Evaluation der Lehre - Sachstandsbericht mit Handreichungen


Vom 190. Plenum am 21./22. Februar 2000 zur Kenntnis genommen


I. Einleitung


Seit der Plenar-Entschließung der HRK "Zur Evaluation im Hochschulbereich unter besonderer Berücksichtigung der Lehre" vom 3.7.1995 und den Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Stärkung der Lehre in den Hochschulen (1996) hat sich die Situation sowohl hochschulpolitisch als auch hinsichtlich der Praxis der Qualitätssicherung in den Hochschulen wesentlich weiter entwickelt.


Mit der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes (HRG) ist Qualitätssicherung, auch in der Lehre, eine gesetzliche Forderung (§ 6 HRG i.d.F. vom 20.8.1998). Die Länder haben dementsprechend - zum Teil auch schon früher - ihre Hochschulgesetze geändert bzw. Gesetzgebungsverfahren eingeleitet.


Ausgehend von den Erfahrungen der europäischen Pilotprojekte von 1994/95 hat der Rat der Europäischen Union im September 1998 eine Empfehlung "betreffend die europäische Zusammenarbeit zur Qualitätssicherung in der Hochschulbildung" verabschiedet. Darin wird den Mitgliedstaaten empfohlen, Systeme der Qualitätssicherung nach gemeinsamen Grundsätzen aufzubauen.


Die HRK legt den folgenden Sachstandsbericht mit Handreichungen für die Durchführung von Evaluationsverfahren vor, um einerseits den genannten Veränderungen Rechnung zu tragen und andererseits gemeinsame Verfahrensstandards für die Qualitätssicherung der Lehre in Deutschland zu gewährleisten.


II. Ausgangslage


II.1 Qualität der Lehre - Herausforderung und Aufgabe


In den Hochschulen in Deutschland gewinnen Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Lehre zunehmende Bedeutung. Die Hochschulen tragen damit zum einen den grundlegend veränderten Bedingungen und Erwartungen bei der Bildung und Ausbildung von rund einem Drittel der jungen Generation Rechnung, zum anderen setzen sie sich aktiv mit den Herausforderungen eines globalen Bildungsmarktes auseinander.


Evaluation der Lehre bleibt ohne angemessene Berücksichtigung des Stellenwertes von Forschung und Entwicklung für Lehre und Studium unvollständig. Forschung und Entwicklung müssen daher in diesem Zusammenhang stets berücksichtigt werden. In allen Hochschulen bilden auch die Anwendung von Wissen, die Kooperation mit Unternehmen und Transferleistungen eine wichtige Basis für gute Lehre.


Sofern Qualitätsmängel in der Lehre - insbesondere im Rahmen von Evaluationsverfahren - festgestellt werden, finden sich statistische Häufungen bei bestimmten strukturellen, konzeptionellen und organisatorischen Ursachen. Verbesserungen werden daher zumeist vom Erreichen folgender Qualitätsmerkmale erwartet:

  • Das Lehrangebot wird in der Gesamtverantwortung des Fachbereichs/der Fakultät wahrgenommen. Bildungs- und Ausbildungsziele sind explizit formuliert und verbindlich.

  • Leistungsstandards und Leistungserwartungen sind transparent und für das Verhalten von Lehrenden und Lernenden maßgebend.

  • Die einzelnen Studienangebote eines Studiengangs sind in sich kohärent verzahnt und bilden eine nachvollziehbare Prozesskette.

  • Lehre, Studium und Prüfungswesen sind zeitlich und inhaltlich gut abgestimmt; es wird darauf geachtet, dass mit der Lebenszeit junger Menschen sorgsam umgegangen wird.

  • Betreuungs- und Beratungsangebote für Studierende sind ausreichend vorhanden.

  • Anforderungen des Arbeitsmarktes sowie Bedürfnisse und Erwartungen der Studierenden an Bildung und Ausbildung werden bei der Ausgestaltung und Weiterentwicklung der Studiengänge berücksichtigt und regelmäßig überprüft.

II.2 Praxis der Qualitätssicherung im Hochschulbereich


Die Hochschulen in Deutschland praktizieren nach einer Umfrage der HRK bereits vielfältige Maßnahmen zur Qualitätssicherung in der Lehre. In den vergangenen Jahren sind - teils auf Länderebene, teils länderübergreifend - einzelne Agenturen, Netzwerke und Verbünde von Hochschulen gegründet worden, die Evaluationsverfahren durchführen:

  • der Verbund Norddeutscher Universitäten ("Nordverbund" - seit 1994) als Zusammenschluss der Universitäten Oldenburg, Bremen, Hamburg, Kiel, Rostock und Greifswald. Bis November 1999 wurden Studiengänge an 69 Fachbereichen evaluiert.

  • die Zentrale EvaluationsAgentur der niersächsischen Hochschulen (ZEvA - seit 1995) wird von der niedersächsischen Landeshochschulkonferenz getragen und von der Landesregierung gefördert. Bis November 1999 wurden fast alle Studiengänge an Universitäten und Fachhochschulen des Landes evaluiert.

Weitere Agenturen und Hochschulnetzwerke wurden in jüngerer Zeit gegründet. Sie haben bereits vereinzelt an der Evaluation von Lehre und Studium mitgewirkt oder führen hochschulübergreifende Evaluationsverfahren durch:

  • die Geschäftsstelle für Evaluation an Universitäten in Nordrhein-Westfalen (seit Dezember 1996) und

  • die Geschäftsstelle für Evaluation an Fachhochschulen in Nordrhein-Westfalen (seit April 1997).

  • Universitäten Halle, Jena und Leipzig, und

  • TU Darmstadt, Universitäten Kaiserslautern und Karlsruhe in Verbindung mit der ETH Zürich.

Derzeit (Januar 2000) gibt es weitere Initiativen in verschiedenen Ländern, Evaluations-Agenturen bzw. -Netzwerke zu errichten.


Neben Evaluationsverfahren werden in zahlreichen Fachbereichen auch andere Formen der Qualitätsbewertung praktiziert, vor allem Befragungen von Studierenden bzw. Veranstaltungsbewertungen durch Studierende in unterschiedlicher Form. Die Initiative geht in den meisten Fällen von Lehrenden oder Gruppen von Studierenden aus, zum Teil auch von Hochschul- oder Fachbereichsleitungen.


Diese Veranstaltungsbewertungen weisen teilweise erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Breite des gewählten Ansatzes, der Reichweite und Nachhaltigkeit der angestrebten Ziele auf. Neben Fachbereichen, die ihr Lehrangebot systematisch auf den Prüfstand stellen, finden sich auch vereinfachte, auf die Bewertung von Einzelveranstaltungen gestützte Professorenrankings. Teilweise bleibt offen, inwieweit die Ergebnisse zu positiver Rückkoppelung und nachhaltiger Verbesserung der Organisation von Lehre und Studium führen.


Eine kleine Zahl von Fachbereichen, Instituten oder Lehrstühlen, aber auch zwei private Fachhochschulen, haben ein Qualitätsmanagement nach der Norm DIN EN ISO 9000ff eingeführt. Eine ebenfalls kleine, nicht näher bekannte Anzahl von Einrichtungen arbeitet nach Grundsätzen des Total Quality Management (TQM) bzw. der European Foundation for Quality Management (EFQM). Beide Verfahren wurden für die Wirtschaft entwickelt und erfordern erhebliche Anpassungen an den Hochschulbetrieb. Sie erfordern eine umfassende interne Bestandsaufnahme und zumeist durchgreifende Restrukturierung aller Abläufe innerhalb der betreffenden Einrichtung und sind daher überdies mit hohem Aufwand verbunden. Es ist deshalb fraglich, ob sie größere Verbreitung im Hochschulbereich finden werden.


Vereinzelt finden sich weitere Verfahren der strukturierten Problem- und Leistungsanalyse von Fachbereichen (z.B. Organisationsentwicklung durch externe Beratungseinrichtungen, sog. "einstufige Evaluationsverfahren"), die aber zum Teil vom oben beschriebenen Standardverfahren der internen und externen Evaluation mehr oder weniger stark abweichen.


III. Zur Durchführung von Evaluationsverfahren


III.1 Grundsätze


Autonome, für ihre strukturelle Entwicklung und ihre budgetären Entscheidungen verantwortliche Hochschulen sind auch in höherem Maße für die Qualität in Lehre und Forschung selbst verantwortlich. Evaluation kann daher auf Dauer nicht folgenlos bleiben. Sie wird zu einem wichtigen hochschulinternen, differenziert zu handhabenden Instrument der Selbststeuerung. Evaluation wird mit anderen wichtigen Entwicklungen in den Hochschulen eng verknüpft sein, wie etwa mit einer langfristigen Entwicklungsplanung, neuen Formen der internen Mittelverteilung, der Reform von Leitungs- und Organisationsstrukturen in den Hochschulen und der Akkreditierung von Studienprogrammen und Institutionen.


Evaluation wird damit zu einem grundlegenden Instrument einer Hochschulentwicklung in Selbstverantwortung. Daher bedarf es im Hinblick auf die hochschulinterne Verteilung von Mitteln auf der Basis von Zielvereinbarungen und im Rahmen echter Globalhaushalte künftig eines Konsenses über die Regeln innerhalb der Hochschulen, nach denen qualitätsbezogene Anteile der Budgets an die Fachbereiche vergeben werden.


Das primäre Ziel von Evaluation ist Qualitätsverbesserung, nicht die Messung von Kennzahlen. Qualitätsverbesserung kann nicht von außen erzwungen werden, sondern setzt einen Konsens der Beteiligten voraus. Evaluationsverfahren dürfen daher nicht ausschließlich an output-bezogenen Kennziffern (Kontroll- und Steuerungsaspekt), sondern müssen zugleich an der Verbesserung der internen Prozesse (Qualitätsentwicklung) orientiert sein. Die entsprechenden Verfahren müssen daher Konsens und Kontrolle gleichermaßen zur Geltung bringen.


Die Einbeziehung der laufenden Forschung und Entwicklung in Lehre und Studium ist ein Qualitätsmerkmal, nicht zuletzt im Hinblick auf die beruflichen Perspektiven der Absolventen. Ein in Forschung und Entwicklung wenig aktiver Fachbereich ist schwerlich in der Lage, die Ausbildung am neuesten Erkenntnisstand der Disziplin auszurichten und Studierende an die aktuelle Forschung heranzuführen. Bei der Evaluation der Lehre sind daher die Forschungsleistungen des betreffenden Fachbereichs in angemessenem Umfang zu berücksichtigen. Dies gilt auch für Transferleistungen und die Kooperation mit Unternehmen.


Evaluation bildet eine Grundlage für die Akkreditierung von Studiengängen gem. § 19 HRG (Bachelor-/Bakkalaureus- und Master-/Magister-Studiengänge). Akkreditierung bezieht sich zwar nur auf die Gewährleistung von Mindeststandards für die Durchführung von Studiengängen und besteht im Ergebnis nur in einer "Ja"- oder "Nein"-Entscheidung, die Ergebnisse von Evaluationsverfahren stellen für die Akkreditierung jedoch eine wichtige Informationsbasis zur Verfügung. Ferner ist davon auszugehen, dass nach den Regeln der Kunst evaluierte Fachbereiche bei Akkreditierungen nicht erneut extern begutachtet werden müssen, sondern ein verkürztes Verfahren durchlaufen können, nicht zuletzt, um die Beansprchung von Gutachtern in vertretbaren Grenzen zu halten.


Ausgehend von diesen Erfordernissen und unter Berücksichtigung bisheriger Erfahrungen sollen folgende Regeln für Evaluationsverfahren im Hochschulbereich Beachtung finden. Zur Konkretisierung wird auf die Handreichungen im Anhang verwiesen.


III.2 Verfahrensschritte


Evaluationsverfahren sind mindestens zweistufig und umfassen folgende Schritte:

  • Selbstevaluation (interne Evaluation),
  • externe Evaluation.

Um aus den Ergebnissen systematische Qualitätsverbesserungen zu erzielen, hat sich ein weiterer Verfahrensschritt eingebürgert:

  • Zielvereinbarung (zwischen Fachbereich und Hochschulleitung).

Das Verfahren sollte folgende Elemente enthalten:

  • regelmäßige Lehrberichte des Fachbereichs (in der Regel alle 2 Jahre) in Form einer kontinuierlichen Sammlung von kommentierten Basisdaten und Leistungsindikatoren (sog. "Reporting").
  • Selbstevaluation etwa alle 5-8 Jahre, unter Einbeziehung der Lehrenden und Lernenden sowie der Befragung von Absolventen (siehe III.6).
  • Externe Begutachtung des Fachbereichs durch Sachverständige (Peers) auf der Basis der Selbstevaluation.Ein Abschlussbericht der externen Sachverständigen, dessen Ergebnisse mit dem Fachbereich/der Fakultät erörtert und danach in geeigneter Form öffentlich gemacht wird.
  • Eine schriftlich fixierte Zielvereinbarung zwischen Fachbereich und Hochschulleitung über künftige Entwicklungsschritte innerhalb eines definierten Zeitraums.

III.3 Bewertungskriterien


Lehrevaluation soll sich am Leitbild, Profil und an der Zielsetzung des Fachbereichs orientieren und den Stellenwert von Forschung und Entwicklung für die Lehre einbeziehen. Sie soll ein Standard-Set von Indikatoren und einzubeziehenden Gegenstandsbereichen zu Grunde legen, das fachspezifisch ausgestaltet und ergänzt werden kann und unabdingbar einer sachgerechten qualitativen Interpretation bedarf, um belastbare Aussagen und Bewertungen zu ermöglichen.


III.4 Auswahlverfahren der externen Gutachter (Peers)


Die Berufung externer Gutachter (Peers) soll fallbezogen oder zumindest zeitlich begrenzt erfolgen. Gutachter sollten nicht aus dem jeweiligen Bundesland kommen. Geeignete Vertreter aus der beruflichen Praxis sollten einbezogen werden. Eine Zusammensetzung der Gutachtergruppen nach Gesichtspunkten der Repräsentation von Status- und Interessengruppen ist zu vermeiden.


III.5 Infrastruktur


a. Organisationsmodelle


Die Hochschulen sollten sich die Erfahrungen der Organisationskonzepte zu nutze machen, die sich in Deutschland etabliert und jeweils bewährt haben (Modell ZEvA Niedersachsen und Modell "Nordverbund"). Wesentlich ist, dass Evaluation hochschulübergreifend erfolgt und Vergleichbarkeit der Verfahren und Bewertung sichergestellt ist.


b. Evaluationsagenturen


Eine Infrastruktur für den Evaluationsprozess (Evaluationsagenturen) ist notwendig, um die erforderliche Unterstützung für die Gutachtergruppen und Organisationsleistungen für den Begutachtungsprozess bereitzustellen. Bei der Einrichtung von Agenturen sollten sich in erster Linie die Landesrektorenkonferenzen engagieren, ggf. in länderübergreifender Zusammenarbeit. Zur Gewährleistung gemeinsamer Standards sollten die Verfahrensrichtlinien in den Handreichungen verbindlich sein.


c. Länderübergreifende Verknüpfung


Regionale Agenturen und Hochschulnetzwerke sollten durch ein länderübergreifendes (nationales) Netzwerk verbunden und unterstützt werden. Seine Aufgaben wären vorrangig Förderung der Kooperation, Informationsaustausch und Kommunikation, insbesondere zur Gewährleistung nationaler Standards der Evaluation, ferner die Wahrnehmung von Schnittstellen-Aufgaben bei der europäischen und internationalen Kooperation deutscher Hochschulen in Fragen der Qualitätssicherung. Die HRK ist bereit, diese Aufgabe zu übernehmen, sofern die erforderlichen Finanzmittel zur Verfügung stehen.


d. Europäische Zusammenarbeit


Die Empfehlung des Rates der EU, ein europäisches Netzwerk für Qualitätssicherung aufzubauen, ist unter der Voraussetzung zu unterstützen, dass dieses Netzwerk von den Hochschulen und den sie repräsentierenden Organisationen getragen wird.


III.6 Einbeziehung der beruflichen Praxis


Die Hochschulen sollten die Kontakte zu ihren Absolventen intensiver pflegen und daraus unter anderem Gewinn für die inhaltliche und organisatorische Gestaltung ihrer Lehrangebote ziehen.


III.7 Studentische Veranstaltungsbewertung


Studentische Veranstaltungsbewertungen sollten ermutigt werden; sie könnnen ein Beitrag sein, die Kommunikation innerhalb des Fachbereichs / der Fakultät zu verbessern, den Lehrenden eine kontinuierliche Rückmeldung aus Sicht der Lernenden zu geben und im Ergebnis dieses Dialogs erkannte Defizite in der Lehre abzubauen oder gute Praxis zu fördern.


 


Anhang:


Evaluation der Lehre - Handreichungen zur Ausgestaltung des Verfahrens