Entschließung "Finanzierung der Hochschulen"


Entschließung der 11. Mitgliederversammlung der HRK am 22.11.2011

I. Vorwort
Die vermehrte Einräumung von Autonomierechten zugunsten der Hochschulen schafft neue Entscheidungsräume und ermöglicht den Hochschulen die Beweglichkeit, die sie im Wettbewerb um die besten Köpfe benötigen. Neben der Stärkung der Autonomie ist eine ausreichende Grundfinanzierung durch den Staat notwendig, damit die Hochschulen ihre Aufgaben erfüllen können. Die zu beobachtende Tendenz real rückläufiger Grundmittel führt andernfalls zu einer massiven Einschränkung der Handlungsfähigkeit der Hochschulen, welche die Autonomiegewährung konterkarieren würde.

II. Entschließungen

  1. Die Hochschulen benötigen eine verlässliche Grundfinanzierung.
  2. Bund und Länder müssen die Bildungsinvestitionen erhöhen.
  3. Die Kompetenzen von Bund und Ländern im Bereich der Bildungspolitik müssen neu austariert werden.
  4. Es gibt keine "demographische Rendite" im Hochschulbereich, die zur Sanierung anderer öffentlicher Haushalte genutzt werden kann.

III. Hintergrund

1. Ausgangslage

Die wirtschaftliche Stärke der Bundesrepublik Deutschland darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihre Wettbewerbsposition aufgrund der demographischen Entwicklung und der mangelnden Dynamik des Bildungssektors bedroht ist. Die Bevölkerung im erwerbfähigen Alter nimmt kontinuierlich ab. Gleichzeitig reicht der Anstieg der Zahl an Erwerbsfähigen mit tertiärer Ausbildung nicht aus, um dem wachsenden Fachkräftebedarf der Wirtschaft ein angemessenes Angebot gegenüberzustellen.

Einer Studie zufolge werden bei einem wirtschaftlichen Wachstum von 1,5 Prozent jährlich bis zum Jahre 2020 rund 2,5 Millionen Vollzeiterwerbstätige fehlen, darunter 2,4 Millionen Fachkräfte, von denen die Hälfte eine akademische Ausbildung haben sollte. Deutschland hat zwar ein vorbildliches System beruflicher Ausbildung, mit einer Studienneigung von deutlich unter 40 Prozent ist es aber gegenwärtig (bezogen auf das Jahr 2008) in der OECD nach der Türkei, Belgien, Mexiko und Luxemburg das Land mit der geringsten Studierneigung.

Trotz einer Expansion bei der tertiären Ausbildung in den vergangenen Jahren, wird das Begabungspotenzial nicht annähernd ausgeschöpft. Der Anteil der Hochschulabsolventen am Altersjahrgang stieg auf 25 Prozent, im OECD-Mittel verlief diese Entwicklung jedoch dynamischer und auf einem höheren Niveau: Hier wuchs der Anteil der Hochqualifizierten am typischen Altersjahrgang im gleichen Zeitraum auf 38 Prozent.

Das mangelnde Engagement im Bildungs- und Hochschulbereich lässt sich an verschiedenen Indikatoren festmachen: Mit einem Anteil der Hochschulausgaben von 1,1 Prozent am Bruttoinlandsprodukt liegt Deutschland deutlich unter dem Durchschnittswert der OECD-Staaten von 1,5 Prozent. Dabei sind sowohl der Anteil der öffentlichen Ausgaben für den Tertiärbereich (0,9 Prozent gegenüber 1 Prozent) wie der Anteil der privaten Ausgaben (0,2 gegenüber 0,5 Prozent) unterdurchschnittlich.

Außerdem hat sich die Finanzierungsstruktur der Hochschulen nachteilig verändert: Während die Grundmittel im Zeitraum 1995 - 2008 nominal nur um 6 Prozent gestiegen, real also gesunken sind, haben sich die Drittmittel der Hochschulen mehr als verdoppelt und ihr Anteil ist von 11 Prozent auf 20 Prozent der Hochschulausgaben angestiegen. Internationale Experten halten die Diversifizierung der Mittelströme für unerlässlich, um die Finanzierung des Hochschulsektors langfristig zu sichern, die Einwerbung und Umsetzung von Drittmittelprojekten setzt jedoch eine angemessene Grundfinanzierung voraus.

Die über Jahre verfestigte Unterfinanzierung bremst die Entwicklung des Hochschulbereichs in quantitativer und qualitativer Hinsicht. Dabei sind Investitionen in Humankapital im Allgemeinen und in Bildung und Forschung im Besonderen wichtige Determinanten des Wirtschaftswachstums.

Bildungsinvestitionen sind in einer alternden Gesellschaft nicht nur überlebenswichtig, sie rentieren sich auch. Die Summe aus zusätzlichen Einnahmen aus Steuern und Sozialabgaben sowie geringeren Ausgaben für Transferleistungen beläuft sich mit 210.000 US-Dollar pro Absolventen gegenwärtig fast auf das Fünffache der Kosten, die durch die Finanzierung des Studienplatzes und die Einnahmeausfälle aus kürzeren Erwerbszeiten entstehen. Aufgrund der absehbaren Fachkräftelücke und daraus resultierender Wachstumseinbußen droht aber bis zum Jahre 2020 ein Einnahmeausfall von 1.200 Milliarden Euro, der sich in Wohlstandseinbußen niederschlagen wird.

2. Notwendige Maßnahmen im Bereich der Hochschulpolitik
Um die Lücke zwischen der Nachfrage nach Fachkräften einerseits und der gegenwärtigen Angebotslage mit ihren volkwirtschaftlichen Kosten zu verringern, ist die aktive Erschließung von Begabungsreserven von höchster Priorität. Für den Hochschulbereich sind daher folgende Ziele anzustreben:

  • Steigerung der Übergangsquote vom Schul- in den Hochschulbereich
  • Erhöhung der Attraktivität der deutschen Hochschulen für internationale Studierende Steigerung der Zahl beruflich Qualifizierter ohne formale Hochschulzugangsberechtigung im Hochschulbereich
  • Verringerung der Studienabbruchquote
  • Vermehrte Angebote im Bereich des lebenslangen Lernens

Die Übergangsquote vom Schul- in den Hochschulbereich ist in den vergangenen Jahren von unter 70 auf heute 80 Prozent angestiegen. Einer von fünf Hochschulzugangsberechtigten entscheidet sich jedoch gegen ein Studium. Will man den Übergang von der Schule zur Hochschule weiter steigern, müssen das Angebot an Studienplätzen ausgebaut und über gezielte Maßnahmen mehr Schüler für ein Studium gewonnen werden. Da viele Familien vor den individuellen Kosten des Studiums zurückschrecken, sollten zudem die finanziellen Hilfen verstärkt werden, sei es in Form von Stipendien oder Krediten, damit ein Studienverzicht aus materiellen Erwägungen entfällt. In Deutschland lag der Anteil der internationalen Studierenden im Jahr 2008 bei 9,3 Prozent. Hinter Australien, dem Vereinigten Königreich und Österreich wurde damit ein Spitzenplatz erreicht.

Deutschland profitiert von der Vielzahl ausländischer Studierender: Etwa ein Viertel der Ausländerinnen und Ausländer, die in Deutschland einen Abschluss erwerben, nehmen hier eine Berufstätigkeit auf. Für das Werben um mehr internationale Studierende ist die Verbesserung der Betreuungsrelationen eine wichtige Voraussetzung. Aufgrund intensiverer Betreuung und besserer Rahmenbedingungen (Wohnmöglichkeiten und Stipendien) ist die Erfolgsquote in den angelsächsischen Ländern deutlich höher. Um die Zahl der Berufstätigen, die ohne formale Hochschulzugangsberechtigung ein Studium aufnehmen, deutlich zu steigern, müssen die Hochschulen in die Lage versetzt werden, zusätzliche und spezifische Veranstaltungen anzubieten (Brückenkurse, Mentoring-, Coaching-Programme, etc.), die ein erfolgreiches Studium ermöglichen, z.B. in den Bereichen Sprache, mathematisch-naturwissenschaftliche Grundlagen oder Techniken wissenschaftlichen Arbeitens.

Auch bedarf es eines vermehrten Angebots berufsbegleitender Studienmöglichkeiten bzw. von Teilzeitstudiengängen, die es diesem Personenkreis erlauben, ein Studium neben einer Berufstätigkeit aufzunehmen und ihm die Möglichkeit sichert, zu studieren, ohne den Arbeitsplatz und die materielle Sicherung ganz aufzugeben. Berufsbegleitende und Teilzeit-Angebote setzen aber die Bereitstellung entsprechender personeller Kapazitäten voraus.Ebenso ist die Schaffung von Angeboten für akademisch ausgebildete Zuwanderer, deren vielfältige Qualifikationen aufgenommen und weiterentwickelt werden könnten, an die Bereitstellung entsprechender Kapazitäten gebunden.

Die Verbesserung der Betreuungsrelationen ist auch die Voraussetzung, die Erfolgsquoten Studierender in Deutschland deutlich zu steigern. Kleinere Gruppengrößen können auch dazu führen, dass Talente besser erkannt, gefördert und beraten werden.Weiterführende Studiengänge müssen in ausreichender Zahl zur Verfügung gestellt werden. Gleichzeitig müssen Angebote im Bereich des Lebenslangen Lernens verstärkt werden.Weitere Strategien um zusätzliche Begabungsreserven (z.B. Kinder aus einkommensschwachen, bildungsfernen und aus Migrantenfamilien) zu gewinnen, die im Bereich der frühkindlichen Bildung und im Schulbereich ansetzen müssen, werden von den Hochschulen nachdrücklich unterstützt.

3. Voraussetzungen für die Realisierung entsprechender Maßnahmen
Der Nachholbedarf im Bildungsbereich ist groß. Das Angebot an Studienplätzen reicht gegenwärtig nicht aus, allen Studierwilligen ein Hochschulstudium zu ermöglichen. Es fehlt längerfristig an einer ausreichenden Zahl von Masterstudienplätzen. Der bauliche Sanierungsbedarf ist erheblich. Ferner ist es, wie oben dargelegt, notwendig, weitere Bildungsreserven im In- und Ausland zu erschließen und die Qualität der Ausbildung zu verbessern.

Gleichzeitig gilt es die Hochschulforschung zu stärken, kommt doch den Hochschulen als dem größten gesamt öffentlich finanzierten Forschungsakteur eine zentrale Rolle im Innovationsprozess und bei der Bewältigung der Zukunftsaufgaben zu. Doch in keinem Mitgliedsstaat der OECD ist der Anteil der öffentlichen Ausgaben für Bildung an allen öffentlichen Ausgaben niedriger als in Deutschland.

Dies macht deutlich, dass die Finanzierung des Hochschulbereichs künftig große Anstrengungen erfordert. Selbst bei längerfristig rückläufigen Jahrgangsstärken wird die Finanzierung, um die gesteckten Ziele zu erreichen, vorübergehend gesteigert werden müssen. Eine "demographische Rendite", die nach Auffassung der Finanzpolitiker in den kommenden Jahren im Bildungsbereich anfallen wird und zu einer Entlastung der öffentlichen Haushalte beitragen soll, wird jedenfalls nicht realisiert werden können.

Für die Bereitstellung der notwendigen Finanzierung müssen aber die geeigneten strukturellen Voraussetzungen geschaffen werden. Die Länder haben große Probleme, ihrer finanziellen Verantwortung gerecht werden zu können. Diese werden sich im Vorgriff auf die sog. Schuldenbremse, die zum Ende des Jahrzehnts greifen wird, weiter verschärfen. Einigen Ländern verbleibt in ihren Budgets nach Abzug bundespolitisch determinierter Ausgaben und aufgrund fehlender eigener Einnahmen nur ein schmaler Spielraum für die Finanzierung der Bildung.

Art. 91b Grundgesetz erlaubt bei der Förderung von Vorhaben der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen nur ein Zusammenwirken von Bund und Ländern in Fällen überregionaler Bedeutung und unter der Voraussetzung, dass alle Länder zustimmen. Diese Bedingungen sind nicht geeignet, die erforderlichen Investitionen in den Bildungsbereich und den davon erhofften Modernisierungsschub einzuleiten.

Es ist zwingend erforderlich, die Kooperationsmöglichkeiten von Bund und Ländern bei der Grundfinanzierung der Hochschulen - auch in der Lehre - ggf. durch eine Änderung des Grundgesetzes zu verbessern. Andernfalls müssten die Länder im Zuge der Finanzverteilung in die Lage versetzt werden, den Bildungsbereich angemessen zu finanzieren. Zudem wird es erforderlich sein, den Anteil privater Mittel für die Finanzierung des Hochschulbereichs zu steigern. Im internationalen Vergleich ist dieser Anteil in Deutschland mit 16,6 Prozent stark unterdurchschnittlich (OECD-Durchschnitt 33,3 Prozent, gemessen am Anteil des BIP beträgt er in Deutschland 0,2 Prozent bei einem OECD-Durchschnitt von 0,5 Prozent).

Die Politik wird aufgefordert, die für die Akquirierung zusätzlicher privater Mittel förderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. In welchem Umfang die Hochschulen über den gegenwärtigen Rahmen hinaus Mittel akquirieren können, hängt nicht zuletzt auch davon ab, ob sie die Möglichkeit haben, die Studierenden an der Finanzierung des Studiums zu beteiligen.

Hier hat sich ein Politikwechsel in den meisten Ländern vollzogen. Sie schafften bestehende Beiträge ab oder schränkten sie zumindest ein. Damit entfällt gegenwärtig ein wichtiger finanzieller Beitrag zur Finanzierung der Lehre. Eine Kompensation der ausbleibenden Einnahmen durch staatliche Mittel ist unbedingt erforderlich. Die Beschlusslage der HRK zu Studienbeiträgen ist in der Entschließung des 205. HRK-Plenums vom 23.11.2005 "Zur künftigen Studienfinanzierung" niedergelegt.

Nicht zuletzt gilt es, die strukturelle Zusammensetzung des Mittelaufkommens der Hochschulen zu verändern. Das Drittmittelaufkommen der Hochschulen ist seit dem Jahre 2000 um 80 Prozent angestiegen. Dies ist vor allem eine Folge verschiedener Programme zur Stärkung der Forschung. Hochschulen haben aber auch steigende Einnahmen aus wirtschaftlicher Tätigkeit generiert, für die im Rahmen der Grundfinanzierung keine Mittel bereitstanden.

Im Gegensatz dazu fallen die Grundmittel in realen Werten seit Mitte der 90er Jahre. Mit anderen Worten, dem Anstieg der Studienanfängerzahlen im letzten Jahrzehnt steht lediglich ein Anstieg der Drittmittel und der wettbewerblich eingeworbenen Mittel gegenüber.

Diese können jedoch nur für die Zwecke eingesetzt werden, für die sie eingeworben wurden. Sie können nicht für die Finanzierung der Lehre herangezogen werden. Drittmittel können also fehlende Grundfinanzierung nur eingeschränkt ersetzen, vielmehr bedarf es zur Einwerbung einer angemessenen Grundausstattung und zur Umsetzung der Projekte eines ausreichenden overheads (Bereitstellung von Räumlichkeiten, technischer Ausstattung sowie Verwaltung), der wiederum aus den Grundmitteln bestritten werden muss. In den vergangenen Jahren haben die Hochschulen eine Vielzahl neuer und weiterer Aufgaben übernommen, die ebenfalls längerfristig finanziert werden müssen.

Auch der Vorsitzende des Wissenschaftsrates weist darauf hin, dass es für die Hochschulen dadurch schwieriger wird, in ihrem Kerngeschäft, der Vermittlung von Wissen und der Reproduktion wissenschaftlichen Nachwuchses, das erreichte Leistungsniveau zu halten bzw. auszubauen. Besonders problematisch ist die Praxis in vielen Ländern, eine Anlauffinanzierung für bestimmte Projekte einzuräumen, die längerfristig von den Hochschulen übernommen bzw. fortgesetzt werden müssen. Nicht selten werden auf diese Weise auch Projekte auf den Weg gebracht, die von staatlicher Seite oder von Geldgebern gewünscht werden, die Hochschule langfristig in ihrem Ausgabenverhalten binden.

Um auf die Aufgaben der Zukunft angemessen reagieren zu können, benötigen die Hochschulen eine verlässliche Grundfinanzierung, die ihnen längerfristige Planungssicherheit und eine gewisse Flexibilität in der Ausgabengestaltung gibt. Wettbewerblich vergebene Mittel können nur zusätzlich, nicht ersatzweise vergeben werden. Kurzfristige und anhaltende Kurswechsel wie zum Beispiel in einigen Ländern bezüglich der Studienbeiträge machen längerfristige strategische Planungen unmöglich. Ähnliche Probleme bringen kurzfristige Änderungen der Zielsetzungen, z.B. durch neue Mittelverteilungsmodelle, mit sich.

IV. Fazit
Bildung muss als volkswirtschaftliches Vermögen betrachtet werden, dem besonders in einer alternden Gesellschaft eine überragende Bedeutung zukommt. Dem muss die Politik Rechnung tragen. Es ist unverantwortlich, eine demographische Rendite zur Sanierung der Haushalte einzuplanen. Die Hochschulen appellieren an Bund und Länder, vermehrt Bildungsinvestitionen zu tätigen, um den künftigen Wohlstand zu sichern.