne einer „Internationalisierung zu Hause“.

9.    Hochschul- und hochschulformübergreifende Kooperationen in der Lehrerbildung
Hochschulische Lehrerbildung ist auf die integrierte Vermittlung von fachwissenschaftlichen, fachdidaktischen und erziehungswissenschaftlichen Kompetenzen ausgerichtet und somit im Kern eine universitäre Lehrerbildung. Sie ist jedoch unbedingt durch schulform-, schulstufen- oder fachbezogene Kooperationen der Universitäten mit anderen Hochschultypen und außerhochschulischen Akteuren der Lehrerbildung gezielt zu ergänzen.

10.    Berechnung der Kapazitäten für die Lehrerbildung
Die Kapazitäten einzelner fachwissenschaftlichen Disziplinen, die an der Lehrerbildung beteiligt sind, sind an vielen Universitäten umfangreicher als die Kapazitäten der Erziehungswissenschaften und der Fachdidaktiken an diesen Universitäten. Dennoch werden sie häufig zur Grundlage der Berechnung der für die Lehramtsstudiengänge verfügbaren Kapazitäten gemacht. Eine hochwertige hochschulische Lehrerbildung setzt jedoch die Integration fachwissenschaftlicher, fachdidaktischer und erziehungswissenschaftlicher Inhalte voraus. Daher regt die Hochschulrektorenkonferenz an, sich bei der Berechnung der für die Lehramtsstudiengänge einer Universität verfügbaren Kapazitäten grundsätzlich an der Disziplin zu orientieren, die über die im Verhältnis zu der Zahl der zu betreuenden Studierenden geringsten Kapazitäten verfügt, die Universitäten also so auszustatten, dass Kapazitätsengpässe in der Lehrerbildung vermieden werden können.

D     Abschließende Bemerkungen
Die Hochschulen sind sich der besonderen Verantwortung, die sie mit ihrem Beitrag zur Lehrerbildung übernehmen, bewusst. Sie haben sich den mit der Lehrerbildung verbundenen Herausforderungen in der Vergangenheit erfolgreich gestellt und werden die Lehrerbildung auch zukünftig als eine ihrer vordringlichen Aufgaben betrachten. Die Hochschulrektorenkonferenz weist jedoch mit Nachdruck darauf hin, dass die Hochschulen dieser Verantwortung nur unter der Voraussetzung einer hinreichenden Unterstützung durch die Länder und den Bund gerecht werden können. Die Umsetzung der oben formulierten Anregungen zur künftigen Ausgestaltung der hochschulischen Lehrerbildung setzt ein entsprechendes Engagement der Länder und des Bundes in den genannten Bereichen dementsprechend voraus. Der Beschluss der Kultusministerkonferenz vom März 2013 zur bundesweit verpflichtenden Anerkennung der Lehramtsabschlüsse ab 2014 sowie die im April 2013 von der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz beschlossene Qualitätsoffensive für die Lehrerbildung sind bereits wichtige Schritte in diese Richtung und werden von der HRK nachdrücklich begrüßt.