Vorwort
Die Mitgliedergruppe Fachhochschulen in der HRK hat sich auf ihrer Mitgliederversammlung am 21./22. Oktober 2002 mit den Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Entwicklung der Fachhochschulen aus dem Jahre 2002 befasst und eine Stellungnahme hierzu verabschiedet.
Die Mitgliedergruppe begrüßt darin die Forderungen des Wissenschaftsrates u.a. nach konsequenter Einführung gestufter Abschlüsse, verstärkter Internationalisierung, größerer Durchlässigkeit vom Fachhochschul- zum Promotionsstudium, Verstärkung der Intensität der angewandten Forschung und Entwicklung und Erhöhung der Attraktivität der Fachhochschulprofessur.
Sie sieht einen Widerspruch in der Forderung nach hochschulartenspezifischer Profilierung der Hochschulen auf der einen Seite und der faktischen Auflösung dieses Modells - insbesondere durch die sowohl an Universitäten als auch von Fachhochschulen gleichermaßen vorgesehen gestuften Abschlüsse - auf der anderen Seite. Es wird eine Wettbewerbsverzerrung der Fachhochschulen befürchtet, wenn bestehende Defizite nicht behoben, bisherige Alleinstellungsmerkmale aber verloren gehen. Vor diesem Hintergrund plädiert sie dafür, im Rahmen von befristeten Zielvereinbarungen des Staates, der individuellen Profilbildung gegenüber der formalen institutionellen Differenzierung ein größeres Gewicht zu geben.
Das Präsidium der HRK hat sich mit der Stellungnahme der Mitgliedergruppe befasst. Es teilt in seiner Mehrheit die von den Fachhochschulen befürchteten Wettbewerbsverzerrungen nicht, sieht in der Stellungnahme insgesamt gleichwohl einen wichtigen Beitrag zu der laufenden Diskussion über die künftige Entwicklung des Hochschulbereichs. Es veröffentlicht die Stellungnahme mit dem Ziel, den Diskussionsprozess in der gegenwärtigen Umbruchphase konstruktiv voranzutreiben und zur Klärung der offenen Fragen beizutragen.
Professor Dr. Klaus Landfried, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz
Professor Dr. Erhard Mielenhausen, Vizepräsident, Sprecher der Mitgliedergruppe Fachhochschulen
Stellungnahme
I. Empfehlungen des Wissenschaftsrats
1. Der Wissenschaftsrat hat in seinen Empfehlungen zur Entwicklung der Fachhochschulen vom 18.1.2002 auf der Grundlage einer umfassenden Analyse der Erfolge und Defizite der bisherigen Entwicklung sowie der zukünftigen bildungs- und beschäftigungspolitischen Erfordernisse wegweisende Vorschläge zu konkreten Handlungsfeldern (Ausbau und Größe, Studium und Lehre, Forschung, Personalstruktur) vorgelegt.
2. Er vertritt dabei die Auffassung, dass im Zuge der komplexer werdenden beruflichen Anforderungen der Bedarf an praxisorientiert ausgebildeten Hochschulabsolventen systematisch anwachsen wird und daher der Schwerpunkt des notwendigen Ausbaus des tertiären Bildungssystems auf Fachhochschulen zu legen ist. Den Fachhochschulen komme zudem eine Schlüsselrolle bei der Sicherung des Humankapitals in einem sich strukturell verändernden Beschäftigungssystem zu.
3. Zur Erreichung dieser Ziele sind die vom Wissenschaftsrat identifizierten Defizite der Fachhochschulen wie- unzureichender Ausbaustand- zu eng umgrenztes Fächerspektrum- weitgehend fehlender eigenständiger Zugang zu anwendungsorientierter Forschung und- Statusminderung durch diskriminierende Einstufung von Fachhochschul-absolventen im öffentlichen Dienstentschlossen zu beseitigen.
4. Im Einzelnen fordert der Wissenschaftsrat insbesondere die konsequente Einführung von gestuften Studienangeboten und deren verpflichtender Akkreditierung, die Beibebehaltung und Weiterentwicklung berufspraktischer Phasen im Studium, die Vergrößerung des Angebots dualer Studiengänge, die verstärkte Internationalisierung bei Lehrenden und Studierenden, die Intensivierung der Aktivitäten in der wissenschaftlichen Weiterbildung sowie nachhaltige Bemühungen zur Qualitätssicherung in der Lehre. Er spricht sich für eine größere Durchlässigkeit vom Fachhochschul- zum Promotionsstudium aus, sieht allerdings keine Notwendigkeit für ein eigenständiges Promotionsrecht der Fachhochschulen. Mit Nachdruck empfiehlt der Wissenschaftsrat, Rahmenbedingungen und Strukturen für eine spürbare Verstärkung der Intensität der anwendungsorientierten Forschung und Entwicklung zu schaffen, u.a. durch die Anhebung der personellen und sächlichen Grundausstattung sowie durch Ausbildung leistungsfähiger institutioneller Strukturen. Entscheidende Bedeutung misst er der Anpassung der Personalstruktur an die sich wandelnden Anforderungen bei, insbesondere einer Erhöhung der Attraktivität der Fachhochschulprofessur durch konkurrenzfähige Besoldung, angemessene Gestaltung der äußeren Rahmenbedingungen sowie Senkung und Flexibilisierung der Lehrverpflichtung. Die vermehrte Beschäftigung wissenschaftlicher Mitarbeiter für anwendungsoriente Forschung und Entwicklung hält er ebenso für erforderlich wie die spürbare Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Service-Einrichtungen durch gezielte Aufstockung und Weiterqualifizierung des Personals.
5. In Bezug auf die strukturelle Ausgestaltung des Fachhochschulbereichs befürwortet der Wissenschaftsrat eindeutig den Ausbau und die Erhöhung der Leistungs-fähigkeit bestehender Einrichtungen und eine Beendigung der Phase der Neugründungen.
6. Für die substantielle Erweiterung des Fächerspektrums empfiehlt er einerseits die Entwicklung berufsorientierter, bevorzugt interdisziplinär ausgerichteter Studiengänge in Wissensgebieten, die bisher ausschließlich an Universitäten gelehrt wurden, und andererseits die Einrichtung von Studiengängen in Bereichen, für die bislang in Deutschland noch keine akademische Ausbildung existierte, aber die zunehmende Komplexität der beruflichen Anforderungen einen wachsenden Bedarf an wissenschaftsbasierter Ausbildung erwarten läßt.
7. Die Zielsetzungen und die konkreten Aussagen dieser Empfehlungen des Wissenschaftsrats werden von den in der HRK vertretenen Fachhochschulen einhellig begrüßt und als wegweisende Leitlinien für die künftige Entwicklung angesehen. Dem darin den Fachhochschulen zugeordneten Hochschulprofil werden sowohl im nationalen Bildungssystem wie auf dem internationalen Bildungsmarkt auf lange Sicht eine große Nachfrage und hervorragende Entwicklungsperspektiven beigemessen. Die Fachhochschulen befürworten daher nachdrücklich eine zügige Umsetzung dieser Empfehlungen auf breiter Front.
II. Widersprüche und Gefahren
8. Bei der Umsetzung dieser Empfehlungen sind von den Entscheidungsträgern in der Politik die hierzu erforderlichen ordnungs- und finanzpolitischen Rahmenbedingungen zu schaffen. Es ist davon auszugehen, dass dies vor dem Hintergrund formierter Interessenstrukturen und knapper finanzieller Spielräume erheblicher Kraftanstrengungen und Auseinandersetzungen bedarf. Mit großer Besorgnis wird daher festgestellt, dass der Wissenschaftsrat bei der Grundsatzfrage nach den Konsequenzen einer zunehmenden individuellen Profilierung der Hochschulen im Wettbewerb unter Beibehaltung der institutionellen Differenzierung des Hochschulsystems in seinen Aussagen zu undeutlich bleibt. Es steht deshalb zu befürchten, dass wegen der damit verbundenen Widersprüchlichkeiten die notwendigen Entscheidungen unterbleiben und die Ziele nicht erreicht werden können.
9. Der entscheidende Widerspruch liegt nach Auffassung der Fachhochschulen im Festhalten am differenzierten Hochschulsystem mit der Forderung nach hochschulartenspezifischer Profilierung von Universitäten und Fachhochschulen auf der einen Seite sowie der faktischen Auflösung dieses Modells insbesondere bei den Studienangeboten im Zuge der stärkeren Orientierung des gesamten Hochschulsystems auf den Wettbewerb zwischen einzelnen, individuell agierenden Hochschulen.
10. Begonnen hat diese Entwicklung mit der "Öffnungsklausel" für gestufte Studienabschlüsse an Universitäten im "Konzept zur Entwicklung der Hochschulen in Deutschland" (Beschluss des 167. Plenums der HRK vom 6.7.1992). Darin heißt es: "In geeigneten Studiengängen könnte die Strukturreform der Studieninhalte auch zur Einführung gestufter Abschlüsse innerhalb der Regelstudienzeit genutzt werden. ... Dem Grundsatz der Diversifikation entsprechend darf die Reform des Universitätsstudiums aber nicht zu einer Kopie von Fachhochschulstudiengängen führen."
11. Das Stadium der "Modellversuche" wurde spätestens 1997/1999 durch entsprechende Beschlüsse von HRK und KMK zur Möglichkeit, flächendeckend Bachelor- und Masterstudiengänge an beiden Hochschularten einzuführen, und deren Verankerung in der Neufassung des Hochschulrahmengesetzes von 1998 beendet. Damit stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen Universitäten und Fachhochschulen neu.
12. Die von der HRK 1997 formulierte Einschätzung, dass die im Einzelfall schon immer bestehenden Überlappungsbereiche zwischen den Hochschularten sich vergrößern und auch Auswirkungen auf die typenbildenden Merkmale der Hochschularten mit sich bringen werden ("Profilelemente von Universitäten und Fachhochschulen", 181. Plenum der HRK vom 24./25.2.1997), hat sich bestätigt.
13. Hinzu kommt, dass alle Hochschulen in dem sich verschärfenden nationalen und internationalen Wettbewerb gezwungen sind, ihr jeweils eigenes Profil "Marktforderungen" anzupassen, die in erster Linie auf genuine Profilelemente des Fachhochschulstudiums ausgerichtet sind.
14. Die ursprüngliche, dem bestehenden deutschen Hochschulsystem zugrunde liegende Aufgabenteilung zwischen Universitäten und Fachhochschulen ist damit jedenfalls in der Lehre faktisch weitgehend aufgehoben. Stattdessen sind Wettbewerbsorientiertheit, Flexibilität und Eigenverantwortung der Hochschulen bestimmend.
15. Die Fachhochschulen sehen sich damit der ernsten Gefahr ausgesetzt, dass einerseits bestehende Defizite nicht behoben werden und andererseits im Wettbewerb unter ungleichen Rahmenbedingungen Alleinstellungsmerkmale verloren gehen. Dadurch würde die Attraktivität und Akzeptanz dieses Hochschultyps nachhaltig beschädigt werden. Deshalb kommt dem Abbau wettbewerbsverzerrrender staatlicher Rahmenbedingungen und der Einräumung ausreichender Handlungsspielräume für die einzelnen Hochschulen entscheidende Bedeutung zu. Dies erfordert letztlich die Ablösung der institutionellen Profildefinition als vorrangiges Unterscheidungsprinzip der Hochschulen zugunsten der Einzelprofilierung der Hochschulen im Rahmen von zeitlich befristeten Zielvereinbarungen mit dem Träger der Hochschulen und fairen Qualitätssicherungsverfahren (Kranichsteiner Erklärung vom 23.10.2001).
III. Ausblick
16. Auch unter den neuen Rahmenbedingungen wollen die Fachhochschulen ihre Aufgaben weiterhin mit ihrem Markenzeichen, der praxisnahen Ausbildung und Forschung, und den sich daraus ergebenden Vorteilen für das Bildungswesen insgesamt (insbes. kurze Studienzeiten, hohe Akzeptanz der Absolventen am Arbeitsmarkt und vergleichsweise niedrige Abbrecherquoten) erfüllen.
17. Die Fachhochschulen erwarten allerdings, dass die Empfehlungen des Wissenschaftsrats entschlossen und zeitnah umgesetzt werden. Hierfür sind konkrete Maßnahmenkataloge zu erstellen.
18. Darüber hinaus halten es die Fachhochschulen angesichts der gegebenen Wettbewerbssituation für unabdingbar, bereits jetzt die Spielräume der einzelnen Hochschulen für eine Ausgestaltung ihres Profils - wie auch vom Wissenschaftsrat gefordert - substantiell zu erweitern.