Zur Problematik der Planung von Forschung


Entschließung des 188. Plenums vom 5. Juli 1999


1. Die Vorausschau auf Entwicklungslinien der Wissenschaft(en) ist unerlässlich für die laufend erforderliche und erfolgende Selbststeuerung des Systems der Hochschulforschung. Zwar lässt sich Fortschritt in der Forschung nicht planen, doch müssen innerhalb und außerhalb der Hochschulen ständig Entscheidungen vorbereitet und getroffen werden, um die künftige Struktur der Hochschulforschung dem Fortschritt der Wissenschaft anzupassen und den neuen Bedürfnissen des Gemeinwesens gerecht zu werden.


In diesem Zusammenhang hat die HRK in der Plenarentschließung "Zur Forschung in den Hochschulen" vom Juli 1993 festgestellt: "Die Hochschulen als Institutionen dürfen künftig nicht nur als Forschungsträger angesehen werden und entsprechend agieren, sondern müssen sich selbst mehr als bisher auch als Forschungsförderungsorganisation verstehen. Transparenz der Leistungen, Bereitschaft zum Wettbewerb und zur transdisziplinären Zusammenarbeit sowie Sensibilität für die Bedürfnisse des Gemeinwesens müssen die Prioritätensetzung in der Hochschulforschung bestimmen ..."


Die in Entwicklungsplänen der Hochschulen auf Zeit festgelegten und institutionell verantworteten profilbildenden Prioritätensetzungen in der Forschung beinhalten nahezu alle Aspekte des Hochschulmanagements, vom Fachbereichszuschnitt, über Gründung oder Auflösung von Forschungseinheiten, über Erteilung eines Rufes bis zur befristeten Zuteilung von Mitteln. In den Hochschulen selbst sind Ziele oder Zwischenziele und Maßnahmen zu definieren, Bilanzierungen und Evaluationen vorzunehmen, Ziele ggf. zu revidieren und Entscheidungsprozesse ergebnisoffen zu gestalten.


2. Die laufende Überprüfung der Forschungsorganisation vollzieht sich im Hinblick auf bestehende, sich verändernde Forschungsschwerpunkte (Kompetenzzentren) unter Berücksichtigung der institutionellen, regionalen, nationalen, europäischen oder globalen Bezugsfelder. Diese können vielfach ineinander greifen. Forschungsschwerpunkte werden nicht nur zu verschiedenen Zeitpunkten und in verschiedenen organisatorischen Strukturen, sondern auch auf unterschiedliche Zeithorizonte angelegt. Zwar sind übergeordnete Entwicklungslinien der Wissenschaften für Experten grob erkennbar, doch die konkrete Planung in den Hochschulen erfolgt immer in Bezug auf die konkreten institutionellen Gegebenheiten. Daher sind jeweils auch verschiedene Wege möglich und im Wettbewerb untereinander meist auch nötig, um gleiche oder verwandte Ziele zu erreichen.


3. Vorausschau ("Prospektion der Forschung") kann somit angesichts der je unterschiedlichen Verantwortung der Hochschulen, der Länder und des Bundes in Deutschland systembedingt nicht zentralisiert und institutionalisiert betrieben werden. Sie stellt auch kein Planungsinstrument eigener Art dar. Vielmehr kommt es mit Blick auf die sinnvolle Nutzung der begrenzten Ressourcen darauf an, Finanzierungs- und Organisationsmaßnahmen immer wieder hinsichtlich Aufwand und Ertrag zu prüfen. Wie bei Forschungsanträgen und Forschungsergebnissen selbstverständlich, muss auch die Forschungsorganisation evaluiert werden, um daraus konkrete Maßnahmen zur Optimierung planerischer Entscheidungen zu gewinnen. Wesentlich hierfür ist der ständige Dialog zwischen den Entscheidungsträgern, die jeweils für ihren Bereich die konkrete und persönlich zurechenbare Entscheidung treffen (müssen).


Der dialogische Prozess der Forschungsplanung ist im dezentralen System der Bundesrepublik Deutschland gut entwickelt, wenn auch eher informell und noch zu wenig transparent. Deshalb erscheint die Informationslage für weitreichende Entscheidungen auf Landes-, Bundes- und europäischer Ebene häufig nicht ausreichend.


4. Die HRK empfiehlt daher auch eine Stärkung der Forschung über Arbeits- und Wirkweisen von Wissenschaft. Diese sollte unter anderem

  • statistisches Material, sowohl zu Entwicklungslinien in einzelnen Disziplinen als auch über die Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten für die einzelnen Wissenschaftsgebiete bereitstellen,
  • mögliche Synergieeffekte im Wettbewerb herausarbeiten,
  • Ergebnisse von Evaluationsmaßnahmen verfügbar machen sowie
  • Kriterien für Beurteilung von Forschung und Forschungsorganisation entwickeln.

Eine solche Wissenschaftsforschung darf dabei nicht Gefahr laufen, Parteigänger von Interessengruppen zu werden. Auch wenn Wissenschaftsforschung metawissenschaftlich ausgerichtet ist, bleibt sie doch Teil des Wissenschaftsbetriebs und folgt den üblichen Regeln der Wissenschaftlichkeit. Insofern ist die Wissenschaftsforschung selbst Gegenstand von Evaluierung und entsprechenden Folgemaßnahmen.


5. Förderlich für Zwecke der Forschungsplanung insbesondere im anwendungsnahen Bereich erscheinen Delphi-Studien, die aufgrund einer detaillierten Stärken-Schwächen-Analyse Verbesserungsvorschläge für eine definierte Region und jeweils eingeschränkt auf bestimmte (vor allem anwendungsbezogene) Fächer machen oder zu entwickeln erlauben. Solche Studien sollten begleitet werden von regionalen Gesprächskreisen Hochschule-Wirtschaft-Politik [2].


Solche hochschulspezifischen Gesprächskreise sollten ergänzt werden um überregionale thematisch begrenzte, mit international anerkannten Experten besetzte und auf Zeit eingerichtete Gesprächskreise zu Entwicklungslinien innerhalb der Grundlagenforschung. Solche Gesprächskreise könnten bei der DFG und/oder wissenschaftsnahen Stiftungen eingerichtet werden.


Die Vorausschau auf Entwicklungslinien der Wissenschaften kann besonders gut aus kooperativen Organisationsformen gelingen, wie sie von der DFG etwa durch Graduiertenkollegs oder Sonderforschungsbereiche gefördert werden, denn darin

  • arbeiten Experten verschiedener Disziplinen und/oder Teildisziplinen interdisziplinär zusammen,
  • wirken Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchsissenschaftler mit, die größtenteils von anderen Hochschulen und aus unterschiedlichen Studiengängen kommen und neue Fragen stellen,
  • sind externe Evaluation und interne Standortbestimmung üblich,
  • sehen auch Unternehmen einen hinreichend großen und attraktiven Dialogpartner.

6. Unstrittig haben in Deutschland der Bund und die Länder sowie die Europäische Union die Kompetenz, Forschung insbesondere im Bereich der "Vorsorgeforschung" und der Forschungsträgerorganisationen als Bestandteil öffentlicher Infrastruktur zu planen. Dies gilt besonders im Hinblick auf Forschungsschwerpunkte, die für den Bund, die Länder oder die EU politisch von Bedeutung sind. Allerdings darf eine solche Forschungsplanung, die auf Themenfelder bezogen ist, sich nicht und schon gar nicht flächendeckend auf die Grundlagenforschung und die Forschung in den Hochschulen erstrecken. Die Hochschulen bilden die Basis der Forschung auch für außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und Wirtschaft, denn sie vereinigen in sich Forschung und Lehre und bilden den wissenschaftlichen Nachwuchs für alle Bereiche der Forschung aus.


7. Bei Forschungsplanung und Prospektion der Forschung müssen Aufwand und Ertrag in sinnvollem Verhältnis stehen. Vor allem aber müssen Freiräume in Forschung, Forschungsorganisation und Forschungsförderung erhalten oder geschaffen werden, damit die für Wissenschaft als "Erwartung des Unerwarteten" unerlässliche Freiheit gesichert bleibt.


Diese Freiheit muss auch durch die Forschungsförderung gewahrt und finanziell gesichert werden.


Anmerkungen


Vgl. Dokumente zur Hochschulreform, 85/1993, Bonn, S. 41f.
Vgl. 1. c., S. 43.