Zur aktuellen hochschulpolitischen Situation


Erklärung des 98. Senats vom 10. Februar 2004


Zusammenfassung


Die deutschen Hochschulen leisten mit ihrer Kompetenz in Ausbildung, Forschung und Transfer einen wesentlichen Beitrag zur Innovationsfähigkeit des Standortes Deutschland. Die derzeitige Diskussion zeigt, dass die Politik dies erkannt hat.


1. Der Senat der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) begrüßt die wissenschafts- und hochschulpolitische Diskussion und das Bekenntnis der Bundesregierung zur Steigerung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf 3% des BIP bis 2010. Es wird damit ausdrücklich anerkannt, dass die deutschen Hochschulen deutlich unterfinanziert sind. Deshalb müssen die Investitionssteigerungen in erster Linie den Hochschulen zugute kommen. Diese zusätzlichen Mittel sollten insbesondere zur Förderung von spezifischen Forschungsprojekten auch in Institutions-übergreifenden Verbünden, zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und zur Unterstützung von Berufungen, zur institutionellen Förderung der Hochschulen, zur Sicherung ihrer personellen sowie technischen und baulichen Infrastruktur eingesetzt werden. Solche Förderstrukturen sollten sich an den international anerkannten Kriterien der DFG orientieren. Die HRK wird sich nachdrücklich durch Vorschläge an der Gestaltung entsprechender Ausschreibungsverfahren beteiligen.


2. Die Erklärungen der Politik sowie die Absicht der Förderung von "Elite-Universitäten" stehen in erheblichem Gegensatz zu der zunehmend unhaltbaren Situation der Hochschulen in Deutschland, die wegen einer anhaltenden Kürzungspolitik sowohl des Bundes als auch der Länder Leistungsverluste in Forschung und Qualitätseinbußen in der Ausbildung befürchten lässt. Insofern steht die Glaubwürdigkeit der Erklärungen und Ankündigungen einer Innovationsoffensive auf dem Spiel, denn auch die Bundesregierung hat erst vor wenigen Wochen Kürzungen der Haushaltsansätze für den Hochschulbau und die Projektförderung verfügt, von denen die Hochschulen erheblich betroffen sind.


3. Das Hochschulsystem in Deutschland erbringt schon jetzt auch international wahrgenommene Spitzenleistungen sowohl in der Forschung als auch in der Lehre, zeichnet sich aber auch durch ein im internationalen Vergleich ungewöhnlich breites Spektrum mit hohem Leistungsniveau aus. Wenngleich die verstärkte Förderung von Spitzenleistungen in Hochschulen im Interesse der internationalen Wettbewerbsfähigkeit zweifellos wünschenswert ist, so darf dies keinesfalls durch bloße Umverteilung von Mitteln zu Gunsten einiger Spitzeneinrichtungen geschehen; erhebliche zusätzliche Mittel sind daher erforderlich.


4. Verstärkte Entwicklung auch international sichtbarer Spitzenleistungen kann nur in einem wissenschaftsadäquaten Wettbewerb erfolgen, für den die erforderlichen Voraussetzungen hergestellt werden müssen. In diesem Wettbewerb müssen die wissenschaftlichen Leistungen von Fächern und individuellen Wissenschaftlern ausschlaggebend für finanzielle Förderung sein, nicht jedoch Qualitätsurteile über ganze Hochschulen. Der HRK-Senat unterstützt daher alle Entwicklungen und Maßnahmen, die der Profilbildung von Hochschulen und damit einer stärkeren Differenzierung innerhalb des Hochschulsystems dienen.


5. Wichtige Voraussetzung für den wissenschaftsadäquaten Wettbewerb ist ein deutlicher Rückzug des Staates aus der Detailsteuerung zu Gunsten der Entscheidungsspielräume von Leitungsorganen der Hochschulen. Dringlich zu behebende Wettbewerbshindernisse sind u.a. die Vorgaben des Dienst- und Tarifrechts, fehlende Budgethoheit, Bauherreneigenschaft und Dienstherreneigenschaft für das gesamte Personal, das Kapazitätsrecht und das Fehlen eines Auswahlrechts der Hochschulen für ihre Studierenden.


6. Forschungsförderung ist im Interesse der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland weiterhin eine staatliche Gemeinschaftsaufgabe. Auch die Finanzierung des Hochschulbaus muss daher in gemeinsamer Verantwortung von Bund und Ländern bleiben, um die Unabhängigkeit der Forschung sowie die bauliche Entwicklung und die Ausstattung mit Großgeräten zu sichern.


7. Spitzenhochschulen vereinen höchste wissenschaftliche Standards in einer Vielzahl von Disziplinen, ein breites wissenschaftliches Umfeld als Voraussetzung für die Entwicklung innovativer Forschungsstrategien, sowie effiziente Strukturen zur Sicherung der Qualität in Lehre und Nachwuchsförderung. Im Interesse der institutionellen Sichtbarkeit, der Berufungsfähigkeit und der Einheit von Forschung und Lehre müssen diese Hochschulen in den Stand gesetzt werden, als Fokuspunkt für enge wissenschaftliche Kooperation mit der außeruniversitären Forschung am Ort zu dienen. Die Stärkung der Hochschule als Orte der Forschung muss ein erklärtes Ziel der Spitzenförderung sein.


8. Der HRK-Senat erklärt seine Bereitschaft, an konkreten Schritten zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des deutschen Hochschulsystems auf Bundes- und Landesebene aktiv mitzuwirken.


"Ziele der Wissenschafts- und Hochschulpolitik: Differenzierung, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit des Hochschulsystems"


Innovationskraft und globale Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland sind wichtige Ziele der Politik. Ihre Förderung setzt das Bewusstsein dafür voraus, dass Innovation in einer Prozesskette entsteht, die mit der Grundlagenforschung beginnt und über anwendungsorientierte Forschung zu marktfähigen Produkten führt. Innovationsförderung ist daher nicht ohne eine hohe wissenschaftliche Leistungsfähigkeit der Hochschulen erreichbar, denn die Hochschulen sind die wichtigsten Stätten der Grundlagen- und der angewandten Forschung sowie der Ausbildung des dafür erforderlichen wissenschaftlichen Nachwuchses.


Qualität und internationale Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulforschung bestimmen die Qualität der akademischen Ausbildung für die Arbeitswelt jenseits der Wissenschaft. Eine "Innovationskultur" setzt daher die Chancengerechtigkeit des Zugangs möglichst vieler junger Menschen zu einer wissenschaftsgeleiteten Ausbildung ebenso voraus wie die Förderung ihrer Leistungsbereitschaft und die Anerkennung von Leistungsdifferenzierung. Diese ist individuell wie auch auf der Ebene der Institutionen eine wichtige Voraussetzung für Spitzenleistungen deutscher Hochschulen im Wettbewerb mit hoch renommierten Spitzenuniversitäten in anderen Teilen der Welt.


Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) begrüßt nachdrücklich die in den "Weimarer Leitlinien" des SPD-Parteivorstands enthaltenen wissenschafts- und hochschulpolitischen Zielperspektiven, obwohl - oder gerade weil - diese in so deutlichem Gegensatz zur gegenwärtigen Realität der Hochschulen stehen. Die öffentlichen Proteste der Studierenden haben in den letzten Wochen der Öffentlichkeit die zunehmend schwierige Lage der Hochschulen in Deutschland deutlich gemacht. Die derzeitige Kürzungspolitik von Bund und Ländern, Stellenabbau, fehlende Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs, wachsende Defizite in der baulichen und technischen Ausstattung, zunehmende Überlast in der Lehre, führen zu Arbeitsbedingungen in den Hochschulen, die der Entstehung von Spitzenleistungen entgegenstehen.


Die HRK sieht daher in den zentralen Aussagen der "Weimarer Leitlinien" eine Neuorientierung zu einer Hochschulpolitik, die auf Förderung von Qualität in Forschung und Lehre durch Leistungsanreize setzt und den Hochschulen den notwendigen - strukturellen und materiellen - Handlungsspielraum schaffen könnte, den sie benötigen, um eigenverantwortlich im Wettbewerb um akademische und wissenschaftliche Qualität zu agieren. Sie begrüßt auch das vom Bundeskanzler nachdrücklich bekundete Vorhaben der Bundesregierung, die Arbeitsbedingungen der Hochschulen in Deutschland mit dem Ziel internationaler Spitzenleistungen zu verbessern und ihre finanzielle Ausstattung entsprechend deutlich zu steigern.


Die HRK macht darauf aufmerksam, dass angesichts der sogenannten "Entflechtungsdebatte" in der Bundesstaatskommission das zentrale Interesse Deutschlands an einem international wettbewerbsfähigen Wissenschafts- und Hochschulsystem nicht aus dem Auge verloren werden darf. Forschungsförderung und Hochschulbau müssen in der gemeinsamen Verantwortung des Bundes und der Länder bleiben, wenn der Staat es mit der Förderung der wissenschaftlichen Exzellenz ernst meint. Auch im Hinblick auf die europäische Perspektive sieht die HRK hier eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern im Interesse der Förderung von Forschung an den Hochschulen: Fehlendes Zusammenwirken von Bund und Ländern infolge getrennter, nicht koordinierter Zuständigkeiten wäre ein erhebliches Risiko für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wissenschaft in der ohnehin schon zersplitterten europäischen Hochschullandschaft.


Jenseits der Zuständigkeiten des Staates sieht die HRK in erster Linie die Hochschulen selbst als verantwortliche Träger der von Wettbewerb getragenen Bemühungen um ein im internationalen Vergleich hoch kompetitives Niveau von wissenschaftlicher Forschung und akademischer Ausbildung. Sie wird sich daher mit Nachdruck an der Gestaltung der erforderlichen Rahmenbedingen durch konkrete Vorschläge beteiligen.


Leistungsfähigkeit des deutschen Hochschulsystems


Die HRK widerspricht allen Darstellungen, die die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit des deutschen Hochschulsystems generell in Frage stellen. Das deutsche Hochschulsystem weist nicht nur eine im internationalen Vergleich insgesamt erhebliche Leistungsbreite in der Forschung auf, sondern in zahlreichen Hochschulen und Fakultäten auch international wettbewerbsfähige, zum Teil führende Spitzenleistungen der Forschung.


Zwar ist die Zahl deutscher Hochschulen mit international anerkannten Forschungsspitzen in der Mehrzahl der Fakultäten oder Fächer nicht groß und insofern das Fehlen international sichtbarer Höchstleistungseinrichtungen eine zutreffende Beschreibung. Dennoch ist die Fokussierung der öffentlichen Diskussion auf einige internationale "Leuchttürme" mit weltbekannten Namen zu kurzsichtig, um ernsthafte Grundlage tiefgreifender Reformprogramme sein zu können. Im Gegensatz zu den Wissenschaftssystemen anderer Länder ist die Grundlagen- und insbesondere die anwendungsorientierte Forschung in Deutschland überdies nicht nur in Hochschulen konzentriert, sondern findet in erheblichem Umfang auch in außeruniversitären Institutionen und oft in enger Kooperation mit diesen statt.


Ob dies der Gesamtleistung des Wissenschaftssystems förderlich ist oder zumindest teilweise eine Rückführung von Forschungsaktivitäten in die Hochschulen angezeigt wäre, mag überdacht werden. In jedem Falle dürfte eine noch engere Kooperation zwischen Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen im Interesse von Kompetenz- und Ressourcenbündelung sinnvoll sein.


Die Forderung der spezifischen Förderung einer einzelnen oder allenfalls einer Handvoll "Elite-Hochschulen" im Rahmen einer Innovationsoffensive verkennt aber insgesamt, dass die Entwicklung besonders leistungsfähiger Spitzenhochschulen aus der Breite der Hochschullandschaft diese einerseits nicht gefährden darf und andererseits nur mit zusätzlicher Förderung zu erreichen ist, nicht durch Umverteilung der bisherigen Fördermechanismen.


Es darf auch nicht unterschätzt werden, dass die quantitativen Anforderungen, die an die deutschen Hochschulen derzeit in der Lehre gestellt werden, ständig wachsen. Eine Wissenschaftspolitik, die den Forschungsauftrag der Universitäten verkennt und sie vorrangig als Ausbildungseinrichtungen wahrnimmt, wirkt der Exzellenzbildung bewusst entgegen. Daher wächst die im deutschen Hochschulsystem seit vielen Jahren bestehende und qualitätsbehindernde Überlast weiterhin: Im Jahr 2003 ist die Studierendenzahl gegenüber dem Vorjahr erneut um 4,3% gestiegen, aber die Zahl der Personalstellen an Hochschulen um 7,2% gesunken, und die Zahl der Studierenden pro Professor ist in den letzten 5 Jahren von 55,9 (1998) auf 58,4 (2002) gestiegen - gegenüber 35 in den USA.


Eine sachangemessene Betreuungsintensität ist schon seit vielen Jahren nicht das Leitkriterium der rechtlichen Grundlagen für die Hochschulzulassung; Bemühungen darum wurden im Gegenteil mit dem höchstrichterlichen Verdikt der "unzulässigen Niveaupflege" belegt. Hier muss unbedingt umgedacht werden. Dazu gehört auch, dass die Graduiertenausbildung explizit auf das Lehrdeputat der Dozenten angerechnet wird. Eine auf Spitzenqualität ausgerichtete Ausbildung wird derzeit vor allem durch staatliche Vorgaben behindert. Das politische Ziel einer weiteren Steigerung der Studierendenquote bei zurückgehenden Personalressourcen ist mit dem Qualitätsanspruch unvereinbar.


Dass die wissenschaftliche Ausbildung an deutschen Hochschulen dennoch ein hohes Niveau hat und auch im Ausland hohe Reputation genießt, ist nicht zuletzt an dem seit vielen Jahren beklagten "brain drain" abzulesen: Die besten Absolventen deutscher Hochschulen sind sehr wohl in der Lage, im Wettbewerb um attraktive Positionen an Wissenschaftseinrichtungen im Ausland zu bestehen. Das durchweg positive Urteil dieser Nachwuchswissenschaftler über ihre Ausbildung an deutschen Hochschulen belegt ebenso wie das der vielen deutschen Stipendiaten, die an ausländischen Hochschulen studieren, und der zahlreichen ausländischen Nobelpreisträger, die ihre wissenschaftliche Ausbildung in Deutschland erhalten haben, das unvermindert hohe Niveau der Hochschulausbildung in Deutschland.


Die problematischen Rahmenbedingungen führen aber dazu, dass die Berufungsfähigkeit deutscher Hochschulen im internationalen Wettbewerb nicht konkurrenzfähig ist. Hier muss dringend Abhilfe geschaffen werden, denn ohne die besten Köpfe kann es keine exzellente Wissenschaft geben.


Spitzenhochschulen entstehen nur durch wissenschaftsgeleiteten Wettbewerb


Es ist offenbar politisches Ziel, die Entwicklung von internationalen "Elite-Universitäten" zu unterstützen und akademische Exzellenz stärker zu fördern - ungeachtet der unscharfen Verwendung des Begriffs der "Elite-Universität", die ja nicht nur auf forschungsstarke amerikanische Vorbilder wie Harvard oder Stanford, sondern z.B. auch auf die eher lehrorientierte französische ENA angewendet wird. In einem breit angelegten und daher differenzierten Hochschulsystem wie dem deutschen kann Exzellenz nur erreicht werden, wenn der Wettbewerb zwischen den existierenden Hochschulen nach den in der internationalen Wissenschaft gut etablierten Qualitätskriterien nicht nur zugelassen, sondern aktiv gefördert wird. Die politische Dekretierung einzelner Hochschulen als Elite-Universitäten - etwa durch einen hervorgehobenen Status als Bundesuniversitäten - ist dafür ebenso untauglich wie eine ausschließliche oder auch nur überwiegende Fokussierung zusätzlicher staatlicher Mittel nur auf solche Hochschulen. Das damit verbundene "Zwei-Klassen-System" würde den notwendigen wissenschaftlichen Wettbewerb verzerren, der nur funktionieren kann, wenn alle Hochschulen die Chance haben, sich durch weit überdurchschnittliche Spitzenleistungen auszuzeichnen.


Die HRK bekennt sich daher zu einer Wissenschafts- und Hochschulpolitik, die den Wettbewerb nach wissenschaftlichen Kriterien zulässt und diesen fördert. Dies könnte zu einer angemessenen Profilbildung der einzelnen Hochschulen und damit auch zu einer zunehmenden Differenzierung innerhalb des Hochschulsystems führen. Dieser Wettbewerb muss ermöglicht und die Schaffung der dafür erforderlichen Rahmenbedingungen daher das wichtigste Gestaltungsziel der Politik sein.


Dies kann vor allem durch zwei Instrumente geschehen: Einerseits mit materiellen Förderanreizen durch zusätzliche Forschungsmittel, die keinesfalls durch eine weitere Schlechterstellung der vorhandenen Einrichtungen rekrutiert und nur nach strenger wissenschaftlicher Begutachtung vergeben werden dürfen. Andererseits durch die Herstellung erheblich größerer Entscheidungs- und Handlungsspielräume für die Hochschulen durch Abbau des unmäßig gewachsenen Netzwerks wettbewerbsbehindernder gesetzlicher und Verwaltungsvorschriften.


Von den Hochschulen selbst verlangt eine solche Entwicklung die Entscheidung für ein spezifisches Profil und die Bildung einer begrenzter Zahl von Schwerpunkten sowohl in der Forschung als auch in der Lehre. Auch die derzeit noch überwiegend vorherrschenden Mechanismen des internen Managements müssen überdacht werden, um die Planung strategischer Ziele und deren operative Umsetzung ausreichend effizient bewerkstelligen zu können. Es besteht ein erheblicher Bedarf an Professionalisierung der zentralen und dezentralen Leitungsorgane durch entsprechende Gestaltung gesetzlicher Vorgaben.


Hochschulen müssen überdies strategische Partnerschaften und enge Kooperationen mit anderen Einrichtungen der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Kultur im Sinne von "Clustern" eingehen. Dazu ist nicht nur eine Zielabstimmung erforderlich, sondern auch eine erhöhte Durchlässigkeit zwischen diesen Systemen. Nur unter solchen materiellen, strukturellen und rechtlich-organisatorischen Rahmenbedingungen kann sich die erwünschte Differenzierung auch innerhalb des Hochschulsystems, der erforderliche "Wettbewerb um Qualität" und damit die "Innovationskultur" entwickeln, aus der international sichtbare Spitzenleistungen hervorgehen.


Zusätzliche Finanzmittel sind unabdingbar und müssen gezielt eingesetzt werden


Die HRK begrüßt die Ankündigung des Bundeskanzlers, die in den Beschlüssen von Lissabon und Barcelona eingegangene Verpflichtung der Staats- und Regierungschefs Europas umzusetzen, nach der die Ausgaben für Forschung und Entwicklung bis zum Jahre 2010 auf mindestens 3% des BIP angehoben werden sollen. Das bedeutet, dass diese Mittel zu etwa einem Drittel aus öffentlichen Haushalten und zu zwei Dritteln aus der Wirtschaft kommen sollen. Dies würde - gleichmäßige Anhebung der Ansätze in den Jahren bis 2010 vorausgesetzt - eine Steigerung des staatlichen Forschungsetats um 8-10% pro Jahr ab 2005 bedeuten. Die HRK erwartet, dass die Absichtserklärung des Bundeskanzlers nicht nur für den Bundeshaushalt, sondern auch in den Ländern gilt; sie wird die tatsächliche Entwicklung der Haushaltsansätze daher mit Aufmerksamkeit verfolgen.


Die zusätzlich zu rekrutierenden Mittel des Bundes und der Länder müssen in relevantem Umfang den Hochschulen zugute kommen. Sie könnten insbesondere eingesetzt werden zur Förderung von spezifischen Forschungsprojekten insbesondere auch in Institutions-übergreifenden Verbünden, zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und von Berufungen, zur institutionellen Förderung der Hochschulen und zur Sicherung ihrer personellen, technischen und baulichen Infrastruktur.

  1. Förderung kompetitiver Forschungsprojekte:
    Die Grundlagenforschung mit Drittmitteln etwa der DFG sollte durch eine deutliche Aufstockung des DFG-Etats erheblich gesteigert werden. In diesem Rahmen müssen vor allem die Haushaltsanteile von SFBs, Forschergruppen, Forschungszentren und besonders den Schwerpunktprogrammen gesteigert werden, um die intensivere Verbundforschung innerhalb der Hochschulen zu fördern.

  2. Förderung von "Wissenschaftsclustern":
    Zusätzliche Mittel könnten im Rahmen eines neuen, ggf. durch Bund und Länder kofinanzierten Programms für die Bildung von regionalen "Wissenschaftsclustern" zwischen Hochschulen (Federführung), außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Einrichtungen der Wirtschaft im Wettbewerb ausgeschrieben werden. Solche Programme könnten - über die Grundlagenforschung hinaus - den Technologietransfer verbessern und so eine Innovationsoffensive wirksam unterstützen.

  3. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses:
    Einrichtung bzw. Stärkung von Graduiertenförderprogrammen und/oder Einrichtung überinstitutioneller, ggf. auch im europäischen Verbund zu organisierender Graduiertenschulen, ggf. auch im europäischen Rahmen.

  4. Herstellung attraktiver Beschäftigungsperspektiven für jüngere Wissenschaftler:
    Deutliche Verstärkung der Förderung von wissenschaftlichen Nachwuchsgruppen, Emmy-Noether-Programm; Ermöglichung von tenure-track-Positionen. Verstärkte Anstrengungen müssen durch zusätzliche Mittel unternommen werden, um den seit Jahren bestehenden "brain drain" umzukehren. Die deutschen Wissenschaftseinrichtungen und insbesondere die Hochschulen müssen in den Stand gesetzt werden, eine ausreichend attraktive Perspektive für die "besten Köpfe" und den qualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchs zu bieten.

  5. Finanzielle Unterstützung bei Neuberufungen - auch gemeinsame Berufungen von Hochschulen und anderen Wissenschaftseinrichtungen - mit Schwerpunkt-orientierter Zweckbestimmung durch Mittel für verstärkte Ausstattung:
    Die Hochschulen müssen in der Lage sein, bei Berufungen sowohl mit nicht universitären Wissenschaftseinrichtungen im Inland (z.B. Max-Planck-Institute) und im Ausland (Schweiz, USA) mitzuhalten, die erheblich besser ausgestattet sind, bessere Verdienstmöglichkeiten bieten und mit einem stärker eigenverantwortlichen Management geführt sind. Entsprechendes gilt für die Konkurrenzfähigkeit der Hochschulen bei der Rekrutierung von Leistungsträgern aus der Wirtschaft. Angesichts der derzeitigen Pensionierungswelle bietet sich ein Zeitfenster von etwa 5-6 Jahren, in dem die Zahl von Neuberufungen erheblich erhöht ist.

  6. Verbesserung der institutionellen Infrastruktur der Hochschulen:
    Die durch verschiedene Fördermechanismen den Hochschulen zugewiesenen Mittel für Forschungsprojekte sollten - ebenso wie EU-Mittel - durch eine Zusatzfinanzierung zu Gunsten der institutionellen Grundausstattung und Infrastruktur (der Fakultät oder der Hochschule) ergänzt werden. Dies würde einen deutlich größeren Anreiz zur Mitteleinwerbung darstellen und die vielfach in Frage gestellte Drittmittelfähigkeit der Hochschulen verbessern.

Da diesen Vorschlägen teilweise verfassungsrechtliche Argumente entgegenstehen, müssen sie ebenso wie der Hochschulbau und die allgemeine Forschungsförderung im Interesse der dringend erforderlichen, grundlegenden Reform des Wissenschafts- und Hochschulsystems auch Gegenstand einer zielorientierten Diskussion in der Föderalismuskommission werden. Die HRK dringt darauf, dass das Ziel einer solchen Diskussion nicht allein die "Klarheit und Wahrheit" der Zuordnung verfassungsrechtlicher Kompetenzen für Bund und Länder sein darf, sondern dass wissenschafts- und hochschulpolitische Erfordernisse eines gemeinschaftlichen Engagements von Bund und Ländern dabei maßgeblich berücksichtigt werden.


Nur autonome Hochschulen können im Wettbewerb Spitzenleistungen entwickeln


Das Ziel der nachdrücklichen Förderung von international sichtbaren Spitzenhochschulen kann nur erreicht werden, wenn die Hochschulen von gesetzlichen und Verwaltungsvorgaben weitgehend entlastet werden, die in ihrer Gesamtheit einen qualitätsorientierten Wettbewerb behindern und bestehende oder dringend zu entwickelnde Anreize für Spitzenleistungen unwirksam machen.


Solche Hindernisse bestehen nicht allein auf Bundesebene, etwa in der überflüssigen Detailliertheit von Vorgaben im HRG und in der Verpflichtung auf eine dienst-, besoldungs-, oder arbeitsrechtliche Bundeseinheitlichkeit. Zwischen einzelnen Bundesländern, aber ebenso zwischen Hochschulen innerhalb einzelner Bundesländer, sollte der Wettbewerb bei der Besoldung von Hochschulpersonal stattfinden können. So könnten standortspezifische Besonderheiten etwa in Konkurrenz mit anderen wissenschaftlichen Institutionen, etwa der Max-Planck-Gesellschaft oder auch der Wirtschaft, ausgeglichen werden. Auch die Hochschulgesetze der Bundesländer engen die Flexibilität der Hochschulen ein und nutzen in keiner Weise die Spielräume, die im Interesse des Länderwettbewerbs genutzt werden könnten.


Mit Nachdruck stellt die HRK daher fest, dass die von deutschen Hochschulen erwarteten Spitzenleistungen nur erreichbar sein werden, wenn sie

  • ihre Studierenden selbst auswählen und bei angemessenem Betreuungsverhältnis ausbilden,

  • ihre wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Mitglieder frei von wissenschaftsfremden Vorgaben berufen und besolden können,

  • grundsätzlich die Dienstherreneigenschaft und Bauherreneigenschaft erhalten,

  • ihre internen Entscheidungsmechanismen unabhängig von staatlicher Mitwirkung und Genehmigung gestalten können,

  • ihre Fächer- und Fakultätsstrukturen ohne Einwirkung der staatlichen Verwaltung ordnen können,

  • über ihre Immobilien und Einrichtungen eigenverantwortlich verfügen können,

  • ihre Studiengänge ausschließlich unter staatsferner Qualitätskontrolle selbst gestalten können,

  • Planungssicherheit hinsichtlich der finanziellen Rahmenbedingungen über mehrere Jahre haben.

Solange solche Rahmenbedingungen nicht durch konsequenten Rückzug des Staates auf eine allgemeine Rahmenkompetenz geschaffen werden, wird die Entwicklung international renommierter Spitzenhochschulen in Deutschland erheblich behindert sein.


Ohne solche Rahmenbedingungen wird auch die Bereitschaft der deutschen Wirtschaft zu stärkerer Investition in das deutsche Hochschulsystem nicht wiedergewonnen und damit die Steigerung der Forschungsfinanzierung auf das in Europa verabredete Niveau nicht erreicht werden können. Diese Bereitschaft wurde durch den über viele Jahre zunehmenden Effizienzverlust der deutschen Hochschulen infolge ihres kontinuierlich gewachsenen Charakters als nachgeordnete Behörden schrittweise verloren. Sie kann wiedergewonnen werden - auch z.B. durch die Erleichterung des Laufbahnwechsels zwischen Hochschulen und Wirtschaft, der gegenwärtig durch unterschiedliche Beschäftigungsverhältnisse behindert wird.


Fazit: Jetzt konkretisieren und realisieren


Die Initiativen des Bundeskanzlers und der Bundesbildungsministerin seit Anfang des Jahres 2004 zu den Themen Innovation und Elite-Hochschulen haben eine heftige Diskussion ausgelöst. Der dadurch erzeugte Schwung muss jetzt genutzt werden. Unbestritten ist, dass die Innovationskraft des Landes durch Förderung wissenschaftlicher Spitzenleistungen gestärkt werden muss und zwar in der ganzen Breite dessen, was Hochschulen leisten: Lehre, Nachwuchs, Forschung; unbestritten ist auch, dass die Hochschulen dabei eine zentrale Rolle spielen. Jetzt müssen Begriffe konkretisiert, Programme entwickelt und umgesetzt werden.


1. Elite und Innovation dürfen nicht eng und zukunftsfähige Wissenschaftsfelder nicht nur "top down" definiert werden


Die Zukunft ist bekanntlich nicht vorhersehbar und die Prognose von Bedarfsentwicklung und Nutzungserwartungen in der Regel oft fehlerhaft. Die Definition "zukunftsfähiger" Wissenschaftsfelder darf nicht aus kurzfristiger Perspektive und nicht ausschließlich "top down", sondern mindestens ergänzend auch "bottom up" stattfinden, d.h. aus der Grundlagenforschung. Dies erfordert Nachhaltigkeit und Risikobereitschaft und daher eine Mentalität, die das halb leere Glas grundsätzlich als halb voll betrachtet. Auch aus diesem Grund muss die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ein zentrales Anliegen jeder Innovationsoffensive sein.


2. Nicht ent-, sondern verflechten: Bund und Länder müssen gemeinsam agieren


Die Förderung der international wettbewerbsfähigen Wissenschaft ist eine gesamtstaatliche Aufgabe. Sie setzt die gemeinsame und koordinierte Anstrengung von Bund und Ländern voraus. Daher müssen Bund und Länder ihre gemeinsame Verantwortung für das Hochschulsystem eng koordiniert wahrnehmen. Eine Förderung von Spitzenhochschulen allein durch den Bund kann aus Verfassungsgründen keine institutionelle Förderung sein, sie wird auch nicht erfolgreich sein, wenn die Länder sie nicht mindestens durch eine angemessene institutionelle Ausstattung absichern.


Die Förderung der Hochschulforschung - z.B. durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), deren Fördermittel zu mehr als 80% in die Hochschulen fließen - muss mit der baulichen und technischen Entwicklung der Hochschulen eng verknüpft und gleichermaßen ein Anliegen von Bund und Ländern bleiben.


Gäbe der Bund seine Zuständigkeit für den Hochschulbau auf, wäre dessen Ende absehbar, denn für die Länder entfiele der nötige Anreiz durch die 50%ige Finanzierungsbeteiligung des Bundes - übrigens auch für die gemeinschaftliche Finanzierung von Großgeräten, die für die Forschung an Hochschulen unabdingbar sind. Verflechtung und Koordination gemeinsamer Anstrengungen von Bund und Ländern bei der Forschungsförderung und beim Hochschulbau dürfen daher nicht geschwächt werden und sollten in der Bundesstaatskommission hohe Priorität gegenüber dem Gebot verfassungsrechtlicher "Wahrheit und Klarheit" genießen.


3. Hochschulen zu effizienten Kooperationspartnern der Wirtschaft machen


Bundeskanzler und Bundesregierung wollen bis zum Jahre 2010 die Ausgaben der Bundesrepublik für Forschung und Entwicklung entsprechend den europäischen Beschlüssen auf 3% des BIP erhöhen. Wenn auch die Wirtschaft zu dieser Investitionssteigerung beitragen soll, muss dort größere Kooperationsbereitschaft entstehen, die Hochschulen ihrerseits in den Stand setzen, ein angemessenes effizientes "return on investment" zu gewährleisten.


Dies erfordert eine deutliche Steigerung der staatlichen Hochschulfinanzierung und gleichzeitig den Rückzug des Staates aus der Detailsteuerung der Hochschulen. Das größte Hindernis für eine erfolgreiche Teilnahme deutscher Hochschulen am internationalen Wissenschaftswettbewerb besteht darin, dass Bund und Länder nicht bereit sind, die Rahmenbedingungen für die Hochschulen zu deregulieren, den Hochschulen größere Entscheidungskompetenzen zu gewähren und gesetzliche und Verwaltungsvorschriften zurückzufahren - der so populäre Vergleich mit den international renommierten amerikanischen Eliteuniversitäten zeigt dies überdeutlich.


4. Spitzenleistungen in Lehre, Nachwuchsförderung und Forschung ermöglichen


Die Ausbildung von qualifiziertem wissenschaftlichem Nachwuchs ist der Kern jeder Initiative für wissenschaftliche Spitzenleistungen. Das bildungspolitisch unterstützenswerte Ziel einer weiteren Steigerung der Studierendenzahl (Überlast) verschlechtert allerdings angesichts schwindender Ausstattungen die schwierige Lage der Forschung in Hochschulen. Dass den Hochschulen durch höchstrichterliche Entscheidung verwehrt ist, die Qualität der Ausbildung und damit die Rekrutierung aller studentischer Talente und Fertigkeiten auch durch ein im internationalen Vergleich angemessenes Betreuungsverhältnis zu verbessern, kann und muss durch den Gesetzgeber geändert werden.


Dazu gehört auch, dass die Festlegung von generellen Lehrdeputaten mindestens auch die Beratung der Studierenden sowie die Beteiligung an der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses einschließen muss und das individuelle Lehrdeputat durch die Verantwortlichen für Lehre und Studium in der Hochschule innerhalb eines festgelegten Gesamtrahmens variabel zugewiesen werden kann.