Stellungnahme des 91. Senats vom 17. Oktober 2000
Das AföRG bringt leider nicht die erforderliche Strukturreform der Ausbildungsförderung in Deutschland.
I. Die Kosten für die Hochschulausbildung werden vom Staat und den Studierenden bzw. deren Familien aufgebracht. Circa 34 Milliarden DM investieren Länder und Bund jährlich netto in die Zukunftsaufgabe Forschung und Lehre an den Hochschulen (institutionelle Kosten der Hochschulausbildung). Unterstellt man durchschnittliche Lebenshaltungskosten von etwa 1.200 DM/Monat, so fallen bei der augenblicklichen Zahl von etwa 1,6 Millionen Studierenden weitere 23 Milliarden DM an, die von den Studierenden bzw. den Elternhäusern aufgebracht werden (individuelle Kosten der Hochschulausbildung). Etwa 1,7 Milliarden DM davon werden im Zuge der Ausbildungsförderung durch staatliche Zuschüsse ausgeglichen und zinsfreie Darlehen vorübergehend getragen (staatliche Beteiligung an den individuellen Kosten). Dabei betrugen die Netto-Ausgaben (bereinigt um die Darlehensrückflüsse von 1,1 Mrd. DM) im Jahre 1998 nur etwa 600 Millionen DM.
Wurden früher über 30 Prozent der Studierenden gefördert, sind es gegenwärtig deutlich unter 15 Prozent. Zu berücksichtigen ist, dass die Ausbildungsförderung zur Hälfte als Darlehen vergeben wird. Einkommensschwächere Schichten scheuen bisher - trotz einer durch ein Studium in der Regel deutlich erhöhten Einkommenserwartung - eine Schuldenlast, die sich nach Ablauf des Studiums auf 30.000 - 40.000 DM beläuft. Nach der letzten Sozialerhebung nahmen 1997 nur acht Prozent der Kinder aus unteren Einkommensschichten ein Studium auf, während es in den oberen Einkommensschichten über 70 Prozent waren. In den neuen Ländern lag die Übergangsquote in den Hochschulbereich bei den Studienberechtigten aus den unteren Einkommensschichten noch erheblich niedriger. Damit kann die Ausbildungsförderung ihren Anspruch, soziale Schranken beim Zugang zum Studium abzubauen, nicht in ausreichendem Maße erfüllen.
II. Die HRK fordert deshalb, dass Ausbildungsförderung elternunabhängig erfolgen muss, um den Studierenden eine ihrem Alter angemessene Eigenverantwortung zu übertragen, sowie den Kreis der Geförderten zu erweitern und die Darlehensbelastung für (voll geförderte) Studierende zu reduzieren.
Außerdem sind die Verfahren der Antragstellung und Bearbeitung inflexibel und zu bürokratisch. Ein weiteres Grundproblem besteht darin, dass Studierende ohne oder mit nur geringer Förderung in Fällen, in denen die Eltern trotz ausreichender finanzieller Leistungskraft nicht die angemessene Unterstützung gewähren, entweder nicht studieren können oder aber ihren Unterhalt selbst verdienen müssen.
III. Der nun vorliegende Regierungsentwurf bringt zwar deutliche Verbesserungen: Dies gilt generell für die Anhebung von Bedarfssätzen und Freibeträgen (inklusive der Nichtanrechnung des Kindergeldes), aber zum Beispiel auch für die Ausdehnung der Auslandsförderung und die Vereinheitlichung der Förderleistung in neuen und alten Bundesländern. Auch kann die Begrenzung der Gesamtdarlehensbelastung auf 20.000,- DM bei Studierenden aus einkommensschwachen Familien Ängste vor einer zu hohen Darlehensbelastung vermindern. Die Neugestaltung der Studienabschlussförderung ist ein wichtiges Element in der Schaffung einer gerade in diesem Studienabschnitt so wichtigen kontinuierlichen Förderung. Auch die bedarfsgerechtere Berücksichtigung von Kindererziehung ist in diesem Zusammenhang positiv zu vermerken. Hiermit werden seit langem von der HRK erhobene Forderungen erfüllt.
Diese Verbesserungen ändern aber nichts daran, dass die im Durchschnitt von derzeit 640 DM auf 730 DM monatlich angehobene Förderung zu wenige Studierende erreichen wird. Viele der an sich Förderungswürdigen werden nach wie vor wegen der Marginalität ihrer Förderung und wegen des bürokratischen Verfahrens einen Antrag auf Förderung gar nicht erst einreichen. Hinzu kommt, das die Beanspruchung von BAföG-Leistungen durch eine widersinnige Zuverdienstgrenze von derzeit 385 DM, die auf lediglich 410 DM angehoben werden soll, zusätzlich gebremst wird. Im Übrigen berücksichtigt das weiterhin geltende System nicht die Tatsache, dass es sich bei Studierenden um erwachsene Menschen handelt, deren Ausbildungs- und Lebensplanung nicht von der sozialen Stellung der Eltern abhängig gemacht werden darf.
Die HRK ist deshalb unverändert der Auffassung, dass ein grundlegender Systemwechsel vorgenommen werden muss, da das derzeitige BAföG-Modell auch in novellierter Form die Anforderungen einer breit angelegten, elternunabhängigen und effizienten Studienfinanzierung nicht erfüllen kann. Die HRK wird deswegen Grundlinien eines eigenen Ausbildungsförderungskonzeptes entwickeln.