Grundsätze für ein nachhaltiges Bund-Länder-Programm zur Gewinnung von Professorinnen und Professoren an Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) bzw. Fachhochschulen (FH)


Empfehlung des 134. HRK-Senats am 13.10.2016

I. Hintergrund
Die Nachfrage nach einem Studium hat in jüngerer Zeit eine große Dynamik entfaltet. So stieg die Zahl der Studierenden im letzten Jahrzehnt um 38 Prozent. Die Zahl der Professuren hielt mit dieser Entwicklung nicht Schritt, stieg aber ebenfalls um 20 Prozent an. Ein weiterer Ausbau der Professuren und die Wiederbesetzung freiwerdender Stellen gestalten sich in allen Hochschultypen vor allem in den Disziplinen schwierig, in denen auch eine hohe Nachfrage der Wirtschaft besteht, als Beispiel seien hier die Ingenieur­wissenschaften und die Informatik angeführt.

Rekrutierungsprobleme entstehen in besonderer Weise im Bereich der Fachhochschulprofessuren, die zwei Drittel aller Ingenieure ausbilden, da hier der Aufwuchs an Studienanfängern (81 Prozent) und Studierenden (73 Prozent) überproportional hoch war und ist. Grundsätzliche Voraussetzung für die Berufung auf eine Fachhochschulprofessur ist neben der Promotion eine mindestens dreijährige Tätigkeit außerhalb der Hochschule.

Diese Voraussetzung bringen zu wenige Nachwuchskräfte mit, u.a. weil die spezifischen Voraussetzungen wenig bekannt sind. Die Gewinnung geeigneter Kräfte aus der Wirtschaft wird durch unattraktive Rahmenbedingungen erschwert: im Vergleich zur Wirtschaft geringere Vergütung, hohe Lehrbelastung, wenig Forschungsmöglichkeiten.

II. Nachhaltiges Bund-/Länderprogramm zur Gewinnung von Professorinnen und Professoren an Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) bzw. Fachhochschulen (FH)

Damit die Fachhochschulen/Hochschulen für angewandte Wissenschaften weiterhin ihrer Aufgabe gerecht werden können, einen großen Prozentsatz der Studienwilligen anwendungsnah auszubilden, fordert die HRK Bund und Länder auf, ein Bund-Länder-Programm zur Gewinnung von Professorinnen und Professoren an Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) bzw. Fachhochschulen (FH) aufzulegen.

Ziel des auf Dauer angelegten Programms soll es sein, die Karrierewege der Professuren an HAWs/FHs nachhaltig zu fördern. Außerdem soll es dabei helfen, die für das FH-spezifische Profil geeignetsten Wissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler zu gewinnen und möglichst dauerhaft zu halten.

III. Ausgestaltung

Zentrales Element ist ein konzeptbasiertes Antragsverfahren, in dem die einzelnen Hochschulen ihre Strategie und die daraus abgeleiteten Maßnahmen zur Gewinnung von Professorinnen und Professoren konkretisieren. Die Anträge der Hochschulen werden in einem wettbewerblichen Antragsverfahren entschieden. Für Anträge aus jedem Land steht jeweils eine bestimmte maximale Fördersumme zur Verfügung, die mit förderwürdigen Anträgen ausgeschöpft werden kann. Nicht durch erfolgreiche Anträge belegte Mittel stehen für förderwürdige Anträge anderer Länder zur Verfügung.

Wesentlicher Bestandteil ist ein Professorinnen- und Professoren-Gewinnungskonzept, welches an den spezifischen Bedürfnissen und Problemlagen der antragstellenden Hochschule ausgerichtet ist. Vorausgesetzt wird, dass Personalentwicklung für das gesamte wissenschaftliche Personal ein strategisches Handlungsfeld der Hochschulleitung ist und sie über ein Personalentwicklungskonzept verfügt, das Aussagen zu Standards, zum Grad der institutionellen Verankerung und Stand der Umsetzung enthält. Mögliche Bestandteile könnten sein:

  •  Die Förderung spezifischer Kooperationsformen mit der Berufspraxis zur Erlangung der erforderlichen Doppelqualifikation in einem durch die Hochschule qualitätsgesicherten wissenschaftlichen Beschäftigungsverhältnis, z.B.:
    • Secondment-Programme als zeitweise Abordnung von Beschäftigten in verantwortlichen Positionen aus FuE-Einrichtungen der Wirtschaft an Hochschulen - und in umgekehrter Richtung
    • Tandem-Programme mit einer gleichzeitigen Beschäftigung von Personen an Hochschulen und FuE-Einrichtungen der Wirtschaft im Rahmen gemeinsamer Projekte
    • Vergütete Lehraufträge für Personen aus der Praxis, die sich u.a. an gemeinsame Projekte angliedern ließen.
  • Die Förderung von berufsbegleitenden Qualifizierungsmaßnahmen, die dem Erwerb hochschuldidaktischer Kompetenzen dienen und insgesamt die Erfolgschancen für die Aufnahme einer Professur an einer HAW/FH deutlich verbessern.
  • Die Erprobung neuer Formen der wissenschaftlichen Qualifizierung für eine Professur an einer FH/HAW in Fächern, die nicht an Universitäten gelehrt werden bzw. die den sich akademisierenden Berufsfeldern zuzuordnen sind.
  • Die Förderung von Profilprofessuren mit besonderer Ausstattung in Anlehnung an die vom Wissenschaftsrat empfohlenen Merian-Professuren.
  • Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Förderung ist ein in anderen Programmen üblicher Strategieaufschlag auf die Gesamtkosten jeder Professur.
  • Die Förderung einer bundesweiten promotionsbegleitenden Informationskampagne mit dem Ziel, frühzeitig auf Karrierewege an einer Fachhochschule bzw. Hochschule für Angewandte Wissenschaften aufmerksam zu machen.

IV. FH/HAW-spezifische Problemlage
Es stellen sich den FHs/HAWs besondere Probleme bei der Qualifizierung und Rekrutierung der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Professorinnen und Professoren:

  • Die Karrierewege für die Tätigkeit an einer FH/HAW in Lehre und Forschung sind nicht systematisch angelegt und das Tätigkeitsfeld ist nur unzureichend bekannt.
  • Die notwendige Doppelqualifikation in Wissenschaft und Praxis erschwert insbesondere die Gewinnung von Frauen für Professuren. Die genderbedingte Benachteiligung in der beruflichen Karriere außerhalb des Hochschul- und Wissenschaftssystems wirkt wie ein doppelter Filter.
  • Weder die Ausstattung der Professuren mit Sach- und Personalmitteln noch die Vergütung ist oft attraktiv genug, um Menschen aus der Berufspraxis für eine Tätigkeit an einer FH/HAW zu gewinnen. Für ein Anreiz- und Unterstützungssystem für Forschung in der Hochschule fehlt FHs/HAWs die institutionelle Ressourcenausstattung (Grundfinanzierung). Die Flexibilisierung der Deputatsbelastung ist dabei ein wesentliches Element.
  • Die zunehmende Akademisierung spezifischer Qualifikationen der Arbeitswelt hat einen massiven Anstieg der Nachfrage nach wissenschaftlichem Lehrpersonal bewirkt. Es gibt in diesen Bereichen nahezu keine promovierten Bewerberinnen und Bewerber.
  • In Fächern, die an Universitäten nicht oder nur am Rande vertreten sind, z.B. Soziale Arbeit, gibt es nicht genügend geeignete Bewerberinnen und Bewerber.
  • Für bestimmte Berufsgruppen wie die Ingenieure ist der Wechsel an eine FH/HAW auch im Vergleich zu Universitäten mit deutlichen Gehaltseinbußen verbunden. Diese Kluft hat in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen.