Stellungnahme von dreizehn europäischen Hochschulrektorenkonferenzen zur Zukunft der Europäischen Kohäsionspolitik, März 2011


Stellungnahme von dreizehn europäischen Hochschulrektorenkonferenzen
vom 1. März 2011

(Höflichkeitsübersetzung, abgestimmte englische Originalversion s. hier)

  • Koordinierung von Strukturfonds, dem Rahmenprogramm für Forschung und der Innovationsförderung
  • Umsetzung des Wissensdreiecks
  • Anwendung des Kofinanzierungsmechanismus
  • Vereinfachung
  • Eine Innovation fördernde Beschaffungspolitik
  • Unparteiliche Entscheidungsfindung und Qualitätssicherung

Einleitung


Die Hochschulen spielen eine zentrale Rolle für die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Regionen und für die Verbesserung der Verhältnisse benachteiligter Regionen und Bevölkerungs-gruppen. Sie stellen einen Eckpunkt im Wissensdreieck von Bildung, Forschung und Innovation dar und bilden es abhängig von ihrem Profil teilweise oder vollständig in sich ab. Mit ihren Ausbildungs- und Forschungsleistungen gehören sie zu den Motoren der Innovation und zu den Zukunftslaboren in Europa.


Die Hochschulen sind deshalb auch wichtige Träger der Kohäsionspolitik der Europäischen Union, denn die erfolgreiche Umsetzung der Strategie 2020 der EU in den Regionen wird in hohem Maße von der praktischen Durchführung einer Vielzahl von Bildungs-, Weiterbildungs-, Forschungs- sowie Forschungstransfer- und Innovationsprojekten abhängen. Deshalb werden sich die Hochschulen aktiv an der aktuellen Diskussion über ihre Zukunft und Instrumente in der kommenden Haushaltsperiode der EU (2014-2020) beteiligen.


In der folgenden Stellungnahme der Rektorenkonferenzen der Hochschulen Deutschlands, Polens, Österreichs, Ungarns, Dänemarks, Finnlands, Islands, Norwegens, Schwedens, Frankreichs, Italiens, der Slowakei und der Niederlande, die den Großteil der Hochschulen ihrer Länder vertreten, werden ihre Erfahrungen mit der Umsetzung von Programmen und Projekten der Kohäsionspolitik gebündelt dargestellt, die sie in den letzten Jahren gesammelt haben, und sechs Forderungen erhoben.


Die Stellungnahme richtet sich an den Europäischen Rat, die EU-Kommission, das EU-Parlament und die Regionalregierungen (d.h. im Falle Deutschlands an die Länder), Gebietskörperschaften sowie an den Ausschuss der Regionen der EU.


Die Erfahrungen der Hochschulen sollten bei der Gestaltung einer künftigen Kohäsions-politik, die in enger Verbindung mit anderen Politikbereichen der EU-Mitgliedsstaaten und Regionen formuliert werden muss, Berücksichtigung finden. Die Hochschulen und ihre Vertretungen sollten stärker in den politischen Meinungsfindungsprozess zur Kohäsions-politik einbezogen werden und sich dort aktiv ihre Expertise einbringen.


1. Die Strukturfonds, das Rahmenprogramm für Forschung und die Innovationsförderung politisch und administrativ aufeinander abstimmen


Es ist die erklärte Absicht der EU, die verschiedenen Finanzierungsinstrumente für öffentlich geförderte Innovation, seien es die Strukturfonds, das Forschungsrahmen-programm, das Rahmenprogramm für Wettbewerb und Innovation (CIP), die Entwicklungsfonds für den ländlichen Raum oder andere stärker aufeinander zu beziehen und miteinander zu verknüpfen.


In der Tat stehen viele dieser Finanzierungsinstrumente aus Sicht der Hochschulen als Projektdurchführer meist unvernetzt nebeneinander und unterscheiden sich massiv in ihren Antragsverfahren. Nur wenigen Hochschulen und ihren Partnern ist es bisher geglückt, Strukturfonds-mittel sinnvoll mit Fördermitteln anderer europäischer Instru-mente zu verbinden. Zu unterschiedlich sind die formalen Anforderungsprofile und administrativen Abläufe. Auch die bisherigen Bemühungen, mit Hilfe von Nutzerleitfäden zu einem besseren Verständnis der unterschiedlichen Förder- und Finanzierungswelten zu kommen, haben daran nichts geändert. Mit großem Interesse sehen die Hochschulen deshalb der Arbeit der "Synergies Expert Group (SEG)" entgegen, die im Juni 2011 vorgestellt werden soll. Hier sind aber noch viel größere Bemühungen um eine Ab-stimmung der inhaltlichen Ausrichtung auf Programmebene wie auch der Umsetzungs-regeln auf hoher politischer Ebene erforderlich.


2. Das Wissensdreieck umsetzen


Die Hochschulen als Eckpunkt und Spiegelung des Wissensdreiecks aus Innovation, Forschung und Bildung sind sehr daran interessiert, Projekte zu realisieren, die Innovation und Forschung in der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft sowie Bildungs- und Weiter-bildungsaufgaben miteinander verbinden. Dies will auch die EU, wie die nachdrückliche politische Förderung des European Institute of Innovation and Technology (EIT) verdeut-licht. Die unterschiedlichen Finanzierungsregelwerke der einzelnen Strukturfonds, wie des Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und der Sozialfonds (ESF), verhindern jedoch häufig die Kombination dieser Mittel und mithin die Konstruktion solcher fruchtbaren Wissensdreiecke. Die nahtlose Kombination der Mittel aus beiden Fonds sollte in Cluster-Projekten unter gewissen Bedingungen möglich sein. Die politische Zielsetzung und die Programmbestimmungen sollten dies ausdrücklich unterstützen.


3. Den Kofinanzierungsmechanismus nicht zum Schaden der Hochschulen einsetzen


Die Hochschulen verstehen den Sinn des Kofinanzierungsmechanismus der EU-Kohäsions-politik, der die aktive Mitwirkung der Region und die dezentrale Umsetzung der Struktur-förderung nach dem Subsidiaritätsprinzip sowie die "local ownership" sicherstellt. Die europäischen Hochschulen sind aufgrund ihrer weitgehend öffentlichen Grundfinanzie-rung jedoch nicht in der Lage, in größerem Umfang selbst Kofinanzierungen zu leisten. Sie sind deshalb auf die Bereitschaft der Programmträger auf Mitgliedsstaaten- bzw. Regionalebene angewiesen, diesen Anteil aus öffentlichen Mitteln zu übernehmen. Dies gilt um so mehr, als von der EU-Seite die Einführung der Vollkostenrechnung durch die Hochschulen gefordert wird und die Bezuschussung von Projekten durch weitere quasi umgewidmete öffentliche Mittel als Verstoß gegen den EU-Beihilferahmen angesehen werden kann.


Die auch von der EU-Kommission offen beklagte allgemeine Unterfinanzierung der europäischen Hochschulen sollte deshalb nicht dazu führen, dass die Strukturfondsmittel stattdessen nur großen Organisationen zur Verfügung gestellt werden, die eine umfangreiche Kofinanzierung anbieten können. In diesem Zusammenhang sehen die Hochschulen mit Besorgnis, dass die Strukturfonds immer häufiger von europäischen Politikern als ein zentrales Finanzierungsmittel für künftige Großinfrastrukturen der Forschung genannt werden. Dies könnte bedeuten, dass die in der Förderung administrativ aufwendigeren kleinen und mittel-großen F&E- und Transferprojekte, für die die Hochschulen, aber auch die für die Innovationsfähigkeit Europas wichtigen KMU stehen, eine geringere Förderung erfahren.


4. Die Vereinfachung beginnen


Auf dem Gebiet des Forschungsrahmenprogramms ist eine intensive Diskussion um die Vereinfachung der Regelwerke in Gang gekommen, an der sich die Politik wie die Wissenschaft und Wirtschaft intensiv beteiligen. Zweifellos liegt hier der Schlüssel dafür, dass kreative und herausragende Kräfte in der Wirtschaft wie in den Hochschulen und Forschungseinrichtungen sich aktiv an europäisch finanzierten Programmen beteiligen. Diskutiert wird unter anderem die Anerkennung der nationalen bzw. regionalen Abrechnungsregeln durch die EU. Erste Schritte zur Vereinfachung sind auch bereits eingeleitet worden.


Diese Vereinfachungsdebatte muss um so energischer in dem Bereich der Strukturfonds geführt werden, da sich hier aus Sicht des Antragsstellers die Regelwerke von unter-schiedlichen Generaldirektionen der EU-Kommission und denen der Mitgliedsstaaten und Regionen einschließlich ihrer Programmträger oft gegenseitig aufaddieren und so den Bürokratieaufwand für den Nutzer enorm erhöhen. So kommt es durchaus vor, dass in einem großen Förderprojekt drei Arten der Mehrwertsteuerabrechnung gefordert sind. Die Vereinfachungsdiskussion im Bereich der Forschungspolitik sollte hier inspirierend wirken, z.B. auch in der Frage der Anerkennung nationaler und regionaler Abrechnungs-methoden durch die EU.


Aber auch in der Frage, wie die Vergabe, der Zugang und die Beratung zur Nutzung von europäischen Finanzinstrumenten organisiert wird, muss in den Mitgliedsstaaten und Regionen noch viel getan werden. Der "one-stop-shop" für die Beratung zu europäischen Förderinstrumenten im Bereich F&E und Innovation ist durchaus nicht der Regelfall.


5. Eine innovationsfördernde Beschaffungspolitik ermöglichen


Die neue Innovationsstrategie der EU legt großen Wert auf eine innovationsfördernde Beschaffungspolitik der öffentlichen Hände. Die Projektrealität zeigt jedoch, dass die EU-Wettbewerbsregeln die Beschaffungsmaßnahmen in wirklich innovativen F&E-Projekten behindern, da hier oft nur mit einem hoch spezialisierten Lieferanten gearbeitet werden kann. Auch das "Common Procurement Vocabulary (CPV)" der EU berücksichtigt nicht die Bedürfnisse innovativer Forschung an Hochschulen und Forschungseinrichtungen.


6. Wettbewerb und unparteiliche Entscheidungsfindung und Qualitätssicherung festigen - Exzellenz und Kapazitätsbildung


Die Kohäsionspolitik muss die Förderung "kapazitätsbildender Maßnahmen" beinhalten, die es aufsteigenden Unternehmen und Hochschulen in weniger wettbewerbsfähigen Regionen erlaubt, Anschluss an die Spitze zu gewinnen und sich als attraktiver Partner anzubieten. Für die Entscheidungsfindung auf der Projektebene sind hier andere Regelwerke notwendig als bei der Spitzenförderung, in der allein das Exzellenzprinzip gelten kann.


Des ungeachtet müssen auch bei Projekten mit kapazitätsbildender Zielsetzung der Wettbewerb und eine neutrale Urteilsfindung gewährleistet sein, um die Qualität sicherzustellen. Diese Urteilsfindung muss bei forschungsnahen Projekten die bewährten Methode der Begutachtung durch erfahrene und herausragende Wissenschaftler (peer review) einschließen, wo immer das möglich ist. Hier scheint auch eine grenzüberschrei-tende Zusammenarbeit in vielen Fällen sinnvoll, um eine qualitätssichernde Begutachtung auf hohem Niveau zu ermöglichen.



Die Stellungnahme wurde verabschiedet von folgenden Gremien:


Senat der Hochschulrektorenkonferenz am 1. März 2011


Präsidium von Conference of Rectors of Academic Schools in Poland am 11. März 2011


Präsidium der Österreichischen Universitätenkonferenz am 14. März 2011


Präsidium von Hungarian Rectors' Conference am 16. März 2011


Präsidium von Nordic University Association (NUS) am 23. März 2011 (für die Rektorenkonferenzen in Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden)


Slovak Rectors' Conference am 7. April 2011


The Association of Universities in the Netherlands (VSNU) am 8. April 2011


Conférence des Présidents d'Université (CPU) am 29. April 2011


Conference of Italian University Rectors (CRUI) am 22. Juni 2011