Beschluß des 167. Plenums vom 6. Juli 1992
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Aktuelle Situation der Hochschulen
- Hochschulen in den alten Bundesländern
- Hochschulen in den neuen Bundesländern
III. Qualitative Anforderungen und Struktur des Hochschulbereichs
- Grundsätze
- Das differenzierte Hochschulsystem
IV. Maßnahmen zur Stärkung des Hochschulwesens
- Studienreform an Universitäten
a. Verhältnis von Erststudium zu- wissenschaftlichem Aufbau- und Vertiefungsstudium- berufsorientiertem Weiterbildungsstudium
b. Vorbildung der Studienbewerber
c. Staatliche Maßnahmen zur Unterstützung - Sicherung der Universitätsforschung
- Stärkung der Fachhochschulen
a. Räumlicher und personeller Ausbau
b. Flankierende Maßnahmen - Hochschulausbau
a. Tatsächlicher Ausbaustand und Planung in den alten Ländern
b. Tatsächlicher Ausbaustand und Planung in den neuen Ländern
c. Flächenbezogener Ausbau
d. Personeller Ausbau - Hochschulorganisation
V. Duale Berufsausbildung
Anhang
Tabelle 1: Studienanfänger
Tabelle 2: Personalstellen
Tabelle 3: Studierende
Tabelle 4: Betreuungsrelationen
Tabelle 5: Übersicht über Studierende, Studienanfänger, Ausbaustand, -zielzahlen
Tabelle 6: Berechnung des Bedarfs an Studienplätzen im Jahre 2010
Tabelle 7: Berechnung des zusätzlichen jährlichen Mittelbedarfs
I. Einleitung
Die jüngsten weltpolitischen Entwicklungen, die Vereinigung Deutschlands, der schrittweise Zusammenschluß Europas über den Binnenmarkt, die Wirtschafts- und Währungsunion zur politischen Union, die Befreiung und Demokratisierung Ost- und Südosteuropas bestimmen auch die Ziele und Schwerpunkte der Hochschulpolitik in den nächsten Jahren. Die Wiederherstellung freiheitlicher Hochschulverfassungen und die inhaltliche Erneuerung der Hochschulen in den neuen Ländern sind eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß beide Teile Deutschlands zu einer geistigen und kulturellen Einheit zusammenfinden und sich gleiche Entwicklungschancen im Bildungsbereich entwickeln können.
Zugleich gilt es, Studiengänge und Studieninhalte unter dem Aspekt der Europäischen Einigung zu überprüfen, Stärken und Schwächen der Forschung im Vergleich der Hochschulen weltweit zu analysieren und die notwendigen Strategien für den sich verschärfenden Wettbewerb zu entwerfen. Nicht zuletzt obliegt Staat und Hochschulen die Pflicht, die Länder in Südost- und Osteuropa beim Wiederaufbau ihrer Bildungseinrichtungen zu beraten und zu unterstützen.
Die dafür notwendigen Schritte zu entwickeln, Qualität von Forschung und wissenschaftlicher Lehre im geeinten Deutschland zu sichern und zu verbessern, sind zentrale Aufgaben von Ländern, Bund und Hochschulen im Rahmen ihrer jeweiligen Kompetenzen. Isolierte Bestandsaufnahmen, ein Neu- oder Umbau der Hochschulen und Forschungseinrichtungen in einem Teil der Bundesrepublik losgelöst von den Strukturen, Stärken, Schwächen und Entwicklungen der entsprechenden Einrichtungen im anderen Teil werden gesamtstaatlichen Zielen nicht gerecht. Vielmehr ist eine neue, die Gesamtperspektive umfassende Entwicklungsplanung erforderlich, die angesichts der Erfahrungen der letzten Jahre und im Hinblick auf die in einer gesonderten Stellungnahme der HRK skizzierten Entwicklungen in Europa flexibel und fortschreibungsfähig angelegt sein muß.
Dafür sprechen auch die neuesten Prognosen für den Hochschulbereich. So werden sich entgegen früheren Annahmen die Studienanfängerzahlen in den nächsten beiden Jahrzehnten bei etwa 300.000 pro Jahr einpendeln. Die Zahl der Studierenden wird nicht unter 1,5 Mio. fallen und bis zum Jahre 2010 wieder über 1,8 Mio. ansteigen, denn:
- in den alten Bundesländern wird die Studienberechtigtenquote (Anteil der Schulabsolventen mit Studienberechtigung an der Gesamtzahl der Schulabsolventen eines Altersjahrganges) von derzeit 34% auf über 40% (erstmals 1999) steigen,
- der Anteil der Studienanfänger am Altersjahrgang (Durchschnittsjahrgang der 19- bis unter 21jährigen Bevölkerung) wird von derzeit 31% auf ca. 34% steigen,
- in den neuen Ländern wird die Studienberechtigtenquote von derzeit 26% bis zum Jahre 2000 auf 35% ansteigen,
- der Anteil der Studienanfänger am Altersjahrgang in den neuen Ländern, der derzeit bei 13% liegt, wird sich in etwa verdoppeln, wenn die Studienberechtigtenquote wie oben beschrieben und die Übergangsquote von derzeit 52% auf 75% bis zum Jahre 2000 ansteigt [1].
Damit haben sich die Annahmen zur Hochschulentwicklung als falsch erwiesen, die - orientiert allein an der demographischen Entwicklung - seit Mitte der 70er Jahre von einem zeitweiligen "Studentenberg" und dessen "Untertunnelung" ausgehen. Die Überlast, die vorübergehend zur Sicherung der Bildungs- und Ausbildungschancen der jungen Generation von den Hochschulen getragen werden sollte, wird zur Dauerbelastung und entwickelt systemdeformierende, dysfunktionale Wirkungen.
Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hat sich deshalb auf ihrer Plenarversammlung am 4.11.1991 nicht mehr in der Lage gesehen, den "Öffnungsbeschluß" aus dem Jahre 1977 weiter mitzutragen.
Die individuelle Studierneigung wird auch langfristig nicht abnehmen, sondern eher wachsen. Diese Tendenz wird durch die steigende Nachfrage des Arbeitsmarktes nach Arbeitskräften, die eine höhere Qualifikation aufweisen, befördert. Schon 1987 waren 10,3% der 27,1 Mio. Arbeitnehmer in den alten Bundesländern Hochschulabsolventen (1985: 8,5%). Etwa zwei Drittel davon besaßen einen Universitäts-, ein Drittel einen Fachhochschulabschluß. Darunter stellten die Ingenieure mit rund 530.000 Personen die größte Berufsgruppe dar. In ihren Reihen überwiegen die Fachhochschulabsolventen.
Es ist davon auszugehen, daß bis zum Jahre 2010 der Anteil der Universittätsabsolventen an den Berufstätigen um 80% auf etwa 3,2 Millionen - das sind knapp 12% der Beschäftigten - und der Anteil der Fachhochschulabsolventen um 39% bis 55% auf 2,8 bis 3,1 Millionen - das sind rund 10% der Beschäftigten - ansteigen wird [2]. Tendenziell werden sich auch in den neuen Bundesländern - wenn auch mit einer längeren Übergangszeit - die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt diesem für die alten Länder prognostizierten Trend anschließen.
Unabhängig von kurzfristigen Schwankungen des Arbeitsmarktes besteht nicht nur ein unumkehrbarer nationaler wie internationaler Trend zu einem immer größer werdenden Anteil wissenschaftlich ausgebildeten Personals in allen Bereichen der Arbeitswelt, sondern auch ein wachsender Bedarf an Facharbeitern. Nach Prognosen des Nürnberger Instituts für Arbeits- und Berufsforschung werden im Jahre 2010 mindestens 160.000 Facharbeiter mehr als die derzeit 6,13 Millionen Beschäftigten benötigt. Dabei bleibt unberücksichtigt, daß schon jetzt rund 10% aller Facharbeiterstellen mit Nichtfachkräften besetzt sind, also der Bedarf an Spezialisten in diesem Bereich tatsächlich weitaus höher ist.
Zur Lösung der Probleme bedarf es einer Grundsatzdiskussion über Umfang, Struktur und Inhalt des Bildungs-, Ausbildungs- und Forschungsbereiches. Sie muß zu Entscheidungen über die Eckwerte der zukünftigen Hochschul-, Schul- und Berufsbildungspolitik führen.
II. Aktuelle Situation der Hochschulen
Im Jahre 1991 haben sich ca. 302.000 Studienanfänger an den Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland (ohne Verwaltungsfachhochschulen) und damit etwa 30.000 mehr eingeschrieben, als in der Prognose der Kultusministerkonferenz vom Januar 1991 als Obergrenze vorausgesagt wurde. Die Zahl der an den deutschen Hochschulen eingeschriebenen Studierenden ist im Wintersemester 1991/92 auf den neuen Höchststand von 1,78 Millionen gestiegen.
Im einzelnen ergibt sich folgendes Bild, bei dem die Entwicklung in der Medizin wegen ihrer im Hinblick auf die Finanzierung wie auch durch den Numerus clausus bestimmten Sondersituation jeweils gesondert ausgewiesen wird:
1. Die Zahl der Studierenden an den Hochschulen in den alten Bundesländern beträgt rund 1,63 Mio. (ohne Verwaltungsfachhochschulen). An Universitäten sind etwa 1,14 Millionen, einschließlich der Humanmedizin 1,24 Millionen Studierende eingeschrieben. An Fachhochschulen sind es rund 350.000, an Kunst-, Musik- und sonstigen Hochschulen rund 40.000 Studierende. Die gegenwärtige Zahl der Studierenden übersteigt jene aus dem Jahr des Öffnungsbeschlusses (1977) [3] damit um mehr als 75% [4].
Die Studienanfängerzahl (1. Hochschulsemester) lag im Jahre 1991 über 270.000. Davon hatten sich über 193.000 an Universitäten, darunter rund 12.000 in der Medizin, 5.000 an Kunst- und sonstigen Hochschulen und über 72.000 an Fachhochschulen eingeschrieben. Sie lag damit ohne Medizin um rund 70%, mit Medizin um 65% über der Zahl des Jahres 1977 (vgl. Tabelle 1).
Demgegenüber ist die Personalausstattung an den Hochschulen - ohne Klinika - fast unverändert geblieben. Die Zahl der Stellen für wissenschaftliches Personal in den Landeshaushaltsplänen ist von 54.000 im Jahre 1977 auf 54.300 an Universitäten, Gesamt-, Kunst- und Musikhochschulen und von 8.800 auf 9.500 an Fachhochschulen im Jahre 1989 gestiegen (vgl. Tabelle 2).
Das durchschnittliche, über alle Fächer - die Medizin ausgenommen - ermittelte Verhältnis von Lehrenden zu Studierenden hat sich von 1977 bis 1990 an Universitäten von 1:12,5 auf 1:20,5 - die Medizin einbezogen von 1:11 auf 1:16 - und an Fachhochschulen von 1:18 auf 1:37 verschlechtert [5]. Wenn man entsprechend den Empfehlungen des Wissenschaftsrates zu den Perspektiven der Hochschulen in den 90er Jahren nur die Zahl der Studierenden an Universitäten im vierten bzw. an Fachhochschulen im dritten Studienjahr heranzieht (vgl. Tabelle 3), um bei der Berechnung der Lehrbelastung die statistischen Verzerrungen durch Langzeitstudierende und Studienabbrecher zu eliminieren, haben sich die Betreuungsrelationen seit 1975 an Universitäten um 40%6) und an Fachhochschulen um über 70% verschlechtert (vgl. Tabelle 4).
Auch die räumliche Auslastung der Hochschulen liegt weit über 100%. Die Zahl der flächenbezogenen Studienplätze ohne Medizin beträgt 755.000, nämlich an Universitäten und gleichgestellten Hochschulen 593.000, an Fachhochschulen 144.000 und an Kunst- und Musikhochschulen 18.000. Hinzu kommen schätzungsweise 66.000 Studienplätze in der Medizin.
Zieht man für die Berechnung der räumlichen Auslastung nicht die Gesamtstudierendenzahl heran, sondern nach der Formel des Wissenschaftsrats lediglich die Studierenden innerhalb der Regelstudienzeit, so ergibt sich für das Wintersemester 90/91 eine Auslastung der Universitäten von 155% ohne bzw. 150% mit Medizin und der Fachhochschulen von 160%. Dabei werden als durchschnittliche Regelstudienzeiten für die Universitäten 5, für die Fachhochschulen 3,5 Jahre zugrundegelegt [7].
Nicht weniger kritisch hat sich die Situation der Hochschulforschung entwickelt. Gegenüber 17,4% im Jahre 1978 betrug im Jahre 1990 ihr Anteil am gesamten Forschungsbudget in der Bundesrepublik, das sich auf etwa 66 Mrd. DM belief, 13,6%, also ca. 8 Mrd. DM (Wirtschaft 71%, außeruniversitäre öffentliche Forschungseinrichtungen 12,6%, internationale Forschungseinrichtungen 2,8%). Während sich die Ausgaben für die Industrieforschung seit 1979 nominal mehr als verdoppelt haben [8], sind die Etats der Großforschungseinrichtungen um nominal 45%, die der Max-Planck-Institute um nominal 65% gestiegen [9]. Die den Hochschulen zugewiesenen Sachmittel tragen deren besonderer Belastung nicht Rechnung, was zu einer realen Stagnation und zu einem stetigen Sinken des Forschungsanteils der Hochschulen am gesamten Forschungsvolumen geführt hat [10].
Die Grundausstattung der Hochschulen für die Forschung ist in personeller, räumlicher und apparativer Hinsicht nicht mehr ausreichend. Es fehlen Räume und Geräte, Werkstätten reichen nicht aus, Kommunikationsnetze sind nicht hinreichend leistungsfähig. Bibliotheken können die neu erschienene Literatur für Forschung und Lehre mangels Mitteln nicht im gebotenen Umfang erwerben. Die Lage wird bis zur Gefahr aufsichtsbehördlichen Einschreitens dadurch verschärft, daß z.T. erhebliche Mittel fehlen, die für die Erfüllung neuer gesetzlicher und anderer rechtlicher Auflagen, z.B. in verschiedenen Sicherheitsbereichen (GefahrstoffVO etc.), notwendig sind. Der erhebliche Bedarf an Reinvestitionsmitteln, der infolge der überalterten räumlichen und sächlichen Ausstattung besteht, wird bei weitem nicht gedeckt.
Infolge dessen stehen die Hochschulen seit geraumer Zeit u.a. vor zunehmenden Schwierigkeiten bei der Besetzung von Professorenstellen. Dabei lassen nicht nur finanzielle Aspekte dem wissenschaftlichen Nachwuchs eine Hochschullehrerlaufbahn im Vergleich zur Berufstätigkeit außerhalb der Hochschulen unattraktiv erscheinen. Angesichts der hohen Studierendenzahlen bei praktisch unveränderter Personalausstattung der Hochschulen sind die Anforderungen des Einsatzes in der Lehre so hoch geworden, daß sich gerade die verantwortungsbewußten Nachwuchswissenschaftler in der Lehre aufreiben und darüber die persönliche wissenschaftliche Qualifikation in der Forschung zu kurz kommt oder diese Qualifikation zu lange dauert.
Für die anstehenden Neuberufungen - etwa 75% des Lehrkörpers scheiden in den nächsten 15 Jahren altersbedingt aus - fehlen vielfach die notwendigen Investitionsmittel.
Die Hochschulen haben durch Einwerbung von Drittmitteln die Folgen dieser Unterfinanzierung zwar mildern, nicht aber kompensieren können. Sie haben ihr Drittmittelvolumen im Zeitraum 1970 bis 1985 nominal von 650,6 Mill. DM auf 2,1 Milliarden DM gesteigert, also mehr als verdrei-facht. Die Zahl des aus Drittmitteln finanzierten wissenschaftlichen Personals stieg von etwa 9.300 im Jahre 1980 auf 19.262 im Jahre 1988. Rund 2/3 der Mittel stammen aus der öffentlichen Forschungsförderung, vor allem von der DFG. Allerdings reicht die Ausstattung der DFG bei weitem nicht aus, um die Forschungsanträge aus den Hochschulen angemessen zu fördern. Dies wird durch die auf unter 45% gesunkene Bewilligungsquote im Normal- und Schwerpunktverfahren belegt.
Auch die Forschungsförderung durch das BMFT wurde 1990 gegenüber 1989 um 40 Millionen DM zurückgenommen und soll für die Zukunft auf diesem Stand (nominal 700 Millionen DM) eingefroren werden. Die Einwerbung von Drittmitteln ist regelmäßig mit einer zusätzlichen Belastung der Grundausstattung verbunden. Die Defizite in der Grundausstattung der Hochschulen machen es schwierig, die Drittmitteleinwerbung auch künftig auf der bisherigen Höhe zu halten oder sie gar weiter zu steigern.
Hinzu kommt die sich gegenwärtig durch die Vorschläge der EG-Kommission in ihrem Memorandum zur Hochschulausbildung verstärkende Gefahr zunehmender Übertragung von Forschungsförderungsmitteln und Kompetenzen auf Organe oder Einrichtungen der Europäischen Gemeinschaft. Dies kann zu weiteren Defiziten in der nationalen Hochschulfinanzierung führen. Außerdem sind in der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Forschungsförderung Verfahren und Entscheidungen derzeit nicht gewährleistet, wie sie mit dem bewährten und erfolgreichen System der Selbstverwaltung der Wissenschaft in Deutschland vor allem in der DFG verwirklicht sind.
Der Anteil der Nettoausgaben für die Hochschulen am Bruttosozialprodukt [11] ist von 1,32% im Jahre 1975 auf 0,99% im Jahre 1989 gesunken.
2. An den Hochschulen in den neuen Ländern haben sich zum Wintersemester 1991/92 rund 36.700 Studienanfänger immatrikuliert. Insgesamt studieren rund 136.000 Studenten an den Hochschulen der neuen Länder. Berechnungen über die Zahl der Studienplätze nach Flächenrichtwerten werden erst zum Jahresende vorliegen.
Die notwendige Umstrukturierung und Erneuerung der Hochschulen wird erschwert durch Finanzrestriktionen. Die Personalausstattung wird teilweise bis auf 40% des Stellenbestands von 1991 reduziert. Die damit verbundenen beruflichen und finanziellen Unsicherheiten, fehlende Haushalts- und Ausstattungspläne, die unzureichende Grundausstattung, ungeklärte Eigentumsfragen und die schleppende Realisierung dringend erforderlicher Bausanierungen und Neubauten gefährden die Funktionsfähigkeit der Hochschulen und den Wiederaufbau von Fächern. Sie führen schon jetzt zur Abwanderung insbesondere jüngerer qualifizierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie von Studierenden.
Die mangelhafte Finanzausstattung der neuen Länder hat dort zur Errichtung einer großen Zahl unter Bundesbeteiligung finanzierter außeruniversitärer Forschungseinrichtungen geführt, obwohl das ursprüngliche Ziel der vom Wissenschaftsrat durchgeführten Evaluation der Akademien der Wissenschaften, des Bauwesens und der Landwirtschaftswissenschaften der ehemaligen DDR die Stärkung der Hochschulforschung war. Die Zahl der Blaue-Liste Institute steigt dadurch in Deutschland um 75%, die Zahl des dort tätigen Personals um 90%.
Dies führt zu grundlegenden Strukturveränderungen mit langfristigen Auswirkungen und darf deshalb nur eine - aus der Not geborene - Übergangslösung sein. Der größte Teil dieser Institute sollte so schnell wie möglich unter entsprechender Erhöhung des Haushaltes in die Hochschulen integriert werden. Diese Integration sollte schon jetzt durch Kooperationen zwischen Hochschulen und Instituten vorbereitet werden, denen jedoch Strukturentscheidungen für Hochschulen und Forschungseinrichtungen in den Ländern vorausgehen müssen.
Zu Lage und Perspektiven der Hochschulen in den neuen Bundesländern wird auf die Empfehlungen und Stellungnahmen der HRK und des Wissenschaftsrates sowie das Hochschulerneuerungsprogramm von Bund und Ländern verwiesen.
III. Qualitative Anforderungen und Struktur des Hochschulbereichs
1. Die staatlichen Hochschulen sind Grundpfeiler für die wissenschaftliche, kulturelle, technische und wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland. Aus ihnen geht das im internationalen Wettbewerb dringend benötigte Wissen und entsprechnd (aus-) gebildete Personal als entscheidende Voraussetzungen für die Prosperität von Gesellschaft und Wirtschaft hervor.
Die staatlichen Hochschulen nehmen ihrem Profil entsprechend unterschiedliche Aufgaben in Lehre und Studium, Forschung und Entwicklung wahr.
Die staatlichen Hochschulen müssen differenzierte Bildungs- und Ausbildungsangebote zur Verfügung stellen, die den
- unterschiedlichen Fähigkeiten und Interessen der jungen Menschen,
- unterschiedlichen Bedürfnissen der Wissenschaft und
- unterschiedlichen Anforderungen der Berufs- und Arbeitswelt
entsprechen.
Die Ausbildungswege innerhalb und außerhalb der Hochschulen müssen so angelegt sein, daß ein Wechsel nach Abschluß bestimmter Phasen und nach Erwerb entsprechender Qualifikationen auch innerhalb Europas möglich ist. Die Studiengänge sind so zu gestalten, daß Möglichkeiten zum Erwerb berufsqualifizierender Studienabschlüsse - auch im Vergleich mit ausländischen Ausbildungssystemen - frühzeitig eröffnet werden.
2. Schon im Beschluß "Die Zukunft der Hochschulen" vom 4. Juli 1988 hat das Plenum der Westdeutschen Rektorenkonferenz festgestellt, daß ein "eindimensionales Hochschulkonzept" an den Erfordernissen eines modernen Wissenschaftssystems vorbei gehe. Es hat deshalb das bestehende Hochschulsystem, in dem unterschiedliche, aber gleichwertige Hochschularten mit jeweils eigenständigen Profilen die unterschiedlichen Anforderungen in Forschung, Lehre und Studium in Aufgaben- und Arbeitsteilung erfüllen, als notwendig angesehen [12].
Die HRK hält an dieser Auffassung fest. Die dem Gebot der Diversifikation Rechnung tragende Differenzierung des Hochschulsystems, insbesondere zwischen Universitäten und Fachhochschulen, hat sich bewährt. Dieses System der gleichwertigen, aber unterschiedlichen Hochschularten sollte deshalb beibehalten, seine profilierenden Konturen sollten aber noch mehr ausgeprägt werden. Dabei sind folgende Grundsätze zu beachten:
a. Die Einheit der Wissenschaft, die Vielfalt der Disziplinen, die Freiheit, Einheit und Gleichrangigkeit von Forschung und Lehre, der Auftrag zur Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses sowie die Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden sind auch zukünftig prägende Strukturelemente der Universität.
Die Universitäten waren immer auch Einrichtungen der Berufsvorbereitung. Im Laufe der Bildungsexpansion der letzten zwanzig Jahre ist der auf diese Funktion entfallende Anteil im Spektrum universitärer Aufgaben erheblich gestiegen. Bildung durch Einbeziehung in den Prozeß der Wissenschaft ist angesichts der Massenausbildung in den Universitäten als Angebot der Institution nur begrenzt möglich. Viele Studierende streben eine berufs- und karrierevorbereitende Ausbildung an. Diese Haltung entspricht einer auf hohem Niveau stabilisierten und weiter zunehmenden Nachfrage des Arbeitsmarktes nach den komplexen Anforderungen von Industrie, Handel und Verwaltung Rechnung tragenden Qualifikationen.
Die universitäre Lehre muß auch im Bereich der Berufsvorbereitung vorrangig theorieorientiert - i.S. von theoretischer Durchdringung insbesondere der Grundlagen des Faches - ausgerichtet sein.
Es muß vom Selbstverständnis der Universität her möglich bleiben, die Verbindung von Forschung und Lehre zu verwirklichen. Die Universität hat die Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses zu gewährleisten. Sie hat Forschung, insbesondere Grundlagenforschung, in Natur- und Ingenieurwissenschaften auch angewandte Forschung, in international konkurrenzfähiger Qualität zu betreiben. Diese ist auch die Grundlage für Wissens- und Technologietransfer zwischen Universität und Gesellschaft. Eine Umstrukturierung der Universität zur primär berufsorientierten Ausbildungsanstalt mit allenfalls subsidiärem Forschungsauftrag verfehlt damit das gegenwärtig und künftig maßgebende Selbstverständnis der Universität. Mit einer solchen Veränderung würde eine wesentliche Säule des funktionsdifferenzierten Hochschulsystems zerstört.
b. Die Fachhochschulen, deren Ursprünge ebenso wie die der Technischen Hochschulen auf die Gewerbeschulen des 18. und 19. Jahrhunderts zurückgehen, wurden Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre gegründet, um auf die insgesamt steigende und nach differenzierten Ausbildungsprofilen verlangende Ausbildungsnachfrage angemessen zu antworten.
Fachhochschulen haben einen hervorgehobenen Auftrag in der Lehre, deren Anwendungs- gegenüber ihrer Theorieorientierung besonders hervortritt. Berufspraktische Eingangsvoraussetzungen für die Studierenden, integrierte praktische Studiensemester, mehrjährige verantwortliche Berufspraxis als Voraussetzung für die Berufung der Professorinnen und Professoren sind wesentliche Faktoren für den Anwendungsbezug von Lehre und Studium an Fachhochschulen.
Die Praxisorientierung der Ausbildung setzt die Wahrnehmung von Aufgaben in der anwendungsorientierten Forschung und im Wissens-/ Technologietransfer voraus. Angewandte Forschung, Entwicklung und Wissenstransfer sind daher notwendige Aufgaben der Fachhochschulen, auch wenn sie gegenüber den Aufgaben der Fachhochschulen in der Lehre zurücktreten.
IV. Maßnahmen zur Stärkung des Hochschulwesens
Zur Stärkung des differenzierten Hochschulwesens in Deutschland sind strukturelle Reformen der Hochschulen und finanzielle Anstrengungen des Staates erforderlich.
Die Sicherung und Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit der Hochschulen sowie die Einrichtung neuer Fächer sind in ihrem Bedarf nebeneinander zu sehen und dürfen nicht miteinander verrechnet werden.
Von dem Realisierungsgrad und dem Erfolg dieser Maßnahmen wird es abhängen, ob eine weitere institutionelle Diversifikation des Hochschulbereiches erforderlich ist.
1. Studienreform an Universitäten
a. Für die universitäre, auf Forschung aufgebaute Lehre ist es erforderlich, daß der Universitätslehrer Forschungserfahrung hat. Die Bewährung in der Forschung soll auch zukünftig Voraussetzung für seine Lehrtätigkeit sein. Dabei erscheint es sinnvoll, im Sinne höherer Flexibilität der Institution die Möglichkeit zu individueller, in ihrer zeitlichen Folge unterschiedlicher Schwerpunktsetzung in Forschung und Lehre zu eröffnen und dafür ggf. Anreize zu geben.
Angesichts der unverändert hohen Nachfrage nach universitärer Ausbildung ist es unvertretbar, universitäre Ausbildung für einen kleinen Kreis der Bevölkerung zu reservieren. Die Universitäten müssen deshalb auf die dauerhafte Herausforderung der Ausbildung eines Drittels eines Altersjahrganges mit einer Änderung der Studienstruktur reagieren. Hierbei ist vorrangig eine Aufteilung und Abstimmung zwischen grundständigem Studium und wissenschaftlichem Aufbau- und Vertiefungsstudium sowie berufsorientiertem Weiterbildungsstudium erforderlich.
Ziel universitärer Lehre sind berufsfähige, mit Grundlagenwissen und Methodenkenntnissen eines Faches ausgestattete Absolventinnen/en. Die Anforderungen sind von Fach zu Fach unterschiedlich. Sie müssen dem Umstand Rechnung tragen, daß die Halbwertzeit des vermittelten Wissens ständig kleiner wird und die Notwendigkeit lebenslangen Lernens allgemein anerkannt ist. Ist aber das grundständige Studium keine hinreichende Ausrüstung mehr für ein ganzes Berufsleben, so kann die universitäre Berufsvorbereitung inhaltlich entlastet und zeitlich verkürzt werden.
Das grundständige Studium ist inhaltlich so zu strukturieren und organisatorisch so zu gestalten, daß es von durchschnittlich begabten Studierenden in der Regelstudienzeit absolviert werden kann, die KMK und HRK einvernehmlich in den Rahmenprüfungsordnungen für die einzelnen Fächer festgelegt haben bzw. noch festlegen. Die Ausdifferenzierung in spezielle Studienrichtungen und vertiefte Fachspezialität sollte im grundständigen Studium unter Einschluß der Prüfungen, Abschlußarbeiten und Examina zurückgenommen werden. Mit dem Abbau der Prüfungsrelevanz von Spezialisierungen wird Freiraum für die exemplarische Einbeziehung von Interessierten in die Forschung zumindest im Hauptstudium geschaffen und selbstverantwortetes Studieren, das nach wie vor ein Charakteristikum des universitären Studiums ist, ermöglicht.
In geeigneten Studiengängen könnte die Strukturreform der Studieninhalte auch zur Einführung gestufter Abschlüsse innerhalb der Regelstudienzeit genutzt werden. Realisierung und Erfolg entsprechender Abschlüsse hängen davon ab, ob sie auf dem Arbeitsmarkt akzeptiert werden.
Dem Grundsatz der Diversifikation entsprechend darf die Reform des Universitätsstudiums aber nicht zu einer Kopie von Fachhochschulstudiengängen führen.
Wissenschaftliche Vertiefung und Spezialisierung kann in einem das Modell des Graduiertenkollegs aufnehmenden, auf die Promotion gerichteten, an eine besondere Zulassung gebundenen Aufbau- und Vertiefungsstudium erfolgen. Hier können die Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden sowie die Einbeziehung der Graduierten in den Prozeß des Forschens, kann der Gedanke der Einheit der Wissenschaften durch den Ausbau der Interdisziplinarität von Forschung und Lehre verwirklicht werden. Hier ist die aktive Teilnahme aller Studierenden an einer breiten theoretischen Durchdringung des jeweiligen Faches sowie die Beschäftigung mit vertiefenden Fragestellungen unabdingbar.
Im übrigen sollte die Spezialisierung als Herbeiführung der Berufsfertigkeit - wie heute schon vielfach bewährt - der Praxis überlassen bleiben. Den Universitäten und Fachhochschulen obliegt es, in einem Weiterbildungskonzept Angebote für diejenigen Berufstätigen zu entwickeln, die die in der Praxis erfolgte Spezialisierung wissenschaftlich vertiefen, erweitern und erneuern wollen.
b. Die Erfolgsaussichten solcher inneren Strukturänderungen hängen auch von der Vorbildung der Studienbewerber ab. Sie muß ein Mindestmaß an Einheitlichkeit aufweisen. Die erforderliche allgemeine Grundbildung sollte - entsprechend der gemeinsamen Stellungnahme von WRK und KMK zur "Neugestaltung der gymnasialen Oberstufe und allgemeinen Studierfähigkeit" aus dem Jahre 1982 - durch den bis zum Abitur kontinuierlichen Unterricht in den Fächern Deutsch, mindestens einer Fremdsprache, Geschichte, Mathematik und mindestens einem naturwissenschaftlichen Fach erfolgen. Die Länder sollten dafür Sorge tragen, daß durch die Abiturprüfungsverfahren ein Höchstmaß an Gerechtigkeit bei der Verteilung von Bildungschancen erreicht wird.
Diese Maßnahme würde die Frage nach dem Wert des Abiturs als nicht nur notwendigem, sondern hinreichendem Qualifikationsnachweis für ein Universitätsstudium und die Forderung nach "fachspezifischen Hochschuleingangsprüfungen" entschärfen. Gleichwohl ist die HRK bereit, sich an einer Optimierung der Abstimmung zwischen unterschiedlichen Studienangebots- und Studiennachfrageprofilen zu beteiligen. In jedem Falle sollten die innerhalb der rechtlichen Rahmenbedingungen schon bestehenden Möglichkeiten der Hochschulen, fachbezogene Auswahlkriterien für die Zulassungsentscheidung aufzustellen, stärker als bisher genutzt werden.
c. Die HRK hält es für notwendig, daß bei der Berechnung der Ausbildungskapazitäten der Universitäten neben dem Betreuungsaufwand für das grundständige Studium auch derjenige für die Vertiefungs- und Weiterbildungsstudien angemessen berücksichtigt wird. Außerdem müssen Hochschulen und staatliche Seite gemeinsam Maßnahmen zur Realisierung der Studienreform entwickeln und durchsetzen. Dazu zählen auch den Wettbewerb steigernde Anreiz- und Sanktionsmechanismen.
2. Sicherung der Universitätsforschung
Zur Stärkung der Universitätsforschung wiederholt die HRK ihre Forderungen,
- die Tendenz zur Ausgliederung von Forschung aus den Hochschulen zu stoppen und umzukehren,
- die seit Jahren rückläufige Grundausstattung mit Geräten und Sachmitteln so zu verbessern, daß die Universitäten im Wettbewerb um Förderungsmittel wieder konkurrenzfähig werden oder - wo sie es noch sind - bleiben,
- dem Trend der letzten Jahre Einhalt zu bieten, nach dem die Wissenschaftsminister der Länder Stellen- und Sachmittel aus der Grundausstattung der Hochschulen abziehen und in zentralen Verfügungsfonds zu ihrer eigenen Disposition und zur Steuerung der Hochschulforschung akkumulieren,
- den Universitäten genügend eigene Mittel für freie, nicht durch vorformulierte Programme thematisch festgelegte Forschungsaktivitäten zur Verfügung zu stellen [13].
Besonderes wichtig ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, mit denen die Universitäten in die Lage versetzt werden, gegen die Konkurrenz der Industrie und außeruniversitärer Forschungseinrichtungen hochqualifizierte Nachwuchswissenschaftler an den Universitäten zu halten oder ausgewiesene Wissenschaftler für Professorenstellen zurückzugewinnen. Insoweit sollte die im Bundesbesoldungsgesetz bisher starr festgeschriebene Relation zwischen C4- und C3-Professorenstellen flexibilisiert werden.
Für die Entwicklung der Universitäten ist schließlich wichtig, daß ungeachtet des notwendigen Wettbewerbs die in den Bundesländern fortbestehenden erheblichen Ausstattungsunterschiede abgebaut werden, um Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Derzeit ist vielfach zu beobachten, daß nach Abbschluß der HBFG-Finanzierung eine ausreichende Ausstattung neu gegründeter Hochschulen oder Hochschuleinrichtungen nach der ersten Aufbauphase nicht erreicht wird, da die Landesmittel dazu zu knapp bemessen sind.
3. Stärkung der Fachhochschulen
a. Der Anteil der Fachhochschulen an den insgesamt zur Verfügung stehenden flächenbezogenen Studienplätzen liegt zur Zeit bei rund 17%. Der Anteil der Studienanfänger an den nach dem HBFG geförderten Fachhochschulen beträgt z.Zt. 26,3% [14]. Beide Anteile sollten spürbar erhöht werden. Dies entspräche der Nachfrage seitens der Studienbewerber, Studierenden und der Entwicklung des Arbeitsmarktes sowie bildungs- und gesellschaftspolitischen Aspekten. Zudem könnten damit die Universitäten entlastet werden, weil viele Studienanfänger, die z.Zt. nur wegen des flächendeckenden Numerus clausus an Fachhochschulen ein Studium an Universitäten aufnehmen, bei einer Ausweitung des Studienangebots an Fachhochschulen dort ihr Wunschstudium beginnen könnten. Erstrebenswert ist eine Aufteilung der Studienanfänger auf Universitäten und Fachhochschulen etwa im Verhältnis 2 zu 1.
Beim Ausbau der Fachhochschulen ist zu beachten, daß sie bereits im Jahre 1988 zwei Drittel der Ingenieure und fast die Hälfte der Informatiker und Betriebswirte ausbildeten. Deshalb ist eine Ausweitung ihres traditionellen Fächerspektrums notwendig, wenn man den Ausbau der Fachhochschulen im vorgeschlagenen Umfang, verbunden auch mit dem Ziel, die Universitäten zu entlasten, realisieren will.
Der Ausbau der Fachhochschulen im vorgeschlagenen Umfang wird allerdings - schon wegen der Vorlaufzeiten für Planung und Realisierung der Bauten selbst bei den bestehenden Fächern - erst mittelfristig realisierbar sein. Die Entwicklung neuer Studiengänge setzt - soll das Profil einer praxisorientierten Ausbildungsidee gewahrt werden - nicht nur eine gründliche Berufsfelderkundung, sondern auch die Gewinnung des in einschlägiger beruflicher Praxis erfahrenen wissenschaftlichen Personals voraus.
Der Ausbau der Fachhochschulen darf daher nicht zum Anlaß genommen werden, von einem zügigen Abbau der bestehenden räumlichen und personellen Überlast in allen Hochschularten durch zusätzliche Mittel Abstand zu nehmen. Andernfalls wäre mit einer Verschärfung des Numerus clausus oder mit einem Kollaps der universitären und Fachhochschulstudiengänge zu rechnen. Zudem läßt sich der Zugang zu den Einrichtungen des tertiären Bereiches nur über rechtlich an besondere Voraussetzungen gebundene Zulassungsbeschränkungen, im übrigen nur über Anreizsysteme steuern. Die Ausbauplanung für Universitäten und Fachhochschulen muß deshalb hinreichend flexibel gehalten werden, um auf veränderte Studiennachfrage reagieren zu können.
Die bauliche Errichtung zusätzlicher Studienplätze erfordert auch zusätzliche Personal- und Sachmittel. Von den zusätzlich erforderlichen Mitteln (vgl. S. 14) sollte deshalb der überwiegende Teil den Fachhochschulen zur Verfügung gestellt werden allerdings unter Berücksichtigung der Belastungssituation und des Ausbaustandes der Universitäten und Fachhochschulen.
b. Der Ausbau der Fachhochschulen kann nur erfolgreich sein, wenn die Gleichwertigkeit der andersartigen Fachhochschulausbildung mit der Universitätsausbildung nicht nur theoretisch anerkannt, sondern praktisch realisiert wird. Insbesondere im öffentlichen Dienst, bei dem die Laufbahn noch immer eng an das absolvierte Hochschulstudium gekoppelt ist, müssen die Berufsperspektiven der Absolventen und ihre Eingangsbesoldung im öffentlichen Dienst angeglichen werden.
Hierzu gehört aber auch eine Reduzierung des Lehrdeputats der Fachhochschulprofessoren. Um deren Tätigkeit attraktiver zu gestalten und um hochqualifizierte Persönlichkeiten, insbesondere aus der Wirtschaft, für eine Tätigkeit an Fachhochschulen gewinnen zu können, sollte ein neues Professorenamt an Fachhochschulen eingerichtet werden, wie z.B. C-3-Stellen mit Verhandlungsspielraum.
Hervorragend qualifizierten Fachhochschulabsolventen soll die Zulassung zur Promotion an einer Universität eröffnet werden, ohne zuvor ein universitäres Diplom erwerben zu müssen; statt dessen ist in einem Verfahren die Fähigkeit zum wisseaschaftlichen Arbeiten, wie sie für eine Promotion erforderlich ist, festzustellen. Dies und das Promotionsverfahren liegen in der Verantwortung der "aufnehmenden" Universität.
4. Hochschulausbau
a. 1975/76 haben Bund und Länder das Ausbauziel für den Hochschulbereich auf 850.000 flächenbezogene Studienplätze (altes Bundesgebiet) festgelegt. Zur Zeit sind rund 821.000 Studienplätze in den alten Bundesländern vorhanden. 1989 haben die Regierungschefs von Bund und Ländern ergänzend beschlossen, den Fachhochschulbereich über die bis dahin vorgesehenen 150.000 Studienplätze um weitere 50.000 auszubauen. Von diesen 50.000 Fachhochschulplätzen sollen 30.000 in einem Zeitraum von 5 bis 7 Jahren errichtet sein, doch legen Planungs- und Baustand Zweifel an der zeitlichen Realisierbarkeit nahe.
Planungen der Länder Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig Holstein, zusätzliche Studienplätze, insbesondere an Fachhochschulen zu schaffen, sind nicht zu verallgemeinern. In anderen Bundesländern geht der Zuwachs an Fachhochschulstudienplätzen zu Lasten der Planungen für den universitären Bereich.
Werden die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau nicht nachhaltig erhöht, ist selbst das Erreichen des Ausbauziels von 850.000 flächenbezogenen Studienplätzen in den alten Ländern nicht gesichert [15]. Dies gilt umso mehr, als in den nächsten Jahren beträchtliche Mittel für die Sanierung älterer Hochschulbauten erforderlich sind.
b. Für die neuen Bundesländer soll im Laufe des Jahres 1992 die Bewertung des derzeitigen Flächenbestandes abgeschlossen werden. Globale und regionale Ausbauziele sind noch nicht hinreichend diskutiert. Der Wissenschaftsrat hat bisher lediglich den Aufbau des Fachhochschulsektors auf 52.000 - 63.000 Studienplätze empfohlen (vgl. zu Ziff. 1. u. 2. Tabelle 5).
c. Entwicklung und Prognose der Studienanfänger- und Gesamtstudierendenzahlen zeigen, daß selbst bei erfolgreicher Studienzeitverkürzung mittelfristig eine bundesweite Gesamtzahl nicht unter 1,5 Millionen Studierenden zu erwarten ist. Die bisherigen flächenbezogenen Ausbauziele sind deshalb deutlich nach oben anzuheben.
Flächenbezogene Studienplätze werden definiert als Flächenbedarf, den ein Vollzeitstudierender im Laufe seines Studiums benötigt; darin sollen anteilig auch Flächen für Forschung enthalten sein. Geht man davon aus, daß
- der Raumbedarf eines Studierenden nicht mit der Länge der Verweilzeit steigt,
- eine zunehmende Zahl von Studierenden ein verändertes Studierverhalten zeigt, das den Flächenbedarf mindert, und
- bei der Abschätzung des Flächenbedarfs Abbrecherquoten zu berücksichtigen sind, so sind zur Deckung der augenblicklichen und zukünftigen Studienplatznachfrage mehr als 1 Mio. flächenbezogene Studienplätze in den alten Bundesländern und mindestens 290.000 in den neuen Ländern, zusammen rund 1,325 Mio. flächenbezogene Studienplätze in der Bundesrepublik erforderlich.
Von diesen 1.325.000 - flächenbezogenen - Studienplätzen sollten rund 905.000 auf den universitären Bereich (einschl. Kunst-, Musik- und gleichgestellten Hochschulen) entfallen. Dies würde im Ergebnis die Realisierung der ursprünglichen Ausbauziele für die alten Länder und eine Verdopplung bis Verdreifachung der universitären Studienplätze in den neuen Ländern bedeuten. Eine darüber hinausgehende Ausweitung des universitären Bereiches stößt auf strukturelle Grenzen.
Das vom Wissenschaftsrat für die Fachhochschulen genannte Ziel von 200.000 Studienplätzen (nach Flächenrichtwerten) für die alten Bundesländer erscheint zu niedrig. Vielmehr sind dort rund 320.000 und in den neuen Bundesländern rund 100.000, zusammen also ca. 420.000 flächenbezogene Fachhochschulstudienplätze in der gesamten Bundesrepublik erforderlich. Dies bedeutet eine Verdoppelung der bisher bestehenden Fachhochschulstudienplätze (vgl. Tabellen 5 u. 6).
d. Zum anderen ist eine Sanierung in personeller Hinsicht erforderlich. Will man die Betreuungsrelationen von 1975/77 wiederherstellen, so wären etwa 30.000 zusätzliche Stellen für Wissenschaftler (an Universitäten und Fachhochschulen) erforderlich, außerdem zwischen 15.000 und 20.000 Stellen für technisches und Verwaltungspersonal, um den Betrieb der Labors, die Öffnung der Bibliotheken und die innere Verwaltung der Hochschulen angemessen sicherzustellen. Dieser personelle Zuwachs kann nur mittel- und langfristig realisiert werden. Ein angemessener Anteil muß davon auf die Universitäten entfallen.
Kurzfristig sind die über Sonderprogramme befristet zur Verfügung gestellten Stellen und Mittel den Hochschulen zu belassen. Der zusätzliche Stellenbedarf sollte nach Maßgabe der Finanzkraft der Länder stufenweise in einem mehrjährigen Programm verwirklicht werden; dies eröffnet die Möglichkeit einer laufenden Überprüfung der Auslastungssituation und der Effizienz der eingesetzten Mittel.
Soll das Ziel der Sanierung erreicht werden, darf dieser Personalzuwachs nicht zu weiteren Kapazitätserhöhungen führen. Ein wesentlicher Schritt, dieser Gefahr dauerhaft zu begegnen, besteht darin, die bestehenden Curricularnormwerte einzuhalten und dort, wo sie dem Ausbildungsinhalt nicht gerecht werden, in der Umsetzung der von der Hochschulrektorenkonferenz schon 1988 und 1989 vorgelegten und fachlich unbestrittenen Empfehlungen "Zur Notwendigkeit der Anhebung der Curricularnormwerte" anzuheben. Auch die Empfehlungen des Wissenschaftsrates für die "Planung des Personalbedarfs an Universitäten" vom Juli 1990 führen unter Zugrundelegung seines "Komponentenmodells" annähernd zum gleichen Ergebnis.
Die Realisierung eines solchen Ausbauprogramms von Universitäten und Fachhochschulen in baulicher und personeller Hinsicht in der gesamten Bundesrepublik erfordert unter Anwendung der üblichen Parameter zusätzliche staatliche Aufwendungen von jährlich ca. 9 Mrd. DM (vgl. Tabelle 7). Mit einer derartigen Steigerung der Aufwendungen für den Hochschulbereich wäre wieder ein Anteil der Nettoausgaben für den Hochschulbereich am Bruttosozialprodukt von 1,3% erreicht, wie er Mitte der 70er Jahre gegeben war.
5. Hochschulorganisation
Die HRK hat sich in ihrer Empfehlung "Die Zukunft der Hochschulen" bereits ausführlich mit der Leistungsfähigkeit hochschulinterner Arbeits- und Entscheidungsstrukturen auseinandergesetzt. Sie hat u.a. eine stärkere Professionalisierung der Fachbereichsleitung und -verwaltung und eine starke Hochschulleitung gefordert, um die Hochschulen in die Lage zu versetzen, ihre Autonomie nach außen zu wahren und gleichzeitig die Herausforderungen des Wettbewerbs zu meistern. Außerdem wurde eine Verbesserung der hochschulinternen Steuerungsinstrumente mit Hilfe von Information und Transparenz über Kosten und Nutzen, Aufwand und Ertrag (Leistungen) der Hochschule und ihrer einzelnen Einheiten und schließlich gefordert, die Zahl der gruppengesteuerten Hochschulgremien auf das Notwendige zu begrenzen und deren Beratungen und Entscheidungen auf grundsätzliche Angelegenheiten zu konzentrieren [16].
Die HRK ist nach wie vor bereit, sich an der Entwicklung von den Anforderungen des Groß- und Wissenschaftsbetriebes Hochschule genügenden Organisationskonzepten und an deren Umsetzung zu beteiligen. Sie hält es für erforderlich, den rechtlichen Rahmen für die Gestaltung des Organisationsrechts zu überdenken. Der Überprüfung bedarf auch, ob die staatlichen Bewirtschaftungsvorschriften noch den komplexen Aufgaben der Hochschulen gerecht werden. Schließlich sind Instrumente zur internen und externen Evaluation zu entwickeln und Finanzmittel für deren Anwendung den Hochschulen zur Verfügung zu stellen.
Es mehren sich jedenfalls die Stimmen auch aus dem Hochschulbereich, externe Wirtschaftlichkeitskontrollen an Hochschulen durchführen zu lassen, sofern gesichert ist, daß dabei Kriterien angewendet werden, die dem besonderen Auftrag des Wissenschaftsbetriebs Rechnung tragen. Auch sollten Hochschulen und Länder das Instrument externer Begutachtung zur Effizienzsteigerung hochschulinterner Willensbildung stärker nutzen. Dies gilt insbesondere für die durch den bevorstehenden Generationswechsel bei den Professoren absehbaren Neustrukturierungen ganzer Fakultäten und Fachbereiche. Die Hochschulrektorenkonferenz wird zur Effizienzsteigerung der Hochschulorganisation gesonderte Empfehlungen vorlegen.
V. Duale Berufsausbildung
Bei der Erörterung der Grundsatzfragen über Dimension und Struktur des Hochschulbereiches ist zu beachten, daß 1991 allein in den alten Bundesländern 128.500 Lehrstellen in Industrie und Handwerk unbesetzt blieben. Im Gegensatz zu 1977 und den folgenden Jahren gibt es eine - auch volkswirtschaftlich sinnvolle - Alternative zum Hochschulstudium. Diese muß allerdings in ihrer Attraktivität gestärkt werden, um zu verhindern, daß weiterhin wie derzeit mehr als 25 % ihre Ausbildung abbrechen. Diese Attraktivitätssteigerung ist vorrangig Aufgabe der Träger der beruflichen Bildung.
Ein Beitrag dazu könnte möglicherweise durch eine Ansiedlung zumindest von Teilen des dualen Ausbildungssystems im tertiären Bereich oder mit einer besseren Abstimmung beider geleistet werden. Damit könnte das bewährte duale Ausbildungssystem weiterentwickelt werden, indem die berufliche, von der Wirtschaft getragene Ausbildung mit einer theoretischen Qualifikation verknüpft würde, die über dem Niveau der beruflichen Schulen liegt und den stetig auch in diesen Berufsfeldern steigenden Anforderungen genügt. Ansätze hierfür sind mit den Ausbildungsangeboten der Berufsakademien, aber auch mit den Fachschulen in der ehemaligen DDR vorhanden.
Auch die inzwischen erfolgreich erprobten berufsintegrierten Studienmöglichkeiten an Fachhochschulen können indirekt die Attraktivität eines zunächst in das duale System führenden Ausbildungswegs steigern. Daraus dürfen keine neuen Abschlüsse im Hochschulbereich erwachsen. Auch können keine Abstriche an der Qualität der Hochschulabschlüsse hingenommen werden.
Flankierend müßte das Sozialprestige der Ausbildungsgänge im dualen System erhöht werden. Hierzu ist es zunächst erforderlich, daß die Unternehmen ihre Personalpolitik darauf ausrichten, leistungsfähigen Absolventen des dualen Systems attraktive Berufsperspektiven und bessere Karriere- und Einkommenschancen anzubieten. Bildungs- und Ausbildungsgänge sollten so gestaltet werden, daß sie nicht zu "Einbahnstraßen" und "Sackgassen" werden, sondern ihren Absolventen bei Nachweis entsprechender Qualifikationen die Möglichkeit zum Einstieg in weiterführende und höherwertige Bildungswege bieten.
Dazu kann unter Umständen auch ein Hochschulstudium dienen. Die HRK spricht sich dafür aus, qualifizierten Berufstätigen den fachbezogenen Zugang zu einem Hochschulstudium zu ermöglichen, weist jedoch gleichzeitig daraufhin, daß die Hochschule nicht die Studierfähigkeit vermitteln kann. Diese muß außerhalb der Hochschule erworben und in einer Hochschuleingangsprüfung nachgewiesen werden. Dazu hat die HRK eine separate Empfehlung vorgelegt.