Stellungnahme des 180. Plenums vom 4. November 1996
Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie hat im Juli 1996 "Leitlinien zur strategischen Orientierung der deutschen Forschungslandschaft" vorgelegt, um im Bereich der gemeinsamen Forschungsförderung durch Bund und Länder eine möglichst effiziente und innovationsorientierte Nutzung der Ressourcen zu erreichen, den Wettbewerb im Rahmen erweiterter Flexibilität und Eigenverantwortung zu stärken, die Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses verstärkt zu fördern sowie die Verfahren der gemeinsamen Förderung zu vereinfachen und zu beschleunigen.
Dazu nimmt die HRK wie folgt Stellung:
1. Wissenschaft im Wettbewerb
Wissenschaft und Wissenschaftsorganisationen in Deutschland stehen untereinander und global im Wettbewerb bei der Weiterentwicklung der Wissenschaft, um die besten Wissenschaftler, um den besten wissenschaftlichen Nachwuchs sowie um Förderungsmittel. Zugleich kooperieren sie untereinander und mit der Industrie. Dies gilt insbesondere für die Forschungsträger.
Die Hochschulen, insbesondere die Universitäten, verfügen in der Breite aller Disziplinen - nach den Ausführungen des Bundesberichts Forschung 1996, des Wissenschaftsrates und der HRK - über das größte Forschungspotential in Deutschland. Forschungsförderungsorganisationen, zu denen auch die Ministerien des Bundes und der Länder gehören, haben dienenden Charakter und unterstützen durch die Unterschiedlichkeit ihrer Förderangebote den Wettbewerb.
2. Universitäten als Zentren der Forschung und Nachwuchsausbildung
Die Universitäten sind in Deutschland nach wie vor Zentren der Forschung. Sie vermitteln Ergebnisse der Forschung in der Lehre und bilden den wissenschaftlichen Nachwuchs aus. Dies wird in den Leitlinien zwar einmal mit einem Satz erwähnt. Im übrigen wird aber die notwendige Stärkung der Forschung in den Hochschulen nicht weiter thematisiert, obwohl dazu in den vergangenen Jahren eine Reihe auch überregional zur Kenntnis genommener Empfehlungen und Stellungnahmen vorliegen.
"Pluralität, Eigenständigkeit, Dezentralität bleiben Erfolgsbedingungen eines innovativen Wissenschaftssystems. Aber sie bedürfen der Ergänzung durch fachübergreifende Kooperation, Themenkonzentration und Wettbewerb." - heißt es zu Recht in den Leitlinien. Eine Diskussion über das Wissenschaftssystem und seine Veränderung muß die Universitäten als Oberzentren der Wissenschaft einbeziehen.
Die Grundausstattung der Hochschulen, die durch die Länder als Träger der Hochschulen finanziert wird, hat den vielfachen Umfang der von DFG sowie Ländern und Bund finanzierten Projektförderung. Die gezielte Förderung der Forschung aufgrund von Anträgen aus den Hochschulen durch Drittmittel, einschließlich der Förderung der Spitzenforschung durch die DFG, beruht auf der Basis der Forschung aus der Grundausstattung der Hochschulen.
3. Modernisierung des Forschungssystems durch weniger Staat
Eine "organisatorische Modernisierung des Gesamtsystems der Forschung in Deutschland" durch Realisierung der Forderung "Mehr Forschung heißt auch hier weniger Staat" (S. 3) gilt gleichermaßen für Hochschulen wie außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Der Staat muß auch für die Hochschulen "die Rahmenbedingungen so gestalten, daß es ... möglich ist, diesen Modernisierungsschub in Gang zu setzen" (S. 3). Auch die Hochschulen benötigen eine Verbesserung ihrer Wettbewerbschancen durch administrative Vereinfachungen im Haushaltsrecht. "Die Forderung nach Effizienzerhöhung" richtet sich nicht nur an die Forschungseinrichtungen und die Hochschulen, "sondern auch an die Forschungsbürokratien beim Bund und in den Ländern" (S. 7).
4. Künftige Rolle der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Eine deutliche und nachhaltige Veränderung des Systems der arbeitsteiligen Forschungsfinanzierung und -förderung und die geplante Verlagerung weiterer Aufgaben von Forschungsträgerorganisationen auf die DFG hätte unmittelbare Auswirkungen auf die Funktion der DFG als Forschungsförderungsorganisation.
Die Förderung der DFG war bislang überwiegend auf die Universitäten orientiert. Im Interesse der Förderung der Spitzenforschung in den Hochschulen und der damit verbundenen Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit wurde seit Anfang der 90er Jahre die Mittelausstattung der DFG verstetigt und kontinuierlich über die Inflationsrate hinaus verstärkt ("5x5- und 4x5-Beschluß"). Dies wurde ungeachtet des damit verbundenen zunehmenden Einflusses der DFG auch auf die interne Mittelverteilung der Grundausstattung in den Hochschulen und auf deren Forschungsstrukturen von der HRK ausdrücklich unterstützt.
Vor einer grundlegenden Änderung der Rolle der DFG durch Funktionserweiterung sind deren beabsichtigte und absehbare Auswirkungen mit den Hochschulen als Mitgliedern der DFG zu erörtern, weil die DFG auch in den Hochschulen "durch ihre Förderung strukturverändernd in die Forschung hineinwirkt" (S. 4). Gleiches gilt für die Erörterung der Auswirkungen mit den Ländern, die gemeinsam mit dem Bund die DFG finanzieren.
Die Leitlinien sehen vor, daß die DFG künftig grundsätzlich auch für Blaue Liste-Einrichtungen und - nach den Leitlinien - ggf. auch für weitere außeruniversitäre Forschungseinrichtungen den Wettbewerb um Mittel und damit qualitätssichernde Auswahlverfahren organisieren und zu diesem Zweck Mittel aus der Grundausstattung dieser außeruniversitären Forschungseinrichtungen erhalten soll.
Zugleich sollen die Förderverfahren der DFG auch für Projekte aus außeruniversitären Forschungseinrichtungen im Kernbereich der Aufgaben dieser Einrichtungen geöffnet werden, die bislang von der DFG wegen der gemeinsamen Förderung dieser Einrichtungen durch Bund und Länder nicht gefördert wurden. Es ist nicht auszuschließen, daß damit eine Entwicklung eingeleitet wird, die die DFG, obwohl sie dies nicht anstrebt, allmählich zur zentralen Verteilungsagentur und damit Steuerungseinrichtung der Wissenschaft oberhalb der Forschungsinfrastruktur der Hochschulen und der außeruniversitären, öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen in Deutschland macht.
Dies widerspräche der in einem System von Wettbewerb und Kooperation dezentral organisierten und deshalb international konkurrenzfähigen Forschung in Deutschland. Zugleich würde das Gutachtersystem der DFG, das im wesentlichen auf Wissenschaftlern der Hochschulen beruht und im Ausland vielfach als Vorbild betrachtet wird, in einer Weise belastet, die seine Leistungs- und Funktionsfähigkeit zu überfordern drohte.
5. Gleiche Ausgangsbedingungen für den Wettbewerb
Die HRK begrüßt jede Maßnahme, die zur "Verstärkung eines wettbewerblichen Auswahlverfahrens nicht nur zwischen den WBL-Einrichtungen, sondern insbesondere auch mit den Forschern der Hochschulen" (S. 7) sowie "zur Förderung des wissenschaftlichen Wettbewerbs" (S. 13) führt. Allerdings müssen dabei gleiche Ausgangs- und Wettbewerbsbedingungen gegeben sein.
Die Hochschulen sind in der Leistungsfähigkeit ihrer Forschung durch übermäßige Belastung in der Lehre und Stellenabbau sowie Veraltung der apparativen Ausstattung vor allem bei den Großgeräten durch die seit einigen Jahren drastische Unterfinanzierung der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau gegenüber den außeruniversitären Forschungseinrichtungen zurückgefallen. Hochschulen können in einigen Fächern aus den knappen Mitteln der Grundausstattung, die zu einem erheblichen Teil durch die Lehre in Anspruch genommen wird, Hochleistungsforschung mit besonderen finanziellen Anforderungen kaum mehr finanzieren.
Angesichts der durchweg besseren Ausstattung der außeruniversitären Forschungseinrichtungen besteht daher die Gefahr, daß die Hochschulen bei einer uneingeschränkten Förderung von Forschungsvorhaben außeruniversitärer Forschungseinrichtungen durch die DFG im Wettbewerb unterliegen. Damit würde mittelfristig die Forschungsfähigkeit der Hochschulen außerhalb von inneruniversitären Kompetenzzentren gefährdet.
Die Perpetuierung des Ungleichgewichts zwischen der universitären und außeruniversitären Forschung zu Lasten der Hochschulen würde die Auswanderung der Spitzenforschung aus den Hochschulen und indirekt die Auswanderung der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses aus den Hochschulen noch weiter fördern. Der wissenschaftliche Nachwuchs muß in seinem eigenen Interesse dort seine Arbeitsmöglichkeiten suchen, wo die (relativ) besten Forschungsbedingungen zur Verfügung stehen.
Deshalb fordert die HRK die Länder auf, die Hochschulen, insbesondere die Universitäten, durch Gestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen und ausreichende finanzielle Ausstattung in die Lage zu versetzen, auch weiterhin im Wettbewerb um Forschungsförderungsmittel konkurrenzfähig zu bleiben. Sie fordert Bund und Länder auf, durch Änderungen, vornehmlich Deregulierung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Struktur und Organisation der Hochschulen, einen verfassungsrechtlich zulässigen Weg für die Mitfinanzierung von überregional bedeutsamer Forschung (im Sinne der Rahmenvereinbarung Forschungsförderung zwischen Bund und Ländern) in Hochschulen durch den Bund zu finden.
6. Wissens- und Technologietransfer
Der beste Wissens- und Technologietransfer geschieht über den "Transfer durch Köpfe" (S. 8). 200.000 Absolventinnen und Absolventen der Hochschulen, unter ihnen 20.000 Promovierte (Stand 1992) zeigen, in welchem Umfang Hochschulen zu Wissens- und Technologietransfer beitragen. Die meisten Promovierten verlassen die Hochschulen und "bringen ihr Know how in Positionen in Wirtschaft und Staat ein".
Deshalb ist es wichtig, den Hochschulen, insbesondere den Universitäten, wie den Fraunhofer-Instituten
"-durch die Gründung von Innovationszentren,- durch die Entwicklung strategischer Innovationsinitiativen, ... neue Spielräume zu eröffnen, um ihr Potential voll auszuschöpfen" (S. 8). Ebenso wie Fraunhofer-Institute und Helmholtz-Zentren müssen Hochschuleinrichtungen "die Markteinführungsbarrieren aktiv überwinden". Deshalb ist auch den Hochschulen der Weg zu eröffnen, "Forschungskapazitäten über eine Zwischenphase der Marktbewährung zu privatisieren" (S. 9) oder "sich stärker - gemeinsam mit unterschiedlichen Beteiligten - in privatwirtschaftlichen Unternehmensformen zu betätigen, z. B. durch Unterstützung von Mitarbeiterausgründungen bzw. Gründungen von jungen Technologieunternehmen" (S. 13).
Auch den Hochschulen müssen "Einnahmen aus der Kooperation mit der Wirtschaft ... vollständig verbleiben, ohne als zuwendungsmindernd angerechnet zu werden. Die Einwerbung zusätzlicher Finanzierungsbeiträge aus der Wirtschaft soll durch zusätzliche leistungsabhängige Vergütungsanreize gefördert werden, die aus diesen Einnahmen zu finanzieren sind" (S. 14).
7. Vernetzte Kompetenzzentren
Schon jetzt werden Hochschulen, insbesondere Universitäten, ebenso wie Fraunhofer-Institute mit externen F&E-Partnern und potentiellen Anwendern "zu einer räumlich verteilten, temporären Projektgruppe verknüpft - als virtuelles Innovationsteam" (S. 10), wie das Beispiel der bayerischen Forschungsverbünde zeigt.
"In ausgewählten und aktuellen Schlüsselfeldern Kompetenz zu konzentrieren" (S. 10), ist Aufgabe der Hochschulen, insbesondere der Universitäten, nicht nur der Helmholtz-Zentren. "Bündelung der Ressourcen auf wichtige Schlüsselfelder und damit Gewinnung eines deutlichen Leistungsprofils bleiben vorrangige Aufgaben, um internationalen Wettbewerb bestehen zu können" (S. 10) - hier kommt den Universitäten als Oberzentren der Wissenschaft eine zentrale Rolle zu, denn sie sind in besonderer Weise in der Lage, "Herausforderungen interdisziplinär zu beantworten und sich wechselnden Schwerpunkten flexibel anzupassen" (S. 10).
Notwendig ist zwischen den Einrichtungen und zwischen Bund und Ländern eine Verständigung über die Rolle der Universitäten und der außeruniversitären Forschungseinrichtungen gemäß ihrer jeweils spezifischen Aufgabenstellung. Um im internationalen wissenschaftlichen Wettbewerb bestehen zu können, ist eine Vernetzung der Kompetenzzentren in Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen erforderlich. Diese Vernetzung sollte in besonderer Weise gefördert werden.
Die HRK fordert Bund und Länder auf, diese Thesen zur Stärkung der Aufgaben und Funktion der Hochschulen in der Forschung bei der Umsetzung der Leitlinien des BMBF zur strategischen Orientierung der deutschen Forschungslandschaft zu berücksichtigen.