Gemeinsame Erklärung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) vom 14.10.2008
Deutschland besitzt neben seinem Hochschulsystem ein international hoch angesehenes System der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Zusammen leisten berufliche Bildung und Hochschulbildung entscheidende Beiträge zur Entstehung und Etablierung einer Wissensgesellschaft in Deutschland. Im Zusammenhang mit der Qualifizierungsinitiative der Bundesregierung haben DIHK und HRK deshalb Strategien und Maßnahmen entwickelt, die die Durchlässigkeit zwischen der beruflichen Bildung und der Hochschulbildung erhöhen. Ziel ist die möglichst umfassende Qualifizierung der Fachkräfte in Wirtschaft und Wissenschaft. Übergänge von der beruflichen Bildung an die Hochschulen sind zwar bereits heute möglich, aber die Regeln und Verfahren sind zu wenig überschaubar und zu wenig bekannt, so dass diese Möglichkeiten zu selten genutzt werden.
Neben beruflicher Erfahrung verfügen Personen mit einer beruflichen Ausbildung oder beruflicher Aufstiegsfortbildung in häufig unterschätztem Maß über fachliches Wissen und Fertigkeiten, anwendungsorientierte Fachkompetenzen und entsprechende Spezialisierungen sowie kommunikative und Managementkompetenzen, die auch im Studium vermittelt werden. Im Sinne eines effizienten und an den Lernenden orientierten Bildungssystems müssen Vorqualifikationen und Schnittmengen zwischen den Bildungsgängen berücksichtigt werden. Erforderlich sind einfache und nachvollziehbare Wege ins Studium. Darüber hinaus muss die Studiengestaltung der besonderen Lebenssituation beruflich Qualifizierter angepasst werden.
1. Hochschulzugang
Für den Hochschulzugang beruflich Qualifizierter ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung gibt es gegenwärtig 16 unterschiedliche Länderregelungen. Hinzu kommt, dass die Zugangsregelungen auch innerhalb eines Landes von Hochschule zu Hochschule variieren. Die Kriterien und Verfahren des Hochschulzugangs sind deshalb kaum zu überblicken. Zudem werden neben sinnvollen Zugangskriterien auch sachfremde Anforderungen, z. B. an Alter oder Wohnsitz der Studieninteressierten gestellt.
DIHK und HRK befürworten transparente und bundesweit einheitliche Regelungen des Hochschulzugangs für beruflich Qualifizierte. Sie fordern deshalb die Bundesländer auf, sich auf einheitliche Zugangswege zu einigen und sie gesetzlich zu verankern. Die Hochschulen werden die Zugangswege transparent ausgestalten und diese den Absolventinnen und Absolventen mit beruflichem Ausbildungs- bzw. Fortbildungsabschluss deutlich kommunizieren.
Die Zugangsverfahren der Hochschulen sollen die Befähigung und die Motivation der Studieninteressierten für ihr Studium prüfen. Dabei sollten insbesondere umfassende Beratungsangebote und Möglichkeiten, die eigene Studierfähigkeit zu testen (so genannte self-assessment-Angebote) eingesetzt werden. Sachfremde Kriterien dürfen im Rahmen des Hochschulzugangs beruflich Qualifizierter keine Rolle spielen. Ein einmal gewährter Hochschulzugang muss in andere Länder übertragbar sein.
2. Hochschulzulassung
Die Zulassungsverfahren der Studiengänge müssen die Vorqualifikation beruflich Qualifizierter ohne Hochschulzugangsberechtigung fair und ohne Diskriminierung einbeziehen. Das kann in unterschiedlicher Weise geschehen:- Abschlussnoten aus der beruflichen Bildung können analog zu schulischen Abschlussnoten in den Auswahlverfahren genutzt werden. Berufliche Vorqualifikationen und Erfahrungen können ergänzend zu Noten positiv berücksichtigt werden und die Zulassungschancen steigern, wenn es dem Profil des Studiengangs entspricht. - Hochschulen können alternativ Vorabquoten festlegen, durch die ein Teil der Studienplätze an beruflich Qualifizierte - analog zu anderen Studierendengruppen - ohne Konkurrenz zu anderen Bewerbern vergeben wird. Hierfür wären entsprechende Rechtsgrundlagen zu schaffen.
3. Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen auf ein Hochschulstudium
Beruflich Qualifizierten darf nicht abverlangt werden, über bereits nachgewiesene Kompetenzen noch einmal geprüft zu werden. Die Landesgesetze sehen die Möglichkeit einer Anrechnung vor; viele Prüfungsordnungen ermöglichen sie ebenfalls. In der Praxis sind die Verfahren jedoch zu schwierig und intransparent. Die Hochschulen werden die unterschiedlichen Möglichkeiten, den Kompetenzerwerb in der beruflichen Bildung in Hochschulstudiengänge einzubeziehen, deutlich stärker nutzen:
- Da die Curricula von Studium und beruflicher Bildung unterschiedlich aufgebaut sind, führt ein rein curricularer Abgleich nicht zum Ziel. Grundlage der Anrechnung sollten daher die in der Berufspraxis und in der Aufstiegsfortbildung erworbenen Kompetenzen sein. Aufschluss darüber geben sehr konkret und differenziert die kompetenzorientierten Ausbildungs- und Fortbildungsordnungen, die jeweiligen Rahmenpläne der beruflichen Bildung sowie die Prüfungsnachweise. Ziel muss sein, möglichst ganze Studienabschnitte (sog. Module) anzurechnen, so dass diese Module nicht mehr studiert und geprüft werden müssen.
- Vereinbarungen zwischen den zuständigen Stellen in der Berufsbildung und Fakultäten bzw. Fachbereichen vor Ort können die Einzelfallprüfung von Anrechnungsanträgen ersetzen, indem Regeln für die Anrechnung von Kompetenzen aus der Aufstiegsfortbildung auf den Studiengang festgelegt werden. Da für den größten Teil der Absolventen der Aufstiegsfortbildung bundeseinheitliche Prüfungsanforderungen gelten, sollten, wo es möglich erscheint, auf Basis regionaler Anrechnungsvereinbarungen bundesweit standardisierte und einheitliche Anrechnungsverfahren entwickelt werden. - Für beruflich Qualifizierte sollten Studienangebote so strukturiert werden, dass die anrechenbaren Anteile in den ersten Semestern liegen. So können beruflich Qualifizierte ohne Auflagen in höhere Semester eingestuft werden.
- Anrechnungsverfahren und -kriterien sollten in den Prüfungsordnungen der Hochschulen geregelt werden. Sie sind auch Gegenstand der Akkreditierung. Die Hochschulen werden über die Anrechnungsoptionen öffentlich informieren und beraten.
Die Hochschulrektorenkonferenz wird dafür werben, dass die Hochschulen die Anrechnungsmöglichkeiten ausschöpfen. Die IHK-Organisation wird gemeinsam mit der HRK die Fakultäten bzw. Fachbereiche über berufliche Bildung und die vermittelten Kompetenzen informieren.
Neben der Vorqualifikation beruflich Qualifizierter sollten die Studiengänge auch deren besondere Lebenssituation berücksichtigen. Nötig ist der Ausbau berufsbegleitender Studienangebote, die etwa Präsenzphasen am Abend und am Wochenende mit blended-learning-Methoden verbinden. Gleichzeitig empfehlen HRK und DIHK, dass die Hochschulen im Rahmen ihrer Möglichkeiten Vorbereitungs- und Brückenkurse ausbauen, um Defizite beruflich Qualifizierter, vor allem in wissenschaftlichem Arbeiten und fachlich nicht abgedeckten Inhalten auszugleichen. Hier sehen HRK und DIHK den Bedarf für Investitionen von Ländern und Bund, um eine größere Durchlässigkeit zwischen beruflicher Bildung und Hochschulen zu erreichen. Ebenso werden Hochschulen die vielerorts bereits bestehenden Angebote zum familiengerechten Studium ausbauen. Auch hier sollten sich Bund, Länder und Unternehmen für zusätzliche Bildungsoptionen beruflich Qualifizierter engagieren.
4. Bachelor Professional
Während DIHK und HRK sich gemeinsam für die beschriebene Agenda für mehr Durchlässigkeit zwischen beruflicher Bildung engagieren, bleiben sie uneins über die Verwendung der Abschlussbezeichnung "Bachelor Professional" in der beruflichen Weiterbildung.
- Die HRK lehnt die Abschlussbezeichnung "Bachelor professional" entschieden ab, weil der Bachelor-Grad national und international ausschließlich von Hochschulen als akademischer Grad für eine wissenschaftliche Ausbildung vergeben wird. Die Bezeichnung "Bachelor professional" leistet keinen Beitrag zur internationalen Transparenz des Bildungssystems, sondern verwirrt und gefährdet zusätzlich die Etablierung des Bachelors als Hochschulgrad in Deutschland. Insofern ist sie sogar ein Hindernis für die Durchlässigkeit im Bildungssystem.
- Der DIHK fordert die Verwendung der Zusatzbezeichnung "Bachelor Professional" für die Absolventen der beruflichen Aufstiegsfortbildung. Das Niveau öffentlich-rechtlicher Weiterbildungen muss auch international verdeutlicht werden. Die kurze und verständliche Bezeichnung "Bachelor Professional" signalisiert die Gleichwertigkeit - nicht Gleichartigkeit - des erreichten Kompetenzniveaus und sichert den Absolventen adäquate berufliche Einsatzfelder. Der Zusatz "Professional" ist eine ausreichende Abgrenzung zum akademischen Bachelor.
DIHK und HRK sind sich einig, dass die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und Hochschulbildung ein zentrales Zukunftsthema für das deutsche Bildungssystem ist. Sie werden zur Förderung der Durchlässigkeit intensiv zusammenarbeiten.
Prof. Dr. Margret Wintermantel, Präsidentin der HRK
Ludwig Georg Braun, DIHK-Präsident