Hochschul- und wissenschaftspolitische Forderungen an die neue Bundesregierung


Entschließung der 113. Senatssitzung vom 20.10.2009

1. Unterstützung der Länder bei der Schaffung ausreichender Studienplätze und bei der Verbesserung der Betreuungsrelationen


2. Finanzielle Förderung der Studierenden


3. Konsequente Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses


4. Förderung der Hochschulforschung


5. Aktive Gestaltung des europäischen Hochschul- und Forschungsraums


6. Unterstützung von Hochschulen und Wissenschaft im Globalisierungsprozess


7. Open Access und Urheberrecht


8. Hochschulpolitisches Engagement des Bundes verbunden mit enger Kooperation von Bund und Ländern


9. Förderung der Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft


10.Zusammenführung aller wissenschaftsrelevanten Zuständigkeiten in einem Bundesministerium


 


Bildung und Wissenschaft sind die entscheidenden Voraussetzungen für die Zukunftsfähigkeit der kulturellen, sozialen, technologischen und wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes und damit für seinen Erfolg im zunehmenden globalen Wettbewerb. Das gilt in Zeiten der wirtschaftlichen Krise mehr denn je. Nur mit nachhaltigem Wachstum können die Folgen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise überwunden werden. Viele Länder haben diesen Zusammenhang früher erkannt und entsprechend reagiert. Ein deutlich höherer BIP-Anteil von öffentlichen und privaten Mitteln fließt dort in den Hochschulbereich. Junge Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus Deutschland folgen dem Angebot attraktiverer Betätigungs- und Karrieremöglichkeiten in anderen Ländern.


Deutschland braucht eine verbesserte Handlungsfähigkeit und verstärkte Investitionen in Bildung und Wissenschaft. Die Politik hat mit der Ausrichtung des Bildungsgipfels im letzten Jahr, den dort getroffenen Vereinbarungen (Anhebung des Anteils der öffentlichen Ausgaben für Bildung und Wissenschaft am BIP auf 7,5 Prozent) und mit der Verabschiedung der drei Pakte im Juni 2009 eine Prioritätenverschiebung zugunsten von Bildung, Wissenschaft und Forschung vorgenommen. Dieser Kurs muss weiter fortgesetzt werden. Die Hochschulrektorenkonferenz appelliert an die Parteien, die die neue Bundesregierung bilden werden, diesen Weg auch unter erschwerten finanzpolitischen Bedingungen fortzusetzen und im Rahmen des Koalitionsvertrages Akzente zugunsten von Wissenschaft und Hochschulen zu setzen. Bei allen finanzpolitischen Entscheidungen (Steuerreform, Schuldenbremse) ist auch zu bedenken, dass diese die finanzielle Leistungsfähigkeit der Bundesländer betreffen. Die Länder müssen auch künftig in der Lage sein, die Hochschulen angemessen zu finanzieren.


Die HRK fordert im Einzelnen:


1. Unterstützung der Länder bei der Schaffung ausreichender Studienplätze und bei der Verbesserung der Betreuungsrelationen im Zuge der Studienreform


Der Anteil junger Leute, die ein Hochschulstudium aufnehmen und bis zum Ende führen, muss erhöht werden. Mit einer Studienbeteiligung von nach wie vor unter 40 Prozent liegt Deutschland deutlich unter dem OECD-Durchschnitt, mit einer Absolventenquote von 22 Prozent mehr als 10 Prozentpunkte unter dem internationalen Durchschnitt. Eine Stagnation kann sich Deutschland auch angesichts seiner Bevölkerungsentwicklung nicht leisten. Bereits heute fehlen auf dem Arbeitsmarkt jährlich bis zu 40.000 Akademiker.


Eine Erhöhung der Quoten setzt jedoch ein verstärktes finanzielles Engagement zugunsten der Hochschulen und Studierenden voraus. Die entsprechenden Studienplätze müssen durch die Bereitstellung zusätzlicher Mittel eingerichtet werden (die Mittel des Hochschulpakts II decken den Bedarf dabei nur teilweise). Zudem müssen die Studienbedingungen durch eine Anhebung der Betreuungsrelationen sowie durch eine angemessene Ausstattung der Hochschulen verbessert werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass Studiengänge erfolgreich und international wettbewerbsfähig abgeschlossen und die Ziele des Bologna-Prozesses erreicht werden. Dies gilt umso mehr, als neue Gruppen von Studierenden (ohne Abitur, nach längerer Berufstätigkeit oder Familienphase) mit deutlich höherem Betreuungsbedarf für ein Studium gewonnen werden sollen. Für sie sind besondere Angebote erforderlich (Brückenkurse im Bereich von Mathematik, Sprachen, wissenschaftliches Arbeiten, Teilzeit- und berufsbegleitende Studiengänge), die nicht aus der gegenwärtigen Ausstattung finanziert werden können.


2. Finanzielle Förderung der Studierenden


Will man die Studierquote steigern und die gegenwärtige Selektivität des Bildungswesens überwinden, so müssen vor allem Kinder aus Nicht-Akademiker-Familien angesprochen werden, junge Leute mit Migra-tionshintergrund sowie Personen, die andere Ausbildungswege beschritten haben. Das gegenwärtige System der Hochschulfinanzierung reicht trotz Verbesserungen in der letzten Legislaturperiode nicht aus, alle diese Personen zu erreichen. Das System der staatlichen Studienfinanzierung (BAFöG) muss ausgeweitet und an die veränderten Studien- und Bedarfsstrukturen sowie an die gestiegenen Lebenshaltungskosten angepasst werden. Hierzu sind die Einkommens- und Altersgrenzen anzuheben, die Zuschussanteile anzuheben und Teilzeitstudierende sowie Studierende in aufbauenden und weiterführenden Studienprogrammen im Fördersystem zu berücksichtigen.


Daneben sollten Anreize für ein verstärktes Engagement von Unternehmen im Bereich der Studienfinanzierung gegeben werden. Denn ohne eine allgemeine öffentliche Bereitschaft zum Engagement des Einzelnen wie auch der privaten Wirtschaft werden die anstehenden Zukunftsaufgaben nicht gelöst werden können. Unternehmen haben ein elementares Interesse daran, mehr junge Leute zu einem Abschluss zu führen. Die Bereitstellung von "Matching Funds" für Stipendien, die von Unternehmen bereitgestellt werden, ist ein weiteres geeignetes Mittel, ihr finanzielles Engagement zu verstärken. Dies zeigt die Umsetzung eines entsprechenden Stipendienprogramms in Nordrhein-Westfalen. Langfristig sollte angestrebt werden, die absolute Zahl und den Anteil junger Leute im Studium, die durch öffentliche und private Mittel bei der Finanzierung eines Studiums unterstützt werden, signifikant zu steigern.


3. Konsequente Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses


Zur Stärkung des Wissenschaftsstandorts zählt auch eine konsequente Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Verbesserte Arbeitsbedingungen und Beschäftigungsperspektiven für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler verbunden mit einem Mehr an sozialer Absicherung haben daher hohe Priorität. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, können hervorragende Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die derzeit im Ausland arbeiten, zurückgeholt werden. Darüber hinaus muss die Bemühung um exzellente junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus anderen Teilen der Welt auf allen Ebenen des Wissenschaftssystems eine zentrale Aufgabe aller Bereiche der Politik sein. Ein massives Hindernis ist dabei z.B. die zu geringe Chance von ausländischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, in Deutschland ein Daueraufenthaltsrecht zu erlangen.


4. Förderung der Hochschulforschung


Mit einem Ausgabenvolumen von 9,2 Mrd. Euro sind die Hochschulen der größte Akteur im Bereich der öffentlich finanzierten Forschung. Gleichwohl steht ihre Wettbewerbsfähigkeit national und international immer wieder auf dem Spiel. Gründe hierfür sind die hohe Belastung in der Lehre, eine real rückläufige Grundfinanzierung und enge Verhandlungsspielräume im Wettbewerb um hervorragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Von der Exzellenzinitiative und vom Pakt für Forschung- und Innovation sind wichtige Impulse für die Hochschulforschung ausgegangen. Die Fortschreibung beider Pakte im vorgesehenen Umfang ist deshalb von großer Bedeutung für den Hochschulbereich. Die Fortschreibung darf sich dabei nicht auf eine einmalige Wiederholung beschränken, sondern muss zur Erzielung nachhaltiger Effekte verstetigt werden. Zur Förderung der Kooperation von Universitäten und Fachhochschulen und zur wirksameren Verbindung von Grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung sollten kooperative Forschungskollegs gezielt gefördert werden. Die Fachhochschulforschung muss zudem durch Ausweitung des Programms FHProFund gestärkt werden. Nicht zuletzt muss der Bund seine Möglichkeiten nutzen, um im Rahmen überregionaler Kooperationen auch universitäre Forschungseinrichtungen der Länder institutionell zu fördern.


Aufgrund der Verschiebungen zwischen real sinkender Grundfinanzierung und zunehmender Drittmittelfinanzierung sind die Hochschulen durch Overhead-Kosten der drittmittelfinanzierten Forschung zunehmend belastet. Die Bereitstellung einer Overhead-Pauschale von 20 Prozent für DFG-finanzierte Projekte war ein erster wichtiger Schritt, für Entlastung zu sorgen. Allerdings kann mit diesen 20 Prozent weder der Overhead vollständig abgedeckt werden, noch stehen Mittel für nicht-DFG-geförderte Drittmittelforschung zur Verfügung. Die Ausweitung des Overhead-Prinzips auf alle Bereiche der öffentlich finanzierten Forschung sowie die Orientierung des Overheads an den tatsächlichen Kosten muss deshalb ein Ziel der kommenden vier Jahre sein. Darüber hinaus ist sicherzustellen, dass Freiräume, die der außeruniversitären Forschung zur Verbesserung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit eingeräumt werden, den Hochschulen ebenfalls zugestanden werden.


5. Aktive Gestaltung des europäischen Hochschul- und Forschungsraums


Hochschulpolitik in Deutschland muss aktiv Einfluss nehmen auf die Gestaltung von Bildungs-, Wissenschafts- und Forschungspolitik in Europa. Bei der Gestaltung von Qualitätssicherungsmaßnahmen, Kompatibilität von Studienleistungen, Mobilität von Studierenden, Lehrpersonal und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Ausgestaltung der europäischen Forschungsförderung und bei vielen anderen Themen muss Deutschland mit einer starken Stimme sprechen können. Ziel ist die Berücksichtigung der Interessen deutscher Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen bei der Intensivierung des bereits stattfindenden Integrationsprozesses, bei dem Europa im internationalen Wettbewerb ein starker Partner und Mitspieler ist. Die deutsche Politik muss die Politik der EU daher im Sinne einer deutlichen Stärkung von Forschung und Entwicklung vorantreiben. Umschichtungen im EU-Haushalt zu Gunsten von Forschung und Innovation sind dazu unvermeidlich. Um die Mobilität der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Europa zu befördern, müssen die Möglichkeiten zur Mitnahme von Sozialversicherungsansprüchen, insbesondere der Ruhegehaltsansprüche, die gegenwärtig die Mobilität stark behindern, verbessert werden. Die europäischen Regierungen sind dringend aufgefordert, gegen diesen Wettbewerbsnachteil der deutschen und der europäischen Forschung vorzugehen und innovative Lösungen zu schaffen.


6. Unterstützung von Hochschulen und Wissenschaft im Globalisierungsprozess


Wissenschaft und Hochschulen haben eine zentrale Rolle im Prozess der Globalisierung. Höhere Bildung und hervorragende Forschungsleistungen sind der Schlüssel für den Einzelnen wie die Gesamtgesellschaft, um die Balance zwischen Chancen und Risiken des Globalisierungsprozesses herzustellen.


Die Flexibilität und Wettbewerbsfähigkeit der nationalen Hochschul- und Wissenschaftssysteme werden entscheidend dafür sein, ob eine Gesellschaft den Anschluss an internationale Entwicklungen halten kann. Daher müssen sowohl die einzelnen Hochschulen als auch das Wissenschaftssystem als Ganzes aktiv mit den Herausforderungen des Globalisierungsprozesses im Bereich der wissenschaftlichen Lehre und Forschung umgehen. Die deutschen Hochschulen müssen in diesem Globalisierungsprozess, der die Hochschullandschaft weltweit ändern wird, eine aktive Rolle spielen können. Die Entwicklung zur Profilierung als transnationale Hochschulen muss von Bund und Ländern unterstützt werden.


Darüber hinaus wird es darauf ankommen, dass sich Deutschland in aller Welt als international vernetzter, exzellenter Wissenschafts- und Forschungsstandort präsentiert. Das Konzept der Häuser der Wissenschaft und Innovation ist hierfür der geeignete Ansatzpunkt. Es gewährleistet einen konsolidierten Auftritt im Ausland und die zielführende und unkomplizierte operative Zusammenarbeit der Wissenschaftseinrichtungen vor Ort. Der eingeschlagene Weg sollte in der kommenden Legislaturperiode fortgesetzt werden.


7. Open Access und Urheberrecht


Innovationspotenzial und weltweite Konkurrenzfähigkeit von Wissenschaft und Forschung sind stark von den rechtlichen Rahmenbedingungen bestimmt. Restriktive Regelungen blockieren die Wissenschaft, führen zum Abwandern wichtiger Wissenschaftszweige in andere Länder und machen es unmöglich, das im Lande noch vorhandene und für innovative Zukunftsentwicklungen dringlich erforderliche Forschungspotenzial auszuschöpfen.


Open Access, d. h. der für den Interessierten entgeltfreie Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen, ist ein wichtiger Beitrag zur Weiterentwicklung des Wissenschaftsstandorts Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen ausgestattet werden mit der bestmöglichen Informationsstruktur, die die neuen Möglichkeiten der Wissensverbreitung für Wissenschaft und Gesellschaft nutzt. Open Access darf kein bloßes Lippenbekenntnis der Bundesregierung sein, sondern muss durch Neuregelungen im Urheberrecht im Rahmen des "3. Korbs" für die Belange von Bildung und Wissenschaft begleitet werden.


8. Hochschulpolitisches Engagement des Bundes verbunden mit enger Kooperation von Bund und Ländern


Deutschland wird seine Chancen im globalen Wettbewerb nur dann nutzen können, wenn das Bildungs- und Wissenschaftssystem durch Investitionen und durch ein geändertes gesellschaftliches Klima entschlossener als bisher unterstützt wird. Dies ist eine gesamtstaatliche Aufgabe. Die Auswirkungen der Föderalismusreform I im Hochschulbereich machen deutlich, dass der Bund im Hinblick auf seine gesamtstaatliche Verantwortung mehr denn je gefordert ist, Bundesmittel zur Verfügung zu stellen. Hochschulpakt und Exzellenzinitiative sind dafür herausragende Beispiele. Die Aufwendungen für Bildung, Wissenschaft und Forschung müssen haushaltstechnisch als investive Ausgaben behandelt werden, damit der Charakter der Zukunftsinvestition sichtbar wird. Gleichzeitig sollten die Möglichkeiten des Bundes, Finanzhilfen für Investitionen der Länder zu gewähren, mit einer Änderung des Art. 104 b GG ausgeweitet werden. Die Hochschulen werden in hohem Maße auf die Möglichkeiten des Bundes, Finanzhilfen für Investitionen der Länder zu gewähren, angewiesen sein, vor allem wenn durch steuerliche Entlastungen der finanzielle Spielraum der Länder noch weiter eingeschränkt wird. Nicht zuletzt müssen Bund und Länder auf dem Gebiet der Hochschulpolitik eng zusammenarbeiten.


9. Förderung der Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft


Die Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ist in den letzten Jahren erheblich ausgeweitet worden und erstreckt sich inzwischen auf nahezu alle Leistungsbereiche der Hochschulen. Dennoch sind die Potenziale bei Weitem noch nicht ausgeschöpft, insbesondere im Bereich der innovationsgerichteten Kooperation. Deutschland gehört zu den wenigen Ländern Europas und der Welt, in denen es bislang keine steuerliche Förderung von FuE in der Wirtschaft gibt. Diesen systematischen Nachteil gilt es auszugleichen. Eine steuerliche FuE-Förderung setzt Anreize zur Verstärkung der Forschung und Entwicklung in der Industrie und führt durch eine Stimulierung der Nachfrageseite auch zu einer Intensivierung der Kooperationen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Zudem lässt sich durch attraktivere steuer- und stiftungsrechtliche Regelungen das Engagement der Wirtschaft zugunsten der Wissenschaft weiter fördern. Keinesfalls darf jedoch die bisherige projektorientierte Förderung der forschungsbasierten Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft durch eine rein steuerliche Forschungsförderung ersetzt werden. Beide Formen der Forschungsförderung sind zu erhalten.


10. Zusammenführung aller wissenschaftsrelevanten Zuständigkeiten in einem Bundesministerium


"Kompetenzgerangel" und unkoordinierte, sich ggf. blockierende Parallelaktivitäten unterschiedlicher Ministerien sind im Hinblick auf die notwendige Stärkung des Innovationssystems ausgesprochen hinderlich. Von daher sind alle wissenschaftsrelevanten Zuständigkeiten in einem Bundesministerium zu bündeln.