Entschließung des 204. HRK-Plenums am 14.6.2005
Das Hochschulsystem ist bereits seit Jahren durch einen tief greifenden Wandel gekennzeichnet. Die Entwicklung der Wissensgesellschaft zeigt sich in einer erheblichen Ausweitung des tertiären Bildungssektors und in einem sich diversifizierenden Anforderungsspektrum an Hochschulen in Forschung, Bildung, Ausbildung und Beitrag zu Innovationen. Gleichzeitig entwickeln sich die wissenschaftlichen Disziplinen in immer schnellerer Geschwindigkeit weiter und richtet sich die Forschung stärker interdisziplinär aus. Dieser tief greifende Wandel vollzieht sich vor dem Hintergrund einer immer dramatischer werdenden Unterfinanzierung der Hochschulen.
Vor dem Hintergrund diese Entwicklungen stellen sich erhebliche Herausforderungen an Organisation und Steuerung des Hochschulsystems und der Hochschulen in ihm.
Das traditionelle Verfahren der Hochschulsteuerung war diesen Herausforderungen offensichtlich nicht gewachsen. Mit den Steuerungsinstrumenten des bürokratischen Zentralismus gelang es weder, Ressourcen effizient einzusetzen, noch die Hochschulen in die Lage zu versetzen, den sich wandelnden Anforderungen von Staat und Gesellschaft Rechnung zu tragen.
Spätestens seit den Neunzigerjahren ist ein Trend zur Verlagerung von Steuerungskompetenzen von den Ministerien auf die Hochschulen bei gleichzeitig verstärkter Pflicht zur Rechenschaftslegung unübersehbar. Mit einiger Verspätung hält somit auch im deutschen Hochschulsystem das so genannte "Neue Steuerungsmodell" Einzug, mit dem bereits zwanzig Jahre zuvor unter dem Titel "New Public Management" in anderen Ländern versucht wurde, neue Führungssysteme, Führungsstrukturen und Führungsinstrumente im öffentlichen Bereich mit dem Ziel einer fortschreitenden Entstaatlichung staatlichen Handelns zu implementieren. Damit versuchen die Hochschulen, auf zentrale Problembereiche der Verwaltung zu reagieren: Überregulierung, normative Steuerung, Bürokratisierung, Zentralisierung und fehlende Führungs-/Steuerungskompetenz auf der dezentralen Ebene.
Zu den Kernelementen des Neuen Steuerungsmodells gehören unter anderem die Komponenten:- Rückzug des Staates auf rechtsaufsichtliche und ordnungspolitische Funktionen- Übergang von der operativen input-Steuerung über Mittel zur Zielerreichung auf die strategische output-Steuerung über vereinbarte oder beabsichtigte Leistungen und Wirkungen- Übertragung der Kompetenz zur operativen Ausgestaltung auf die dezentrale Einheit- Globalisierung der Haushaltsmittel
Im Hochschulbereich gehören zu den wichtigsten Steuerungsinstrumenten bei der Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells die Zielvereinbarungen und die formelgebundene Finanzierung in Verbindung mit Globalhaushalten. Insgesamt geht es um die Delegation von Verantwortung, um mit dem Instrument Kontraktmanagement den traditionellen "bürokratischen Zentralismu" in die weitgehende Selbststeuerung dezentraler Einheiten zu verwandeln. Hierarchische Steuerung wird in kooperative Strukturen gewandelt.
In den meisten Landeshochschulgesetzen sind Zielvereinbarungen zwischen Staat und Hochschule in den letzten Jahren verpflichtend festgeschrieben worden und werden seither auch vermehrt als hochschulinternes Steuerungsinstrument genutzt. Die Bezeichnungen variieren dabei zwischen Pakt, Kontrakt, Zielvereinbarung, Ziel- und Leistungsvereinbarung und Leistungsvereinbarung. Dem Wesen nach handelt es sich in der Regel um Leistungsvereinbarungen, mit denen nicht Ziele, sondern zu erbringende Leistungen definiert werden, ohne die hierfür erforderlichen Maßnahmen festzulegen. Dies entspricht auch dem theoretischen Ansatz des Kontraktmanagements.
Mit ihrer Anwendung auf Hochschulen verbinden Hochschulreformer auf Hochschul- und auf staatlicher Seite zum einen hohe Erwartungen an ein grundsätzlich neues Verhältnis zwischen Hochschule und Staat. Zum anderen soll der Übergang zu kooperativer Steuerung den Hochschulen intern die erforderlichen Handlungsspielräume für Profilbildung und qualitätsgeleitete Hochschulentwicklung verschaffen.
Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass Zielvereinbarungen ein erhebliches Potenzial besitzen, die mit dem Neuen Steuerungsmodell verbundenen Ziele zu erreichen, vor allem Fortschritte zu echter Hochschulautonomie zu erzielen und die Steuerungsfähigkeit der Hochschulen deutlich zu erhöhen.
Gleichzeitig zeigen die Erfahrungen, dass an Gestaltung und Verhandlung von Zielvereinbarungen Anforderungen zu richten sind, deren Erfüllung eine notwendige Voraussetzung ist, um das Potenzial auszuschöpfen und eine wirklich neue Qualität der Hochschulsteuerung zu erreichen. Nur wenn diese neue Qualität erreicht wird, wenn zentrale Detailsteuerung wirklich dezentraler Verantwortung weicht, ist der erhebliche Aufwand gerechtfertigt. Diese Anforderungen beziehen sich auf den Anwendungsbereich, auf die inhaltliche Gestaltung und auf dien Verhandlungsprozess. Die Hochschulrektorenkonferenz empfiehlt, bei Gestaltung und Verhandlung von Zielvereinbarungen die folgenden 12 Grundsätze zu beachten: Zweck von Zielvereinbarungen
1. Zielvereinbarungen ersetzen punktuell diskretionäre Steuerung
Zielvereinbarungen dienen dazu, hierarchische input- oder prozessorientierte Detailsteuerung abzubauen und durch Formulierung von output-orientierten Leistungszielen die dezentrale Verantwortung, vor allem im operativen Bereich, zu stärken. Sie ersetzen daher für den jeweiligen Verhandlungsgegenstand andere in der Regel diskretionäre Steuerungsinstrumente (Erlasse, Verordnungen) und treten nicht parallel hinzu.
2. Das Instrument der Zielvereinbarungen erfordert einen weitgehenden Rückzug der zentralen Ebene von der fach- auf die rechtsaufsichtliche Funktion
Das Instrument der Zielvereinbarungen erfordert einen weitgehenden Rückzug der zentralen Ebene von der fach- auf die rechtsaufsichtliche Funktion. Zum Wesensgehalt der Zielvereinbarung gehört die Übertragung der fachlichen Ausgestaltung der Zielerreichung auf die dezentrale Ebene, andernfalls wird eine neue Qualität der Hochschulsteuerung nicht erreicht.
Anwendungsbereich für Zielvereinbarungen
3. Zielvereinbarungen beziehen sich auf Leistungsziele im Zusammenhang mit Entwicklungsprozessen, z.B. im Bereich Profilbildung oder Qualitätsentwicklung
Zielvereinbarungen sind ein Steuerungsinstrument, kein komplettes Steuerungsmodell. Hochschulsteuerung über Zielvereinbarungen ist ein aufwändiges Verfahren mit erheblichen Auswirkungen auf das Verhältnis der beiden Verhandlungspartner zueinander. Der Einsatz von Zielvereinbarungen sollte daher unbedingt auf Anwendungsbereiche beschränkt werden, in denen die mit diesem Steuerungsinstrument verfolgten Ziele erreicht werden können und außerdem besser erreicht werden können als mit anderen Steuerungsinstrumenten:- Mit Zielvereinbarungen werden Leistungsziele (eigentlich Leistungen) im Zusammenhang mit Entwicklungsprozessen vereinbart. Sie zielen auf eine nachhaltige Veränderung in dem entsprechenden Tätigkeitsfeld ab. Hierfür sind vor allem Ziele der Profilbildung, der Einführung innovativer Maßnahmen in Lehre, Forschung, Verwaltung etc. oder Ziele der Qualitätsentwicklung geeignet. - Im Gegensatz hierzu sind Zielvereinbarungen nicht das richtige Instrument, um weiterhin die Erreichung bereits bestehender und lediglich fortgeschriebener Leistungsziele, somit den status quo, zu steuern, z. B. bei der Finanzierung der Grundlast. Hierfür ist eine Steuerung über automatisierte Verfahren wie formelgebundene Mittelzuweisung vorzuziehen, da sie bessere Ergebnisse mit bei weitem geringerem Aufwand erbringen. - Zielvereinbarungen dienen dazu, nachhaltige Veränderungen durchzusetzen. Kurzfristige Vorhaben, die nicht dauerhaft implementiert werden sollen, werden besser mit der traditionellen diskretionären Projektförderung gesteuert, die weitaus weniger aufwändig sind.
4. Zielvereinbarungen dienen der Verabredung von Leistungszielen, die einen Konsens beider Seiten bedürfen
Nicht alle Leistungsziele bedürfen einer konsensualen Übereinkunft beider Seiten. Nur wenn für die Erreichung des Ziels gesonderte Anstrengungen beider Seiten erforderlich sind, ist das aufwändige Verfahren gerechtfertigt und notwendig. Konsens bedeutet, dass Zielvereinbarungen nicht dem einseitigen Eingriff der zentralen Ebene in autonome Regelungskompetenzen der dezentralen Ebene dienen.
Gegenstand von Zielvereinbarungen
5. Zielvereinbarungen haben Leistungsziele zum Gegenstand und nicht Maßnahmen
Mit Zielvereinbarungen erreicht man nur dann die beabsichtigte Dezentralisierung von Kompetenzen, wenn sie sich auf die Festlegung des zu erreichenden Leistungsziels oder der zu erbringenden Leistung beschränken und operative Entscheidungsbefugnisse, vor allem bezüglich der zu ergreifenden Maßnahmen, auf die ausführende Stelle übertragen werden. Maßnahmen sind nicht Gegenstand von Zielvereinbarungen. Die Ziele (Leistungen) müssen klar beschrieben und überprüfbar (quantitativ oder qualitativ) sein.
Ausgestaltung von Zielvereinbarungen
6. Zielvereinbarrungen definieren den Zeitraum zur Erbringung der Leistung. Dieser Zeitraum ist mehrjährig
Zielvereinbarungen besitzen nur dann ein hohes Maß an Verbindlichkeit, wenn neben der genauen Definition des zu erreichenden Leistungsziels auch die hierfür zur Verfügung stehende Zeit festgelegt ist.
7. Zielvereinbarungen definieren - Zuständigkeit und Ausgestaltung der Erfolgskontrolle
Zielvereinbarungen sind zu evaluieren. Hierfür müssen sie auch die Verfahren der Erfolgskontrolle hinsichtlich Zeitpunkt, Ausgestaltung und Zuständigkeit festgelegt werden. Dies umfasst gegebenenfalls auch die Definition von Indikatoren zur Messung der Zielerreichung. Auch hierbei gilt. Indikatoren beziehen sich auf Ergebnisse und nicht auf Maßnahmen.
8. Zielvereinbarungen umfassen Festlegungen zur Finanzierung
Zielvereinbarungen umfassen auch Regelungen zur Finanzierung der für die Zielerreichung notwendigen Maßnahmen. (Vorfinanzierung und Leistungsanreiz durch Belohnung bei Zielerreichung.)
9. Zielvereinbarungen umfassen nur aufeinander bezogene Leistungen
Leistung und Gegenleistung (Finanzierungszusage des Ministeriums oder Delegation von Kompetenzen; Leistungszusage der Hochschule in Form einer Veränderung) müssen sich auf den Gegenstand der Zielvereinbarung beziehen und immer in einem sachlichen Zusammenhang stehen. Vor allem so genannte "Paketlösungen" die Gegenleistungen auf einem ganz anderen Sektor in Aussicht stellen, verfehlen das Ziel einer kooperativen Steuerung.
10. Zielvereinbarungen sind schriftlich zu fixieren und von beiden Seiten zu unterschreiben
Wenn Zielvereinbarungen einen hohen Grad an Verbindlichkeit erreichen sollen, ist die Schriftform unerlässlich. Dem Charakter einer Vereinbarung entspricht die Notwendigkeit einer zweiseitigen Unterzeichnung. Kommt es nicht zur Unterzeichnung durch beide Seiten, müssen andere Steuerungsinstrumente angewendet werden.
Verhandlung von Zielvereinbarungen
11. Zielvereinbarungen werden im Gegenstromverfahren ausgehandelt
Zielvereinbarungen werden im Gegenstromverfahren ausgehandelt. Zwar stehen sich bei der Verhandlung von Zielvereinbarungen Partner gegenüber (Land - Hochschule oder Hochschulleitung - Fakultät bzw. Institut), die nicht wirklich gleichstarke Verhandlungspositionen einnehmen und grundsätzlich nicht gleichberechtigt sind. Wichtig für den Erfolg von Zielvereinbarungen ist aber, dass beide Partner im Rahmen der konkreten Verhandlungen gleichberechtigt sind. Das bedeutet zwingend, dass nicht ein Verhandlungspartner die Kompetenz besitzt, Ziele einseitig zu definieren. Hieraus folgt ebenfalls, dass es keinen Kontraktionszwang geben darf. Nur wenn beide Seiten den Willen zum Abschluss zu einer Zielvereinbarung über einen bestimmten Gegenstand haben, kann eine Zielvereinbarung abgeschlossen werden, andernfalls müssen die Partner (Eher das Land gegenüber der Hochschule oder die Hochschulleitung gegenüber der dezentralen Einheit) auf andere (herkömmliche) Steuerungsinstrumente zurückgreifen. Eine Verletzung dieser Regelung macht das Ausschöpfen des Steuerungspotenzials von Zielvereinbarungen unmöglich und diskreditiert sie als kooperatives Steuerungsinstrument.
12. Der Verhandlungsprozess folgt vereinbarten Regeln
Wenn Zielvereinbarungen zwischen Verhandlungspartnern aus grundsätzlich ungleich starken Positionen abgeschlossen werden, aber gleichwohl gleichberechtigt verlaufen sollen, müssen eingangs Regeln über die Gestaltung des Prozesses vereinbart werden. Diese Regeln umfassen sowohl Initiativ- und Gestaltungsrechte als auch Regeln für den zeitlichen Ablauf und die Abfolge der Verhandlungsschritte. Diese Regeln sollen in der Regel nicht, ggf. aber nur im Konsens beider Seiten, vor Ablauf des Zeitraums geändert werden.