Macht und Verantwortung


Empfehlung der 38. HRK-Mitgliederversammlung am 14.5.2024


Vorbemerkungen


An Hochschulen sind unterschiedliche Formen von Machtmissbrauch in den letzten Jahren sichtbar geworden. Hierarchien, formale und informelle Weisungsbefugnisse und Abhängigkeiten, vor allem bei wissenschaftlicher und künstlerischer Qualifizierung und Mitarbeit in Drittmittelprojekten, bergen ein hohes Risiko, offensichtlichen und subtilen Formen des Machtmissbrauchs Vorschub zu leisten. Hochschulen und ihre Angehörigen tragen daher ein hohes Maß an Verantwortung in der Ausgestaltung von Machtpositionen. 

Spezifisch für Machtmissbrauch an Hochschulen sind beispielsweise die unberechtigte Aneignung geistigen Eigentums einer abhängigen Person oder problematische Forschungspraktiken. Darüber hinaus zeigt sich Machtmissbrauch an Hochschulen in Formen, die auch andere Organisationen und Arbeitgeber kennen: Vom unzulässigen Einfordern von Mehrarbeit bis hin zu Diskriminierung, Demütigung und Erniedrigung oder sexueller bzw. sexualisierter oder verbaler Belästigung. Machtmissbrauch kann, häufig unter Ausnutzung gesellschaftlicher Rollenverständnisse, sowohl in Hierarchiegefällen als auch unter Angehörigen einer Hierarchieebene stattfinden. Betroffen von Machtmissbrauch können alle Mitglieder von Hochschulen sein: Mitarbeiter:innen in Technik und Verwaltung, Professor:innen, Studierende oder Mitarbeiter:innen im akademischen Bereich. 

Professor:innen sind häufig in einer Person Vorgesetzte, Betreuende und Gutachtende von Qualifizierungsarbeiten und oftmals entscheiden sie in alleiniger Verantwortung über Vertragsverlängerungen. Den Hochschulen kommt daher eine besondere Verantwortung in der Etablierung einer positiven Führungskultur sowie der kritischen Reflexion über und möglichen Neugestaltung von bestehenden Arbeits- und Betreuungsverhältnissen zu, um Machtmissbrauch vorzubeugen und ihm adäquat zu begegnen.  Im Fokus der öffentlichen Auseinandersetzung über Machtmissbrauch an Hochschulen standen zuletzt häufig missbräuchliche Verhaltensweisen gegenüber Studierenden und Wissenschaftler:innen am Anfang ihrer Karriere. Wenn Referenzerfahrungen in Arbeits- und Betreuungsverhältnissen fehlen, ist für die Betroffenen schwer einzuschätzen, wie eine adäquate fachliche Betreuung, ein respektvoller sozialer Umgang miteinander sowie ein adäquater Zugang zu benötigten Ressourcen gestaltet sein sollten.  

Auf Ebene der HRK befassen sich die Hochschulleitungen seit langem mit unterschiedlichen Formen des Machtmissbrauchs. Zu Möglichkeiten, etwa in Promotionsverfahren missbrauchsanfällige Abhängigkeitsverhältnisse zu vermeiden, äußerte sich das HRK-Präsidium bereits 2012 in einer Empfehlung[1]. Zum Aspekt der sexualisierten Diskriminierung und sexuellen Belästigung an Hochschulen positionierte sich die Mitgliederversammlung 2018[2]. Einzelne Länder[3] und viele Hochschulen haben entschlossen Maßnahmen ergriffen. Im Kodex „Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ der DFG finden sich in „Leitlinie 4: Verantwortung der Leitung von Arbeitseinheiten“ dementsprechende Hinweise[4].  Auch haben Initiativen aus den Hochschulen heraus Vorschläge zu wirksamen Maßnahmen unterbreitet[5]. Dennoch bleibt Machtmissbrauch an den Hochschulen ein Missstand und es ist entscheidend, dass Bemühungen zur Eindämmung von Machtmissbrauch fortlaufend verbessert und intensiviert werden. Dazu sollen die vorgeschlagenen Maßnahmen und deren konsequente Umsetzung beitragen. 

Maßnahmen
Die Hochschulen setzen konkrete Maßnahmen um, um Machtmissbrauch zu verhindern, ihn im Falle des Auftretens sichtbar zu machen und Fehlverhalten konsequent zu sanktionieren sowie Betroffene bestmöglich zu unterstützen. 

1. Positionierung.
Hochschulen positionieren sich klar gegen Machtmissbrauch, insbesondere in Abhängigkeitsverhältnissen. Formen des Machtmissbrauchs werden klar benannt; ihnen werden ebenso klar benannte Beispiele positiven Verhaltens gegenübergestellt. Die Hochschulen machen eine positive Führungskultur sichtbar und etablieren damit eine Kultur des selbstverständlich missbrauchsfreien, respektvollen und wertschätzenden Umgangs.

2. Bewusstseinsbildung und Einbindung, systematische Weiterbildung und Schulung.
Die Hochschulen adressieren ihre Mitglieder zu Themen des Machtmissbrauchs, dessen Auswirkungen und zu Maßnahmen, um Machtmissbrauch zu erkennen und gegen ihn vorzugehen. Sie thematisieren die Verantwortung aller Angehörigen der Hochschule, insbesondere von Personen mit Führungsverantwortung bzw. in Machtpositionen, einschließlich der Verantwortung von Personen, die als „Bystander“ Machtmissbrauch wahrnehmen. Zudem bedarf es regelmäßiger Trainings und Schulungen für alle Hochschulmittglieder insb. für das Beratungspersonal an Hochschulen.

3. Transparenz, Niederschwelligkeit und Empowerment.

Die Hochschulen implementieren transparente und leicht auffindbare Richtlinien und Verfahren zur Meldung von Machtmissbrauchsfällen. Dazu zählt die Benennung einer Person und/oder einer Stelle, die als Ansprechstelle fungiert. Diese Aufgabe kann von bestehenden internen oder externen Stellen übernommen werden, soweit gewährleistet ist, dass sie nach Landesrecht berechtigt sind, die Anonymität meldender Personen zu wahren. Für verbindliche Sanktionen ist es erforderlich, dass Beschwerden namentlich und unter Schilderung der exakten Sachverhalte vorgetragen werden. Betroffene brauchen Zeit und gute Beratung, um den Mut zu entwickeln, sich namentlich zu melden. Hochschulen begleiten Betroffene daher und unterstützen sie bei ihrer persönlichen Entscheidung über die Eröffnung eines formalen Meldeverfahrens und stellen Transparenz über die einzelnen Verfahrensschritte her.

4. Benachteiligte Menschen im Blick halten.
Menschen, die wegen ihrer religiösen, sexuellen oder geschlechtlichen Orientierung, ihres Geschlechts oder ihres kulturellen, sprachlichen oder sozialen Hintergrunds sowie physischer oder psychischer Beeinträchtigung besonders gefährdet sind, Diskriminierung zu erfahren, sind auch besonders gefährdet, Opfer von Machtmissbrauch zu werden. Die Hochschulen reflektieren alle bestehenden und neuen Maßnahmen kritisch auf ihre Zugänglichkeit für benachteiligte Gruppen und passen diese gegebenenfalls an. Wo es notwendig ist, werden zielgruppengenaue Maßnahmen entwickelt.

5. Information und Standardisierung.

Die Hochschulen geben ihren Studierenden, Promovierenden und Post-Docs und deren Betreuenden Leitfäden an die Hand, mit denen sie den Fortgang der Qualifikationsarbeit sowie die Ausstattung mit Ressourcen und die Aufgaben von Betreuenden und Betreuten sachlich, strukturiert und transparent in regelmäßigen Abständen besprechen und dokumentieren. 

6. Identifikation, Evaluation und Reflexion.
Die Hochschulen überprüfen und evaluieren ihre Maßnahmen zur Prävention von Machtmissbrauch sowie ihre Beschwerdewege regelmäßig, reflektieren deren Effektivität und verbessern die Maßnahmen fortlaufend.

-------------------------------------


[1] Zur Qualitätssicherung in Promotionsverfahren, Empfehlung des Präsidiums der HRK vom 23.4.2012 an die promotionsberechtigten Hochschulen 
[2] Gegen sexualisierte Diskriminierung und sexuelle Belästigung an Hochschulen, Empfehlung der 24. HRK-Mitgliederversammlung vom 24.4.2018
[3] Selbstverpflichtungserklärung der nordrhein-westfälischen Hochschulen zum Umgang mit Machtmissbrauch
[4] Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis Kodex, DFG, September 2019
[5] Professor:innen gegen Machtmissbrauch an Universitäten – Offener Brief, zeitgeschichte-online.de/themen/professorinnen-gegen-machtmissbrauch-universitaeten; Handlungsempfehlungen zum Umgang mit sexualisierter Diskriminierung und Gewalt an Kunst- und Musikhochschulen, bukof, bukof.de/wp-content/uploads/23-04-18-bukof-Handlungsempfehlungen-zum-Umgang-mit-Sexualisierter-Diskriminiung-und-Gewalt-an-Kunst-und-Musikhochschulen.pdf; Grund-satzpapier zu Sexualisierter Diskriminierung und Gewalt an Hochschulen, bukof, Juni 2022 bukof.de/wp-content/uploads/22-06-Grundsatzpapier-SDG_aktualisiert.pdf; Netzwerk gegen Machtmissbrauch in der Wissenschaft, https://www.netzwerk-mawi.de/
Positionspapier und Handlungsempfehlungen der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen (RKM) zum Umgang mit Machtmissbrauch an Musikhochschulen, Mai 2024: die-deutschen-musikhochschulen.de/wp-content/uploads/PM_RKM-Sommerkonferenz_Positionspapier_Machtmissbrauch_an_Musikhochschulen.pdf