Reduzierung der Etatkrise wissenschaftlicher Bibliotheken durch Konsortialverträge


Empfehlung des 193. Plenums vom 19./20. Februar 2001


Berichte aus den Hochschulen und Alarmrufe der Bibliotheks-Verbände haben die Öffentlichkeit in den vergangenen Monaten erneut auf die akute Krise der Anschaffungs-Etats der wissenschaftlichen Bibliotheken, also im wesentlichen der Staats-, Universitäts- und Hochschulbibliotheken hingewiesen. Wie die Hochschulen insgesamt sind auch ihre Bibliotheken seit Jahren unterfinanziert. Aus finanziellen, aber auch aus strukturellen Gründen sind sie nicht in der Lage, angemessen auf die bedrohlichen Entwicklungen im Bereich der Produktion und Verbreitung wissenschaftlicher Literatur zu reagieren.


Zu nennen sind hier vor allem

  • die exorbitante Verteuerung von Zeitschriften, besonders im Bereich der Natur- und Ingenieur­wissenschaften und der Medizin;
  • die hohen Investitionskosten für das elektronische Publizieren, die von den Verlagen in der Regel auf die Kunden abgewälzt werden;
  • die Konzentrations- und Monopolisierungstendenzen bei den Wissenschaftsverlagen
  • und die gestiegene und weiter ansteigende Nachfrage nach wissenschaftlicher Information.

Verschärft wurde die finanzielle Lage durch den hohen Wechselkurs des Dollar; Fachleute schätzen den dadurch entstandenen Zusatzaufwand der wissenschaftlichen Bibliotheken auf etwa 60 Millionen DM p.a.. Diese Kosten haben deren Erwerbungs-Spielraum erneut spürbar eingeschränkt, so dass empfindliche Lücken in der Literatur-Versorgung entstanden sind.


Angesichts der zentralen Bedeutung, die eine effiziente Versorgung mit aktueller wissenschaftlicher Literatur und Information für die Arbeit der Hochschulen und der Wissenschaftler und Studierenden, für den Anschluss der deutschen Forschung an die internationale Wissenschafts-Entwicklung und - nicht zuletzt - für das Gelingen einer grundlegenden Reform des Studiums hat, schlägt die Hochschulrektorenkonferenz folgendes vor:


I.


Bund und Länder stellen sicher, dass der nominale Zuwachs der regulären Erwerbungs-Etats wissenschaftlicher Bibliotheken künftig zumindest mit der Preisentwicklung auf dem Sektor wissenschaftlicher Literatur und mit dem Anstieg der Literatur-Produktion Schritt halten, wie dies seit Jahren von allen Fachleuten gefordert wird. Dies gilt auch für die pauschaliert oder über einen Globalhaushalt zugewiesenen Mittel. Nur durch eine solche Stabilisierung und Verstetigung der Etat-Ansätze auf einem angemessenen Niveau werden die Bibliotheken in die Lage versetzt, eine kontinuierliche Beschaffungs-Politik zu betreiben und die kostenintensive Umstellung auf die Vorhaltung digitaler Informationen weiterzuführen.


Bund und Länder stellen darüber hinaus sicher, dass die wissenschaftlichen Bibliotheken einen finanziellen Ausgleich für die Wechselkurs-Verluste des letzten Jahres erhalten; nur so lässt sich die finanzielle Handlungsfähigkeit der Bibliotheken wieder herstellen und aufrecht erhalten. Die Mittel sollten gezielt für die Modernisierung der Vermittlung wissenschaftlicher Information verwendet werden. Diese Modernisierung kostet, jedenfalls zunächst, mehr und nicht weniger Geld.


II.


Die Hochschulbibliotheken treiben die an vielen Stellen bereits eingeleitete Umwandlung in nutzerorientierte Dienstleistungszentren voran. Die vorhandenen konzeptionellen Ansätze müssen trotz der finanziellen Restriktionen weiterentwickelt und energisch umgesetzt werden. Dies gilt besonders für die Bereitstellung digitaler Informationen. Auf diesem Gebiet bietet sich eine enge Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen der Hochschulen - etwa den Rechenzentren - an. Ziel ist die Bündelung von Funktionen und Kompetenzen für ein modernes Informationsmanagement.


Auch eine kritische Durchleuchtung der Praxis zwei- und mehrschichtiger Bibliotheks-Systeme und eine Überprüfung der von den Nutzern häufig kritisierten Öffnungs- und Ausleihzeiten erscheint angesichts moderner Kommunikations- und Informationsmedien angezeigt. Probleme, die sich an einigen Stellen aus der gemeinsamen Trägerschaft von Staat und Hochschule ergeben, sollten in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen.


III.


Die Preisentwicklung bei den wissenschaftlichen Zeitschriften und die Marktbeherrschung einzelner Verlage sowohl auf dem Feld der schriftlichen als auch auf dem der elektronischen wissenschaftlichen Information machen es erforderlich, dass die Käufer eine eigene Marktmacht aufbauen. Dies ist eine Aufgabe, die die Möglichkeiten einer einzelnen Bibliothek bei weitem übersteigt. Die Bibliotheken haben sich daher z.T. auf Landesebene, z.T. länderübergreifend zu Konsortien bzw. Einkaufsverbünden zusammengeschlossen oder werden dies in absehbarer Zeit tun. Diese Entwicklung muss energisch vorangetrieben und auch da, wo sie noch nicht in Gang gekommen ist, in Angriff genommen werden.


Erfahrungsberichte zeigen allerdings, dass es erhebliche Unterschiede in Konstruktion und Vorgehen zwischen den Konsortien und sogar innerhalb der einzelnen Konsortien gibt, die ein wirksames Handeln behindern, und dass selbst bei den Konsortien großer Bundesländer die kritische finanzielle Masse für eine eigene Marktmacht nicht zustande kommt.


Für deren Aufbau ist daher eine Abstimmung der Erwerbungspolitik auf Bundesebene notwendig. Dafür müssen Strukturen geschaffen werden, die einerseits Rücksicht auf regionale und lokale Besonderheiten nehmen und andererseits den ökonomischen Interessen des Staates als dem Hauptfinancier der wissenschaftlichen Bibliotheken Rechnung tragen. Um Reibungsverluste zu vermeiden, müssen die Aufgaben, die auf zentraler Ebene zu erledigen sind, klar definiert sein; sie müssen neben der Abstimmung der Erwerbungspolitik im Print- und Elektronik-Bereich auch Beratungs- und Informations-Angebote, z.B. hinsichtlich der Berücksichtigung der Interessen der kleineren Verlage bzw. der Fachgesellschaften, und ein leistungsfähiges Archivierungskonzept umfassen.


IV.


Die gesicherte Versorgung mit wissenschaftlicher Information ist für die deutsche Wissenschaft ebenso wie für die Arbeit einer Hochschule von ausschlaggebender Bedeutung. Daher müssen die damit zusammenhängenden Probleme in den Leitungs- und Entscheidungs-Gremien der Hochschulen behandelt werden. Zu diesen Problemen gehört z.B. die Mitwirkung bei der strategischen Planung und überregionalen Koordination der Beschaffungspolitik; die Bündelung von Kompetenzen und die Koordination der Zusammenarbeit bei der Beschaffung und Bereitstellung von Literatur und Information innerhalb der Hochschule;der effektive Personaleinsatz in Hochschulbibliotheken; der Aufbau von hochschuleigenen Servern, auf denen die wissenschaftliche Produktion der Hochschulangehörigen kostenlos zugänglich gemacht wird; ggf. die Gründung eigener Hochschulverlage.Die seit langem andauernde und jetzt zugespitzte Krise sollte auch als Chance verstanden werden, tragfähige und zukunftsweisende Lösungen zu finden.