Zur Rolle der Absolventenvereinigungen


Stellungnahme des 183. Plenums vom 10. November 1997

Zur Rolle der Absolventenvereinigungen


Im Jahr 1995 haben rund 230.000 Absolventinnen und Absolventen, darunter rund 22.400 Promovierte, nach erfolgreichem Abschluß ihrer Studien die Hochschulen in Deutschland verlassen. Sie gehen auf einen zunehmend global bestimmten Arbeitsmarkt. Ihr Erfolg auf diesem Arbeitsmarkt ist auch ein Erfolgskriterium für die Leistung der Hochschulen. Die Hochschulen nehmen jedoch - von Ausnahmen abgesehen - nur wenig Kenntnis von dem beruflichen Werdegang ihrer ehemaligen Studierenden.

Während private Hochschulen im In- und Ausland schon lange ihre Absolventinnen und Absolventen betreuen, beginnen die staatlichen Hochschulen in Deutschland erst seit relativ kurzer Zeit, sich um ihre ehemaligen Studierenden zu kümmern. Vor diesem Hintergrund erwächst nur langsam eine Verbundenheit von Absolventen/innen und Hochschule.

Dieser Prozeß soll mit der nachfolgenden Empfehlung unterstützt werden

I.

Damit Absolventinnen und Absolventen den Kontakt zu ihrer Hochschule pflegen und für die bzw. in der Hochschule tätig werden, muß bereits im Studium die Grundlage für ein Engagement der Studierenden und späteren Absolventen gelegt werden. Wichtigste Vorausssetzung ist dabei die Identifikation mit der Hochschule, und zwar nicht nur durch die Studierenden, sondern durch alle der Hochschule zugehörigen Personengruppen (Bildung einer "Corporate Identity").

Auf Seiten der Hochschulen ist jedoch festzustellen, daß identifikationsstiftende Angebote bis auf wenige Ausnahmen fehlen. Dies ist bedingt durch ein staatlich finanziertes Hochschulsystem, das im Bereich von Studium und Lehre weitgehend nicht wettbewerbsorientiert war und in dem die Leistungsfähigkeit der Professorinnen und Professoren primär an ihrer Forschungstätigkeit gemessen wurde, und wird verstärkt durch ein staatlich vorgegebenes Zulassungsverfahren, das die Profilbildung der Hochschulen erschwert und zu Anonymität zwischen Studienanfängern und Hochschullehrern führt.

Die Anonymität setzt sich während des Studiums an einer "Massenhochschule" fort und wird auch nicht am Studienschluß aufgehoben, wenn bei Examina die Mitwirkung der Hochschullehrer/innen ausgeschlossen bzw. begrenzt ist (Multiple Choice bzw. extern gesteuerte Prüfungen) oder wenn Zeugnisse und Diplomurkunden durch Postzustellung statt persönlich in Studienabschlußfeiern übergeben werden.

Auch auf Seiten der Absolventinnen und Absolventen ist die Bereitschaft, sich für "ihre" Hochschule zu engagieren, nicht sehr stark ausgeprägt. Neben dem Fehlen von identifikationsstiftenden Angeboten der Hochschule ist Hauptursache hierfür die Verlagerung des Lebensmittelpunkts der Studierenden von der Hochschule in die Familie, an den Arbeitsplatz o.ä. (vgl. Sozialerhebungen des Deutschen Studentenwerks).

Die Anzahl der Studierenden, die neben dem Studium jobben, hat sich in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt; extensiv erwerbstätige Teilzeitstudierende machen mehr als ein Fünftel der Studierendenschaft aus. Zudem wird Erwerbstätigkeit von Studierenden immer mehr aus den Hochschulen herausgedrängt, z.B. durch Abschaffung der Rentenversicherungsfreiheit für Studierende.

Ein Studium, das nicht mehr vorrangig die Organisation des Alltags bestimmt, kann aber nur begrenzt zu einer Identifikation mit der Hochschule führen. Indiz dafür ist z.B. die geringe Beteiligung der Studierenden an den Wahlen zu den Hochschulgremien. Mit der "Gruppenuniversität" ist somit zwar ein Modell von Partizipation und Einflußnahme konzipiert worden, nicht aber ein Modell der Identifikation ihrer Mitglieder entstanden.

Nicht unbedeutend ist auch das Vorbild jener Professorinnen und Professoren, deren Engagement für den individuellen Erfolg in der Forschung in oder außerhalb der Hochschule oder in der Nebentätigkeit dem Einsatz für die Lehre und die Gesamtinteressen der Hochschule vorgeht.

II.

Die Identifikation des Einzelnen mit seiner Hochschule kann nur erhöht werden, wenn sich Hochschulen wieder mehr als Verantwortungsgemeinschaften begreifen. Hochschulen sind nicht primär Dienstleistungsunternehmen und die Studierenden nicht primär Kunden. Die Hochschule ist vielmehr eine Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden und muß als Lebensraum verstanden werden, den zu gestalten vorrangig ihre Mitglieder als eigene Aufgabe erkennen und wahrnehmen.

Die Hochschulen müssen sich daher wieder mehr um ihre Studierenden - und damit auch um ihre Absolventinnen und Absolventen - kümmern. Dieser Anspruch kann letztlich nur durch das Engagement der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer - unterstützt durch die Hochschul- und Fachbereichsleitungen - verwirklicht werden.

Vor diesem Hintergrund muß auch der Berufserfolg der Absolventinnen und Absolventen zu einer Kenngröße werden, die nicht ohne negative Folgen für das Image der Hochschule vernachlässigt werden kann. Die Hochschulen sind für die spätere berufliche Karriere ihrer Studierenden mitverantwortlich. Sie haben den gesetzlichen Auftrag, "entsprechend ihrer Aufgabenstellung der Pflege und der Entwicklung der Wissenschaften und der Künste durch Forschung, Lehre und Studium (zu dienen). Sie bereiten auf berufliche Tätigkeiten vor, die die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und wissenschaftlicher Methoden oder die Fähigkeit künstlerischer Gestaltung erfordern." (§ 2 Abs. 1 HRG) Dieser Aspekt erhält im Hinblick auf den nicht mehr regionalen und nationalen, sondern europäischen und internationalen Arbeitsmarkt wachsende Bedeutung.

Angesichts der akuten Probleme der Berufseinmündung von Hochschulabsolventinnen und -absolventen müssen Ausbildungssysteme und Arbeitsmärkte mehr denn je aufeinander abgestimmt werden. Absolventinnen und Absolventen als Kommunikationspartner der Hochschulen können unmittelbare Impulse aus der Praxis zur Verbesserung der Hochschulleistungen geben. Die staatlichen Hochschulen in Deutschland müssen sich deshalb vermehrt die Frage stellen, mit welchen Zielen und auf welchen Wegen sie den Kontakt zu ihren Absolventinnen und Absolventen aufrechterhalten bzw. verbessern können.

III.

Zur Intensivierung des Kontakts zwischen den Hochschulen und ihren Absolventinnen und Absolventen empfiehlt die HRK die Gründung von Absolventenvereinigungen an jeder Hochschule und die Unterstützung ihrer Tätigkeit durch die Hochschule. Absolventenvereinigungen sollten selbstverständlich auch eine enge Verbindung zu ehemaligen ausländischen Studierenden pflegen.

1. Absolventenvereinigungen dienen als Netzwerke während des Studiums und nach dem Studium sowohl für die Hochschulen als auch für die Studierenden und Absolventen. Sie können insbesondere die folgenden Aufgaben wahrnehmen:

a. Intensivierung der Verzahnung von Ausbildung und Praxis;
b. Mitwirkung bei der zukunftsorientierten Außendarstellung der Hochschule;
c. finanzielle Unterstützung der Hochschule bei besonderen Projekten.

Zu a.
Absolventenvereinigungen können inbesondere bei der Orientierung von Studienbewerbern und Studienanfängerinnen und -anfängern, bei der Vermittlung von Berufspraktika und Bewerbertrainings sowie bei der Herausgabe von Absolventenhandbüchern/-katalogen mitwirken. Für die Studierenden und Absolventen werden auf diese Weise beruflich Wege geöffnet und Veränderungen ermöglicht sowie Hilfestellungen beim Berufseinstieg gegeben. Darüber hinaus können Existenzgründer und Existenzgründungen, an denen Ehemalige der Hochschule mitwirken, begleitet bzw. gefördert werden. Dazu tragen u.a. Existenzgründungsseminare, gemeinsame Veranstaltungen zum Erfahrungs- und Know How-Austausch sowie die Erschließung von Personal über das Ehemaligennetz bei.

Aufgrund ihrer Erfahrungen in der Berufspraxis können Absolventinnen und Absolventen Rückkopplungseffekte auf Hochschulausbildung und -forschung bewirken und insoweit einen Beitrag zur Studien- und Hochschulreform leisten. Hochschulabsolventen/innen sollten deshalb verstärkt auch an der Evaluation der Lehre mitwirken.

Ehemalige sollten auch als Ansprechpartner bzw. Kontaktstelle für die wissenschaftliche Weiterbildung gewonnen werden. Sie können als Partner der Hochschulen bei der Bedarfsermittlung sowie als Träger bzw. Vermittler von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen tätig sein. Darüber hinaus sind sie Teilnehmer an Fort- und Weiterbildungsangeboten, wenn diese für Absolventen der Hochschule oder für Unternehmen, in denen Ehemalige an führender Position beschäftigt sind, veranstaltet werden.

Zu b.
Hochschulabsolventen sind wichtige Meinungsträger der Gesellschaft. Ihr beruflicher Erfolg ist zudem Ausweis einer guten Ausbildung in der Hochschule. Absolventenvereinigungen sind ein Instrument, mit dem Informationen über den beruflichen Erfolg von ehemaligen Studierenden gewonnen und für die Außendarstellung der Hochschule verwendet werden können. Dies bezieht sich auf ein erstes berufsqualifizierendes Studium und die Weiterbildung, insbesondere die Promotion, sowie auf den Anteil der qualifiziert ausgebildeten ausländischen Studierenden und Nachwuchswissenschaftler.

Es gilt für die Hochschulen, derartige Kenngrößen im wachsenden Wettbewerb um staatliche Finanzmittel, aber auch im Wettbewerb um leistungsstarke Studenten sowie um die Plazierung der Absolventen auf dem europäischen und globalen Arbeitsmarkt stärker als bisher zu nutzen.

Zu c.
Schwerpunktmäßig geht es um die Einwerbung von Spenden, durch die ansonsten nicht finanzierbare Lehr- und Forschungsprojekte, Baumaßnahmen oder Sachausstattungen der Hochschule realisiert werden können.

2. Um diese Aufgaben zu erfüllen, kann die Verbindung zu den Absolventinnen und Absolventen - wie es bereits vereinzelt geschieht - gepflegt werden über:

  • die Herausgabe von Informationsblättern (Rundbriefen) mit Hinweisen auf Veränderungen im persönlichen und beruflichen Bereich, erhaltene Auszeichnungen/Ehrungen, besondere Ereignisse im Hochschulbereich, gegliedert nach Fachbereichen/Fakultäten und Absolventenjahrgängen;

  • die Durchführung regelmäßiger Fragebogenaktionen zu Themen, die die Hochschule/den Fachbereich/die Fakultät betreffen;

  • die Ausgabe von Adressenverzeichnissen der Absolventen ("Ehemaligen-Datei") mit Angabe ihrer beruflichen Tätigkeit, einschließlich Updates, in gedruckter und/oder elektronischer Form (Internet);

  • die Entwicklung einer Tradition von Absolventenveranstaltungen und -aktivitäten, u.a.

  • gesellschaftliche Veranstaltungen, die vorzugsweise am Hochschulort durchgeführt werden (z.B. Absolventen-/Jubiläumsball, Stammtisch, Regionaltreffen, Home Coming Day, Dies Academicus), wozu auch die jährlichen Studienabschlußfeiern zählen sollten,

  • (Studien-)Reisen für Absolventinnen und Absolventen,

  • als besondere Veranstaltungen für und von Absolventen akademische Veranstaltungsreihen, d.h. Vorträge, Workshops, Vorlesungen u.ä., insbesondere auf den Gebieten der Weiterbildung und der angewandten Forschung.

Um das Zusammengehörigkeitsgefühl und den Gedankenaustausch zu stärken, ist die Teilnahme einer hinreichend großen Anzahl von Hochschullehrerinnen und -lehrern an derartigen Veranstaltungen erforderlich.

3. Die Leistungen der Absolventenvereinigungen sollten auf Selbstkostenbasis erbracht werden, wobei die Anlaufkosten von der Hochschule zu tragen sind.

4. Als Träger von Absolventenvereinigungen kommen in Betracht:- die Hochschule- einzelne Fakultäten/Fachbereiche- der Freundes- bzw. Förderkreis der Hochschule- ein (gemeinnütziger) Trägerverein- eine (gemeinnützige) GmbH.


IV.

Durch ein gezieltes Angebot können die Hochschulen die Identifikation der Studierenden mit "ihrer" Hochschule stärken. In erster Linie ist hier eine qualitativ hervorragende und effiziente Ausbildung als Leistungsangebot der Hochschule zu nennen. Hinzukommen muß die Möglichkeit einer umfangreichen Mitgestaltung des Hochschullebens durch die Studierenden. Verstärkte Kommunikation zwischen Studierenden und Lehrenden, aber auch unter den Studierenden ist notwendig. Erstsemesterbegrüßungs- und Studienabschlußveranstaltungen helfen, die Anonymität zwischen Studierenden und Lehrenden aufzuheben. Darüber hinaus können die Möglichkeiten von Hochschulsport-/-theatergruppen u.ä. zur Identitätsstiftung genutzt werden.

Eine weitere "Vorleistung" der Hochschulen stellt die Intensivierung der hochschulinternen Beratung für den beruflichen Einstieg nach dem Studium dar. Hierzu können die Hochschulen - wie schon in manchen geschehen - sog. Career-Services schaffen oder weiter ausbauen. Deren Aufgaben umfassen insbesondere die Institutionalisierung berufsbezogener Studien- und Karriereberatung an den Hochschulen sowie die Unterstützung der Studierenden beim Erwerb von berufspraktischen Erfahrungen und Schlüsselqualifikationen.

Zu den "Career-Services" gehören z.B.

  • Online-Absolventenbücher im Internet

Hierbei können die Absolventen einer Hochschule eine kostenlose, speziell entwickelte Absolventenbuch-Software erhalten, die den Eintrag in das Online-Absolventenbuch mit einer "allgemeinen Bewerbung" erlaubt. Zusätzlich ermöglicht dieselbe Software den Absolventen, Direktbewerbungen mit persönlichen Anschreiben an die an das Careernet-System angeschlossenen Partner-Unternehmen zu richten. Die Unternehmen können über das Internet in Bewerber- oder Examenskandidatenlisten bzw. in dem Absolventenbuch nach geeigneten Kandidaten suchen und diese bei Interesse direkt kontaktieren.

  • Placement Center

Sie dienen als Schnittstelle zwischen Studierenden und ihren zukünftigen Arbeitgebern und vermitteln Praktika, Diplomarbeiten sowie den Berufseinstieg. In speziellen, ggf. entgeltpflichtigen Veranstaltungen werden Studierende auf über die fachliche Qualifikation hinausgehende Anforderungen des Arbeitsmarkts vorbereitet (z.B. Persönlichkeits- oder Bewerbertrainings). Darüber hinaus werden regelmäßige "Recruiting-Termine" angeboten, an denen Unternehmensvertreter (z.B. von internationalen Großbanken, Unternehmungsberatungen, Industrie- und Medienunternehmen) Examenskandidaten der Hochschule über die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten in ihren Unternehmen informieren. Nach einer allgemeinen Unternehmensdarstellung schließen sich i.d.R. ausführliche Einzelgespräche zwischen Examenskandidaten und Personalexperten an.

  • Praktikanten- und Absolventenkontaktstellen

Die Aufgabe nimmt eine in der Hochschule eingerichtete Stelle wahr, die Kontakte mit Lehrstühlen und Studierenden einerseits und mit Unternehmen andererseits unterhält, um entsprechend den jeweiligen Bedarfs- und Nachfrageprofilen Studierende/Absolventen zu Praktika in in- oder ausländische Unternehmen zu vermitteln. Der Kontakt auf der Unternehmensseite erfolgt über Geschäftsführung/Vorstand oder über die Personalabteilung (Leiter der Personalabteilung bzw. die für Praktikanten/Absolventen zuständigen Personalentwickler).

Derartige Kontakte zwischen Unternehmen und Hochschulen sollten von der Hochschulleitung unterstützt oder - soweit noch nicht vorhanden - angebahnt werden. Hiervon zu trennen sind Angelegenheiten der Forschung, bei denen die hochschulinterne Technologietransferstelle eine Vermittlung zwischen Lehrstühlen bzw. Wissenschaftlern der Universität einerseits und Unternehmen andererseits vornimmt. Auch in diesem Bereich sind jedoch Arbeiten von Praktikanten und Diplomanden sowie Dissertationen vermittelbar.

Es empfiehlt sich, entsprechende "Career-Services" in und an den Hochschulen mit der Zentralen Studienberatung, den Studentensekretariaten, dem Studentenwerk, dem Akademischen Auslandsamt, dem Prüfungsamt und der Abteilung für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit organisatorisch zusammenzuführen, um kurze Wege der Zusammenarbeit, eine intensivere Betreuung der Studierenden und Absolventen sowie ein einheitliches Erscheinungsbild der Hochschule in der Öffentlichkeit zu gewährleisten.