Entschließung des 492. Präsidiums vom 9. Dezember 1997
I. Ausgangslage
In den deutschen Hochschulen studieren im Wintersemester 1997/98 rund 1,83 Millionen Studierende, darunter 277.000 Studienanfängerinnen und -anfänger aus dem Jahre 1997. Die Hochschulen haben 1995 rund 230.000 Absolventinnen und Absolventen, darunter rund 22.400 Promovierte entlassen.
In Westdeutschland sind im Jahr 1997 die Zahlen der Studienanfänger gegenüber 1977, dem Jahr des Öffnungsbeschlusses der Regierungschefs von Bund und Ländern für die Hochschulen, um 38 Prozent gestiegen. 1990, dem Jahr, in dem die "vorübergehende Überlast" enden sollte, waren es sogar 64 Prozent. Die Studierendenzahlen sind um 78 Prozent gestiegen, 1993 waren es sogar 85 Prozent. Die Zahl der Absolventen 1995 lag um 73 Prozent über den Zahlen von 1977.
Demgegenüber sind die Zahlen der Stellen für wissenschaftliches Personal nur um 10 Prozent (1996) und die Zahl der flächenbezogenen Studienplätze um 19 Prozent (1995) gestiegen. Der Anteil der Ausgaben für die Hochschulen einschließlich BAföG und Graduiertenförderung am Bruttoinlandsprodukt ist von 1,32 Prozent im Jahre 1975 um ein Drittel auf 0,93 Prozent im Jahre 1992 gesunken.
In den östlichen Bundesländern sind die Zahlen der Studienanfänger von 32.300 im Jahr 1989 um 43 Prozent auf 46.300, die Zahl der Studierenden von 132.400 um 70 Prozent auf 225.000 im Jahr 1997 gestiegen. Demgegenüber haben die Stellen für wissenschaftliches Personal von 1991 bis 1996 von 26.400 auf 16.500 abgenommen.
Der Anteil der früheren Bundesministerien für Bildung und Wissenschaft sowie Forschung und Technologie, seit 1994 des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie am Bundeshaushalt ist von 1989 bis 1997 von 3,9 Prozent auf 3,4 Prozent gefallen. Bei den Ländern sind - mit landesspezifischen Unterschieden - die Anteile der Ausgaben für Hochschulen und Forschung an den Länderhaushalten von 1989 bis 1994 von 3,3 auf 3,2 Prozent gefallen.
II. Aufgabe
Die Zukunft unseres Landes hängt vom "Rohstoff Geist" der jungen Generation ab. Deutschland ist als rohstoffarme Industrienation mit hohem Lohnniveau zum Erhalt und zur Verbesserung seiner Wettbewerbsfähigkeit auf innovative Produkte und Verfahren angewiesen. Weltweit sind Wissen und damit Wissenschaft der wichtigste Produktionsfaktor neben Kapital und Arbeit. Forschung und Entwicklung bereiten die Produkte von morgen vor. Sie sichern damit die Arbeitsplätze von morgen und schaffen die Arbeitsplätze von übermorgen.
In diesem Sinne sind Hochschulen "Zukunftswerkstätten" der Gesellschaft. Sie erfüllen ihre Aufgaben in Lehre und Studium, bei Forschung und Entwicklung, bei der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses für alle Bereiche der Gesellschaft, bei der wissenschaftlichen Weiterbildung, im Wissenstransfer und durch Dienstleistungen, vor allem im Bereich der medizinischen Versorgung der Bevölkerung. Der beginnende Generationswechsel der Professorinnen und Professoren kann zu einem Innovationsschub in den Hochschulen und zur Verbesserung ihrer Internationalisierung führen, wenn er zu einer zukunftsorientierten Strukturreform der Hochschulen genutzt wird.
Die Hochschulen können unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht mehr die Qualität von Lehre und Studium gewährleisten, die Studierende (und ihre Eltern), Arbeitgeber und Wirtschaft von Hochschulabsolventinnen und -absolventen erwarten. Gleiches gilt für Forschung und Entwicklung, die u. a. die Grundlage der Qualität der Lehre bilden.
Die Hochschulen müssen jedoch ihre Verantwortung für die Qualität und die Qualitätssicherung der Ausbildung für ein gutes Drittel der jungen Generation sowie für Forschung und Entwicklung wahrnehmen, denn Qualitätsverluste in Forschung und Lehre werden erst nach Zeitspannen spürbar, die jenseits von Legislaturperioden liegen. Die fortdauernde Unterfinanzierung der Hochschulen kann dazu führen, daß die Qualitätssicherung in größerem Umfang als bisher Zulassungsbeschränkungen erfordert.
Die Anzahl der Studienbewerber wird nach den Prognosen der Kultusministerkonferenz in den nächsten zehn Jahren um mindestens 25 Prozent steigen. Dies beruht auf der demographischen Entwicklung in der zweiten Hälfte der 70er und der ersten Hälfte der 80er Jahre sowie dem veränderten Bildungsverhalten der jungen Generation in den östlichen Bundesländern, das sich dem in Westdeutschland angleicht.
In einer Reihe von Ländern sind die Personalstellen für die Hochschulen in den letzten Jahren gekürzt worden und werden weiter gekürzt, obwohl steigende Studienanfängerzahlen absehbar sind.
Die individuelle Studienfinanzierung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) ist in den letzten Jahren dramatisch zurückgegangen. Ohne zusätzliche Mittel ist eine Reform nicht möglich, die dem Anspruch des Gesetzes gerecht wird, allen Qualifizierten ohne Rücksicht auf Herkommen und Einkommen der Eltern ein Hochschulstudium zu ermöglichen.
Die Hochschulen in den östlichen Bundesländern haben noch immer einen erheblichen baulichen Sanierungs- und Modernisierungbedarf, damit die Folgen einer verfehlten Hochschulpolitik der früheren DDR überwunden werden können. In den Hochschulen der westdeutschen Bundesländer hat sich - wie in den Empfehlungen des Wissenschaftsrates zu den Rahmenplänen für den Hochschulbau ausgewiesen - ein erheblicher Sanierungs- und Reinvestitionsbedarf, vor allem auch bei wissenschaftlichen Geräten, aufgestaut.
Für 1998 besteht nach den Empfehlungen des Wissenschaftsrates ein Investitionsbedarf von 5,3 Milliarden DM, während aufgrund der Vorgabe des Bundes nur 3,6 Milliarden DM zur Verfügung stehen. Gegenüber den Empfehlungen des Wissenschaftsrates wurden im Rahmenplan für den Hochschulbau die Mittel für neue Bauvorhaben auf 28,3 Prozent, die Mittel für Großgeräte auf 48 Prozent gekürzt. Damit können die Hochschulen nicht ausgebaut und kann die Forschung in den Hochschulen nicht international konkurrenzfähig gehalten werden.
III. Innovationsprogramm für die Hochschulen
Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) fordert deshalb Länder und Bund auf, sich kurzfristig auf ein "Innovationsprogramm für die Hochschulen (IPH)" durch entsprechende Prioritätensetzung zu verständigen.
Elemente des Programms sollten sein:
- Die Hochschulen verpflichten sich, durch weitere interne Umschichtungen zur Strukturreform und zur Leistungs- und Effizienzsteigerung in Forschung und Lehre beizutragen. Der Umfang der jeweiligen, auf die einzelne Hochschule bezogenen Umschichtungen wird in mittelfristigen, etwa fünf Jahre umfassenden Zielvereinbarungen zwischen der jeweiligen Landesregierung und der jeweiligen Hochschule, ggf. zwischen Landesregierung und Landesrektorenkonferenz festgelegt. Dabei sind die zu erwartenden Studienanfängerzahlen, die Entwicklungsschwerpunkte der Hochschulen, die forschungspolitischen Vorgaben der Länder sowie ggf. länderübergreifende Aspekte der Schwerpunktbildung der Hochschulen in Forschung und Lehre zu berücksichtigen. Dazu gehört auch die gemeinsame Nutzung verfügbarer Ressourcen durch Kooperation und Vernetzung der Hochschulen in Forschung und Lehre. Hier bestehen in einigen Ländern bereits gute Ansätze.
- Die Länder verpflichten sich, ausgehend vom Etat des Jahres 1997 die laufenden Ausgaben für die Hochschulen in einem Zeitraum von fünf Jahren durch interne Umschichtung pro Jahr um 0,1 Prozent des Landeshaushalts zu erhöhen. Sie verpflichten sich ferner, die Ausgaben für die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau entsprechend der Hochschulgesamtplanung des Landes und den Empfehlungen des Wissenschaftsrates für einen mittelfristigen Zeitraum von fünf Jahren anzuheben.
- Der Bund verpflichtet sich, den Anteil des BMBF am Gesamthaushalt des Bundes auf der Basis des Haushalts 1997 in einem Zeitraum von fünf Jahren durch interne Umschichtung pro Jahr um 0,1 Prozent zu verstärken. Er verpflichtet sich ferner, die Ansätze für die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau entsprechend den Empfehlungen des Wissenschaftsrates zumindest für einen mittelfristigen Zeitraum von fünf Jahren anzuheben, um dem Nachholbedarf in den ostdeutschen und westdeutschen Ländern gerecht zu werden.
- Bund und Länder verpflichten sich, innerhalb der Umschichtung in den Haushalten auch für eine deutliche Verbesserung der individuellen Studienfinanzierung über das BAföG Sorge zu tragen.
- Bund und Länder verpflichten sich ferner, in diesem Rahmen über die Gemeinschaftsaufgabe Forschungsförderung die Finanzierung von Deutscher Forschungsgemeinschaft (DFG) und Max-Planck-Gesellschaft (MPG) für mindestens fünf Jahre um jährlich fünf Prozent anzuheben.
- Um ein Investitionsprogramm für die Hochschulen zur Grundsanierung in Ost und West rasch zu finanzieren, wird vorgeschlagen, privates Kapital für öffentliche Aufgaben zu mobilisieren. Für einen Zeitraum von fünf Jahren sollten Anleihen der Länder (und des Bundes) aufgelegt werden, die nach dem Vorbild der früheren Berlin-Darlehen einmalige Absetzungen bei der Steuerschuld und eine kapitalmarktfähige Verzinsung ermöglichen. Die dazu erforderlichen Änderungen des Einkommenssteuergesetzes sollten unter Streichung bisheriger Abschreibungsmöglichkeiten im Bereich der Subventionen vorgenommen werden.
- Angesichts der Enge der öffentlichen Haushalte erscheint es angebracht, einen Eigenbeitrag aller derjenigen zu erwarten, die über höhere Einkommen verfügen. Es wird vorgeschlagen, über einen freiwilligen, als Spende für Wissenschaft und Forschung nach den Regelungen des Einkommensteuergesetzes absetzbaren Solidarbeitrag aller mehr als jährlich 100.000 DM netto Verdienenden von 100 DM pro Monat an eine Hochschule ihrer Wahl oder an lokale oder regionale Freundesvereinigungen von Hochschulen die Sozialpflichtigkeit von Eigentum zu unterstreichen. Die Länder sollten alle auf diesem Weg eingehenden Mittel durch entsprechende Gegenfinanzierungen honorieren. Damit könnten nach dem Modell der "matching funds" angemessene Lösungen für die Behebung der Finanzmisere der Hochschulen im Bereich der Lehre und der Förderung der internationalen Zusammenarbeit erreicht werden.