Hochschulen für nachhaltige Entwicklung


Entschließung der 7. Mitgliederversammlung am 24.11.2009


Erklärung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und der Deutschen UNESCO-Kommission (DUK) zur Hochschulbildung für nachhaltige Entwicklung


Entschließung des DUK-Vorstands am 22. Januar 2010 


Präambel


Als Verpflichtung zum schonenden Umgang mit natürlichen Ressourcen hat das Prinzip der Nachhaltigkeit eine lange Tradition. In seiner modernen Form - maßgeblich geprägt durch den Bericht der "Brundtland-Kommission" der UN (1987) [1] - reflektiert "Nachhaltigkeit" gleichermaßen die Komplexität der materiellen und sozialen Lebensverhältnisse und ihre Verknüpfung in globalen Zusammenhängen und Abhängigkeiten und findet - normativ - ihren Ausdruck im Konzept der "nachhaltigen Entwicklung" als Imperativ, "dass die gegenwärtige Generation ihre Bedürfnisse befriedigt, ohne die Fähigkeit der zukünftigen Generation zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen zu können". [2] Im globalen Zusammenhang beinhaltet dies nicht nur eine "Generationengerechtigkeit", sondern auch das Ziel "globaler Gerechtigkeit" in der Verteilung und Entwicklung von Ressourcen, Wohlstand und Lebensqualität, so dass heutige Gesellschaften nicht auf Kosten zukünftiger Generationen leben und eine Region der Welt nicht auf Kosten anderer Weltregionen.


Auf der Grundlage des "Brundtland-Berichts" hat sich die weltweite Staatengemeinschaft seitdem auf einer Folge internationaler Konferenzen unter der Ägide der UN verpflichtet, den Grundsatz der Nachhaltigkeit in allen Bereichen national und international aktiv zu fördern und politisches Handeln daran auszurichten. Die "Agenda 21" ("Rio-Konferenz", 1992) markiert den Beginn intensiver öffentlicher Debatten des Konzepts der Nachhaltigkeit und vielfältiger Aktionsprogramme auf nationaler Ebene. [3] Der "Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung" (Johannesburg-Konferenz) hat 2002 nach einer Bilanzierung nationaler Aktivitäten in der Fortschreibung des Aktionsprogramms den Zusammenhang zwischen Nachhaltigkeit und Bildung hervorgehoben und die UN veranlasst, den Zeitraum 2005 bis 2014 als "Welt-Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung" auszurufen. [4]


I.


Hochschulen sind Einrichtungen der Gesellschaft und stehen als Kern des Wissenschaftssystems mit ihren drei Aufgabenfeldern Forschung, Lehre und Dienstleistung in der Verantwortung, zur zukunftsorientierten Entwicklung der Gesellschaft beizutragen. Eine zukunftsorientierte Entwicklung steht heute unter dem Leitbild der "Nachhaltigkeit". In Deutschland findet dies neben der verfassungsrechtlichen Bestimmung als "Staatsziel" (Artikel 20a GG) auch bereits in Hochschulgesetzen der Länder Ausdruck. [5] Bei der Verwirklichung nachhaltiger Entwicklung im Sinne dieses Leitbilds kommt den Hochschulen - institutionell und individuell für alle in ihr arbeitenden Personen - eine herausragende Bedeutung zu, denn nachhaltige Entwicklung fordert gesellschaftliche Akzeptanz, die durch eine "Bildung für nachhaltige Entwicklung" unterstützt und befördert werden muss, [6] um die erforderlichen Wandlungsprozesse in individuellen Orientierungen und Handlungsweisen in der gesamten Gesellschaft zu initiieren und zu verankern.


Die Hochschulen als Bildungsstätten für die zukünftigen Entscheidungsträger und als Zentren von Forschung haben hierbei eine besondere Verantwortung und spielen eine entscheidende Rolle: Sie legen Grundlagen, indem sie in Lehre und Studium Kenntnisse, Kompetenzen und Werte vermitteln und in der Forschung Wissen und Innovationen erzeugen, die für die Gestaltung nachhaltiger Entwicklung nötig sind. Dies sollte verbunden werden mit Programmen und Initiativen staatlicher und nichtstaatlicher Akteure auf nationaler und internationaler Ebene. [7] Bildung für nachhaltige Entwicklung muss problemgerecht international ausgerichtet und organisiert sein und deshalb Teil der Internationalität der Hochschulen bilden. Die Hochschulen verfügen mit ihrem Netz internationaler Beziehungen über eine weltweite Infrastruktur, die es für die Aufgaben nachhaltiger Entwicklung zu nutzen gilt. In der internationalen Zusammenarbeit im Dienste der "Bildung für nachhaltige Entwicklung" können sie sowohl in Lehre und Studium als auch in der Forschung mit entsprechender thematisch-inhaltlicher Ausrichtung an etablierte Formen der internationalen Hochschulkooperation anknüpfen8 und diese vor allem in Lehre und Studium weiter ausbauen. [9]


II.


Mit dieser Erklärung knüpfen HRK und DUK sowohl an Forderungen der Europäischen Rektorenkonferenz aus dem Jahr 1994 an, mit denen sie die Hochschulen aufgerufen hat, sich am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung zu orientieren, [10] als auch an die Aufforderung der europäischen Bildungsminister an die Hochschulen anlässlich der Bologna-Nachfolgekonferenz in Bergen im Mai 2005, das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung als Element bei der Schaffung des Europäischen Hochschulraumes zu berücksichtigen. [11]


HRK und DUK begrüßen die Initiativen und Programme, mit denen sich Hochschulen bereits - einzeln oder in verschiedenen Formen der Zusammenarbeit - am Leitbild der Nachhaltigkeit orientieren, sowohl in der konzeptionellen Formulierung als auch in der praktischen Umsetzung in den Bereichen Lehre und Studium, Forschung, Dienstleistung und auch in ihren institutionell-administrativen Arbeitsweisen. [12]


Die Hochschulen sind aufgerufen, diese Ansätze weiter zu vertiefen, um Bildung für nachhaltige Entwicklung zu einem konstitutiven Element in allen Bereichen ihrer Tätigkeit zu entwickeln. [13]


III.


In Forschung und Wissenstransfer sollten, wo immer angezeigt, fachliche Spezialisierung mit fächerübergreifenden und interdisziplinären Perspektiven verbunden werden, um den komplexen Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt Rechnung zu tragen. Individuell und in gesellschaftlichen Handlungsfeldern sind die globalen Probleme des menschlichen Zusammenlebens nur sinnvoll zu erforschen, wenn sich Erkenntnisse und Expertise in Geistes-, Wirtschafts-, Sozial- und Verhaltenswissenschaften sowie Natur- und Technikwissenschaften stärker verbinden.


In Lehre und Studium sowie der Weiterbildung sollten die Hochschulen bei ihren Studierenden Wissen und Kompetenzen fördern, die es ihnen ermöglichen, die Probleme nachhaltiger Entwicklung in den interdisziplinären Zusammenhängen zu erkennen und zu beurteilen, um in ihren Disziplinen und beruflichen Arbeitszusammenhängen informiert und verantwortlich handeln zu können. Fach- und Spezialwissen muss sich dazu mit kommunikativen Kompetenzen für partizipative Entscheidungs- und Konfliktlösungsprozesse verbinden. Der Verbindung von Forschung und Lehre und fachübergreifend-interdisziplinär angelegten Studienangeboten kommt dafür zentrale Bedeutung zu.


Institutionell sollten Hochschulen sich auch in ihren internen Arbeitsweisen und Verfahrensabläufen am Leitbild der Nachhaltigkeit orientieren. Effektives Ressourcenmanagement, energieeffizienter Hochschulbau, umfassende Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs durch Hochschulangehörige oder die Berücksichtigung von Prinzipien des fairen Handels bei Beschaffungsmaßnahmen sind Bereiche, in denen Hochschulen beispielgebend handeln können.


Die Hochschulleitungen sind hier gefordert, allen Mitgliedern ihrer Hochschule das Prinzip der Nachhaltigkeit als Grundlage ihrer Tätigkeit mit den Bezügen zu ihren einzelnen Arbeitsfeldern zu vermitteln.


IV.


Mit einer umfassenden Orientierung am Leitbild der Nachhaltigkeit und der Integration der genannten Grundsätze in Forschung, Lehre und Dienstleistung in einer Bildung für nachhaltige Entwicklung können Hochschule ihre tragende und leitende Rolle unter Beweis stellen und ihre Stellung als Zukunftswerkstätten für die gesellschaftliche Entwicklung weiter stärken.


Die Hochschulrektorenkonferenz ist der freiwillige Zusammenschluss staatlicher und staatlich anerkannter Hochschulen in Deutschland.Die Deutsche UNESCO-Kommission ist eine Mittlerorganisation der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Auf der Grundlage eines einstimmigen Bundestagsbeschlusses und mit Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung koordiniert sie die Umsetzung der UN-Dekade "Bildung für nachhaltige Entwicklung" in Deutschland.


 


Anmerkungen


[1] World Commission on Environment and Development (1987). Report "Our Common Future". U.N. General Assembly, 42nd Session, A/42/427, 4 Aug 1987, Annex 1); < www.un-documents.net/ocf-ov.htm >.


[2] op. cit., Overview, Nr.27.


[3] United Nations Conference on Environment and Development, Rio de Janeiro, 3-14 June 1992 (U.N.General Assembly, A/CONF.151/26/Rev. l, Vol. l).


[4] World Summit on Sustainable Development (2002). "Plan of Implementation of the World Summit on Sustainable Development", Johannesburg, 26. August - 04.September 2002 (A/CONF.199/20), Annex, Nr. 124 d).


[5] Als Beispiele vgl. Hamburgisches Hochschulgesetz v. 18.07.2001 i.d.F. v. 26.05.2009 (GVBl. I Hamburg 2009, 23, S. 160), § 3 (Gemeinsame Aufgaben der Hochschulen), Abs. 1 und Berliner Hochschulgesetz v. 13.02.2003 i.d.F.v. 19.03.2009 (GVBl. Berlin 65.2009,6, S. 70 ff.), § 4 (Aufgaben der Hochschulen), Abs. 1-2.


[6] "Report from the International Commission on Education for Sustainable Development Practice" (2008). New York: The Earth Institute at Columbia University.


[7] Als Forum der "Selbstorganisation" zum Informations- und Erfahrungsaustausch über einzelne Aktivitäten insbesondere nichtstaatlicher Akteure dient in Deutschland der "Runde Tisch zur UN-Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung", der unter der Schirmherrschaft des Nationalkomitees für die UN-Dekade" bei der Deutschen Unesco-Kommission (DUK) eingerichtet ist. Mit der Tagung "Implementierung von Nachhaltigkeit in Hochschulen", TU Darmstadt, 06.-07.05.2009, als Nachfolgetreffen der Veranstaltung im Vorjahr hat sich ein Arbeitskreis "Hochschulen und Nachhaltigkeit" im Rahmen des Runden Tisches gebildet und institutionalisiert. Auf europäischer Ebene verfolgt die EU die vom Europäischen Rat 2006 beschlossene "Strategie zur nachhaltigen Entwicklung", mit der relevante Forschungsgebiete und die Tätigkeit von Bildungsinstitutionen gefördert und unterstützt werden < ec.europa.eu/sustainable/welcome/index_de.htm > und < ec.europa.eu/sustainable/civil_society/index_de.htm >.


[8] Vgl. z. B. Richter, W. v.; Seel, H.; Stahr; H. (2000) "Rolle der Hochschulen als Schlüssel für eine nachhaltige Entwicklung" Arbeitspapier, GTZ, Arbeitsfeld 4316: Bildung, Wissenschaft, Jugend, Eschborn, Mai 2000< www.gtz.de/de/dokumente/de-hochschule-nachhaltige-entwicklung-2000.pdf >.


[9] Dazu die Vorschläge für neue, inhaltlich an Aufgaben nachhaltiger Entwicklung orientierter gemeinsamer internationaler Studienprogramme der "International Commission on Education for Sustainable Development Practice".


[10] Entschließung der CRE zur Hochschul-Charta für nachhaltige Entwicklung des COPERNICUS-Programms, Genf, Mai 1994 < www.eco-campus.net/Misc/copernicus_dt.pdf >.


[11] The European Higher Education Area - Achieving the Goals. Communiqué of the Conference of European Ministers Responsible for Higher Education, Bergen, 19-20 May 2005, S. 4. < www.bologna-bergen2005.no/Docs/00-Main_doc/050520_Bergen_Communique.pdf >.


[12] vgl. z. B. die Lübecker Erklärung "Hochschulen und Nachhaltigkeit" der Konferenz der Norddeutschen Partnerschaft zur Unterstützung der UN-Dekade Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) 2005-2014 (NUN), Lübeck, 23./24.11.2005) < www.fh-oow.de/oe//downloads/18/luebeckererklaerung.pdf > sowie die Materialien der gemeinsam von Hochschulinformationssystem Hannover (HIS) und der TU Darmstadt veranstalteten Tagung "Implementierung von Nachhaltigkeit in Hochschulen", TU Darmstadt, 18.- 20. Juni 2008 < www.his.de/publikation/seminar/Nachhaltigkeit_062008 >.


[13] Als Überlegungen und Vorschläge für ein systematisches "institutionelles Entwicklungsprogramm" vgl. Adomßent, M. et al. (2008). "Szenarienentwicklung für die "nachhaltige Hochschule" - ein Beitrag für die Hochschulforschung?! Die Hochschule 1 (2008): 23-40.