Stellungnahme des 82. Senats vom 7. Oktober 1997
Zur Strukturreform der individuellen Ausbildungsförderung (BAföG)
I. Ausgangslage
II. Reformziele und Finanzierungsmöglichkeiten
III. Beurteilung der Reformmodelle
IV. Veränderungsbedarf nach der 18. BAföG-Novelle
V. Studierende mit Kind(ern)
VI. Zusammenfassung und Ausblick
Die Regierungschefs von Bund und Ländern haben am 3. Juli 1997 die Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Reform der Ausbildungsförderung" im Zusammenwirken mit den Finanz- und Justizministern beauftragt, bis Dezember d. J. ein entscheidungsreifes Modell für eine Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) zu erarbeiten. Grundlage der Beratungen sollen das sogenannte Bayern-Modell und das sogenannte fortentwickelte Drei-Körbe-Modell sein.
Bisher wurden die Reformmodelle im wesentlichen unter rechtlichen Aspekten diskutiert. Dies war und ist wenig zielführend, da ausgiebige rechtliche Prüfungen ergeben haben, daß die Modelle verfassungsrechtlich unbedenklich sind. Allerdings sind BGB-Unterhaltsrecht und Einkommenssteuergesetz zu modifizieren und mit dem Recht der Ausbildungsförderung abzustimmen.
Was fehlt, ist eine eindeutige politische Entscheidung. Sowohl im Interesse der Studierenden als auch im Interesse des Wissenschafts- und Wirtschaftsstandorts Deutschland muß ein weiteres "Ausbluten" des BAföG verhindert werden. Die HRK fordert Bund und Länder deshalb auf, schnell die politische Entscheidung für die BAföG-Reform zu treffen.
Die HRK betont, daß mit dem BAföG über die individuelle Ausbildungsförderung hinaus ein gesellschaftlicher Beitrag zur Zukunftssicherung für die Bundesrepublik Deutschland geleistet wird. Bildungsausgaben sind Zukunftsinvestitionen. Sie sind im Rahmen des bestehenden Generationenvertrags jedenfalls zum Teil von den jetzt Erwerbstätigen aufzubringen und dürfen nicht zu einer unzumutbaren Belastung der Studierenden führen.
Deshalb müssen Bildungsausgaben steuerlich wie Investitionen betrachtet und Möglichkeiten zur steuerlichen Berücksichtigung bildungsbezogener Unterhaltsleistungen geschaffen werden (z.B. in Form des sogenannten Bildungssparens). Angesichts des zunehmenden Anteils kinderloser Erwachsener ist darauf hinzuwirken, daß diese zur Wahrnehmung ihrer Beteiligung am Generationenvertrag verstärkt an der Bildungs- und Studienfinanzierung beteiligt werden [1]. Diese Überlegungen sollten bei der anstehenden Reform des Steuerrechts berücksichtigt werden.
I. Ausgangslage
Das BAföG wurde vor über 25 Jahre geschaffen mit dem Ziel, Chancengleichheit zu realisieren und Studienbewerbern aus einkommensschwachen Familien ein Studium zu ermöglichen. Jede(r) Qualifizierte soll, ohne Rücksicht auf Herkommen und Einkommen der Eltern, ein Studium aufnehmen und insofern das Recht der freien Berufswahl nach Art. 12 GG ausüben können. Dieser Anspruch trat jedoch nach zahlreichen Novellierungen des BAföG immer stärker in den Hintergrund. Infolge der Nicht-Anpassung der BAföG-Bedarfsätze und -Freibeträge ist der Anteil geförderter Studierender an der Studierendenzahl (Gefördertenquote) sowie der Anteil voll geförderter Studierender an der Gesamtzahl der Geförderten stetig gesunken.
Die nach der Gesamtzahl der Studierenden bemessene Gefördertenquote ging von cirka 45 Prozent in 1972 auf alarmierende 15 Prozent in 1997 zurück. Auch die nach der Zahl der "dem Grunde nach BAföG-anspruchsberechtigten" Studierenden berechnete Gefördertenquote liegt bei nur 26,6 Prozent und ist seit 1977 um rund 20 Prozentpunkte gefallen [2]. Rückläufig ist auch der Umfang der Förderung: Dem Anstieg der Lebenshaltungskosten im Zeitraum 1971 bis 1994 um 132,1 Prozent steht eine Steigerung des BAföG-Bedarfssatzes um nur 89,3 Prozent gegenüber [3]. Die Stagnation der Einkommensfreibeträge hat immer mehr Familien, auch solche mit geringen Familieneinkommen, weitgehend oder vollständig aus der Ausbildungsförderung herausfallen lassen: Sie hat zu dem sogenannten Mittelstandsloch geführt.
Bei Familien aus unteren Einkommensschichten erfolgt eine Studienfinanzierung durch BAföG und eine geringe Entlastung der Eltern über die kindbezogenen steuerlichen Regelungen. Familien mit höheren und hohen Einkommen können, sofern sie höheren Steuersätzen unterliegen, in nennenswertem Umfang kindbezogene steuerliche Vorteile in Anspruch nehmen; bei Spitzenverdienern mit mehr als einem Kind können diese z.T. die Förderhöchstbeträge erreichen. Hingegen erhalten Familien und Studierende, die die Einkommensgrenzen des BAföG nur unwesentlich überschreiten, weder nach diesem noch in nennenswertem Umfang nach den kindbezogenen steuerlichen Regelungen Unterstützung.
Darüber hinaus ist ein "Förderungsloch auch bei bedürftigen Familien" entstanden: Die zu geringen Fördersätze und die wachsende Zahl von Teilförderungen haben dazu geführt, daß der Anteil des BAföG an der Studienfinanzierung von 25 Prozent im Jahr 1982 auf 13 Prozent im Jahr 1994 gesunken ist. Studierende aus unteren Einkommensschichten, die eine Förderung nach BAföG erhalten, sind deshalb in zunehmendem Maß auf zusätzliche Erwerbstätigkeit zur Sicherung ihres Lebensunterhalts angewiesen sind. Der Eigenerwerbsanteil der Studierenden stieg in den Jahren 1982 bis 1994 von 19 Prozent auf 28 Prozent, während der Finanzierungsanteil der Eltern konstant blieb.
Dies hat u.a. eine deutliche Verlängerung der Studienzeit zur Folge. Studieninteressierte aus einkommensschwachen Familien werden so vom Studium abgehalten. Nur rund 18 Prozent der Kinder aus einkommensschwachen Familien (bis 2.940 DM netto monatlich, alte Bundesländer) nehmen ein Studium auf; verfügen die Eltern aber über ein hohes Familieneinkommen (mindestens 5.461 DM netto monatlich), entscheiden sich 55 Prozent der Kinder für ein Hochschulstudium [4].
Allein im Jahr 1996 sank die Zahl der Geförderten nach BAföG um rund 46.000 Personen oder 7,4 Prozent. Bund und Länder haben 2,7 Milliarden DM für die Ausbildungsförderung aufgewendet, dies sind fünf Prozent weniger als im Vorjahr 1995 [5].
Insgesamt nahmen die Mittel für die Ausbildungsförderung nicht proportional zu der politisch gewollten Expansion des Hochschulbereichs zu. Zudem hat das Nebeneinander von Ausbildungsförderung, Kindergeld und steuerlichen Freibeträgen zu einer ungerechten Struktur der ausbildungsbezogenen Transferleistungen geführt.
II. Reformziele und Finanzierungsmöglichkeiten
Damit das BAföG seinen ursprünglichen sozialpolitischen Auftrag zukünftig wieder erfüllen kann, ist eine rasche und deutliche Trendwende nötig. Das vorrangige Ziel einer Reform der individuellen Ausbildungsförderung ist nach Auffassung der HRK die Förderung entsprechend der tatsächlichen Bedürftigkeit. Dies bedeutet gegenwärtig eine Erhöhung der Gefördertenquote. Auch Bund und Länder streben mit einer BAföG-Reform eine höhere Verteilungsgerechtigkeit in der Studienfinanzierung an, "und zwar nicht nur innerhalb der Geförderten, sondern unter allen Studierenden", so daß "unangemessene" Begünstigungen wie Benachteiligungen abgebaut und gerechte Ausbildungs- und Studienchancen gewährt werden." [6]
Bund und Länder haben sich darauf verständigt, dieses Ziel kostenneutral zu erreichen. Nach Auffassung der Länderfinanzminister bedeutet dies, den BAföG-Gesamtansatz des Jahres 1997 - also nach Verabschiedung der 18. BAföG-Novelle - in Höhe von 1,759 Milliarden DM als Basis für die Finanzierung der BAföG-Reform heranzuziehen. Nach Auffassung der Bundesregierung ist vom BAföG-Finanzvolumen im maßgeblichen Reformjahr auszugehen. Dies würde bedeuten, daß 1998 nur noch 1,475 Milliarden DM zur Verfügung stünden. Würde die Reform noch später realisiert, müßte mit den weiter reduzierten Ansätzen der mittelfristigen Finanzplanung gerechnet werden.
Die HRK sieht in dieser Diskussion um "Kostenneutralität" eine deutliche Einschränkung der finanziellen Handlungsmöglichkeiten für eine Reform der Ausbildungsförderung. Die HRK bekräftigt deshalb ihre Forderung, den Zeitpunkt vor Inkrafttreten der 18. BAföG-Novelle für die BAföG-Reform heranzuziehen, d.h. zumindest vom BAföG-Haushaltsansatz des Jahres 1995 in Höhe von 2,173 Milliarden DM auszugehen.
Dieses Finanzvolumen reicht jedoch nicht aus. Um zumindest für Studierende aus Elternhäusern des unteren Einkommensdrittels eine hinreichende Ausbildungsförderung zu garantieren, fordert die HRK, im Gesamthaushalt eine Umverteilung von Finanzmitteln zugunsten der Ausbildungsförderung vorzunehmen. Dies bedeutet, daß (a) die durch die Anknüpfung an BAföG-Kriterien beim (heutigen) Familienlastenausgleich freiwerdenden Finanzmittel sowie (b) die Rückflüsse aus gewährten BAföG-Darlehen uneingeschränkt für die Ausbildungsförderung zur Verfügung gestellt werden.
Zu (a). Sowohl das "Bayern-Modell" als auch das "Fortentwickelte Drei-Körbe-Modell" sehen vor, Studienstands- bzw. Leistungsnachweise für alle Studierenden, nicht nur für BAföG-Empfänger, einzuführen. Die HRK begrüßt diesen Ansatz, da solche Nachweise der Orientierung der Studierenden über ihren Leistungsstand sowie der Rechtfertigung gegenüber Staat und Gesellschaft über die zweckentsprechende Nutzung der dem tertiären Bereich zufließenden Finanzmittel dienen [7].
Die Beschränkung der Leistungen des (heutigen) Familienlastenausgleichs auf diejenigen Studierenden, die nachweislich ein ordnungsgemäßes Studium absolvieren, würde darüber hinaus zu einem Rückgang der Berechtigten um rund 190.000 führen. Dies entspricht einem Finanzvolumen von bis zu 594 Millionen DM für das Jahr 1997 [8]. Es ist sicherzustellen, daß diese Finanzmittel vollständig zur Refinanzierung des Ausbildungsförderungssystems genutzt werden.
Zu (b). Der BAföG-Gesamtaufwand des Bundes und der Länder wurde im Zeitraum 1980 bis 1994 um ein Drittel reduziert, u.a. als Folge der Darlehensrückflüsse, die aus der Umstellung von der anfänglich vollen Zuschußförderung auf die heute 50prozentige Darlehensförderung entstehen. Für Bund und Länder sind die Einnahmen aus Darlehensrückzahlungen von 1980 bis 1994 um das Siebzehnfache auf 770 Millionen DM gestiegen; der Netto-Finanzaufwand (Aufwand abzgüglich Darlehensrückflüsse) wurde damit um 35 Prozent gesenkt, trotz steigender Lebenshaltungskosten und wachsender Studierendenzahlen (allein 132.200 Studierende mehr aufgrund der Vereinigung der beiden deutschen Staaten).
BAföG-Darlehensrückflüsse müssen, nicht zuletzt im Hinblick auf den eingangs erwähnten Generationenvertrag, für die Ausbildung der nächsten Generationen Studierender eingesetzt werden. Diese Forderung gewinnt an Relevanz, wenn die im sogenannten fortentwickelten Drei-Körbe-Modell vorgesehene Erhöhung des Darlehensanteils auf 75 Prozent realisiert werden sollte (s. auch unten, III, 2).
III. Beurteilung der Reformmodelle
1. Nach dem sogenannten Bayern-Modell soll die steuerliche Entlastung von Eltern mit studierenden Kindern durch ausbildungsbezogenes Kindergeld/Kinderfreibetrag und Ausbildungsfreibeträge beschränkt werden auf die Fälle, in denen sich die Studierenden in einem dem Grunde nach BAföG-förderungsfähigen Studium befinden. Damit werden die bisher für die Förderung nach dem BAföG erforderlichen Nachweise für ein ordnungsgemäßes Studium auf alle Studierenden ausgedehnt. Gleichzeitig bleibt die Struktur des BAföG grundsätzlich unverändert.
Bei Realisierung dieses Modells ist daher eine bedarfsangemessene Aufstockung sowohl der Elternfreibeträge als auch der Förderbeträge sicherzustellen, um die Funktion des BAföG als Gesetz zur Gewährleistung einer elternhaus- und einkommensunabhängigen Chancengleichheit zu erhalten.
2. Das "Fortentwickelte Drei-Körbe-Modell" besteht zunächst aus einer elternunabhängigen Sockelförderung (Ausbildungsgeld, Korb 1), die als Zuschuß an alle Studierenden gezahlt wird. Die Gewährung des Ausbildungsgelds ist an den Nachweis des ordnungsgemäßen Studiums geknüpft; zur Finanzierung entfallen Kindergeld/Kinderfreibetrag und Ausbildungsfreibeträge.
Die Sockelförderung soll einkommens- und elternabhängig um eine Aufbauförderung (Ausbildungshilfe, Korb 2) ergänzt werden, die zu 25 Prozent als Zuschuß und zu 75 Prozent als unverzinsliches Darlehen gewährt wird. Korb 3 sieht die Möglichkeit eines verzinslichen Darlehens im Anschluß an die Förderungshöchstdauer für einen Zeitraum von maximal zwei Semestern vor.
Das sogenannte Fortentwickelte Drei-Körbe-Modell zielt auf eine strukturelle Umgestaltung des BAföG. Bei seiner Ausgestaltung ist von Anfang an auf eine bedarfsgerechte Festlegung der drei Körbe, insbesondere von Korb 2, und der Elternfreibeträge zu achten. In dem Modell ist zudem eine Erhöhung des Darlehensanteils von 50 Prozent auf 75 Prozent vorgesehen. Die HRK hat bereits in früheren Stellungnahmen auf ihre Bedenken im Zusammenhang mit extensiven BAföG-Darlehensregelungen hingewiesen [9]. Sollte die Erhöhung des Darlehensanteils jedoch nicht vermieden werden können, muß die Rückzahlungspflicht mit von der Erzielung eines Mindesteinkommens abhängigen, großzügigen Rückzahlungsstundungen verbunden werden.
Für beide Modelle gilt darüber hinaus, daß Elternfreibeträge und Förderbeträge zukünftig wieder regelmäßig bedarfsgemäß neu festzusetzen sind.IV. Veränderungsbedarf nach der 18. BAföG-NovelleDas 18. BAföG-Änderungsgesetz vom Juli 1996 hat u.a. Einschränkungen der Förderungsmöglichkeiten in den Bereichen Förderungshöchstdauer, Auslandsstudium, Gremientätigkeit und Studienabschlußförderung vorgenommen. Die HRK fordert deshalb erneut [10]:
- in Wiederherstellung der vor Inkrafttreten des 18. BAföG-Änderungsgesetzes geltenden Regelungen bis zu zwei Auslandssemester nicht auf die Förderungsdauer anzurechnen;
- ebenfalls in Wiederherstellung der vor Inkrafttreten des 18. BAföG-Änderungsgesetzes geltenden Regelungen die Mitarbeit von Studierenden in Hochschulgremien in angemessener Höhe nicht auf die Förderungsdauer anzurechnen;
- aus Gründen des Vertrauensschutzes die Regelungen zur Umstellung auf ein Bankdarlehen bei Überschreiten der - verkürzten - Förderungshöchstdauer nur auf Studierende, die zum WS 1996/97 das 1. Fachsemester begonnen haben, anzuwenden;
- ebenfalls aus Gründen des Vertrauensschutzes angemessene Übergangsregelungen bei der Verzinsung der Studienabschlußförderung vorzusehen, da eine Überschreitung der Förderungshöchstdauer bei den gegebenen Rahmenbedingungen nicht grundsätzlich den Studierenden angelastet werden kann.
Die HRK fordert Bund und Länder auf, Bildungsinländer bei der individuellen Ausbildungsförderung im Regelfall wie deutsche Staatsangehörige zu behandeln, da diese Personengruppe auch bei der Hochschulzulassung deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt ist.
V. Studierende mit Kind(ern)
Zur finanziellen Absicherung von Studierenden mit Kind(ern) müssen angemessene Lösungen im BAföG entwickelt bzw. die vorhandenen Mischlösungen aus BAföG und Sozialhilfe verbessert werden. Die Tatsache, daß Erwerbstätigkeit neben dem Studium bei Studierenden mit Kind(ern) häufiger vorkommt als bei anderen Studierenden - nach der 14. DSW-Sozialerhebung steigt die Erwerbsquote bei studierenden Vätern auf 75 Prozent an - belegt eine nicht ausreichende Förderung Studierender mit Kind(ern) und erschwert damit diesem Personenkreis das Studium zusätzlich.
Bei Schwangerschaft sowie Pflege und Betreuung eines Kindes können Studierende, die nach BAföG gefördert werden, eine Überschreitung der Förderungshöchstdauer geltend machen; gemäß Bundessozialhilfegesetz (BSHG) erhalten sie zudem den sog. Mehrbedarfszuschlag als Hilfe zum nicht-ausbildungsgeprägten Lebensunterhalt. Sie haben jedoch generell keinen Anspruch auf Hilfe zum ausbildungsgeprägten Lebensunterhalt. Der Gesetzgeber schließt durch den § 26 S.1 BSHG grundsätzlich die Förderung einer Ausbildung durch Leistungen der Sozialhilfe aus, ohne Rücksicht darauf, ob tatsächlich Anspruch auf Förderung nach BAföG besteht oder nicht.
Diese Regelung führt i.V.m. der Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die die Anwendung der Ausnahmeklausel für besondere Härtefälle ausschließt, bei Studierenden mit Kind(ern), die sich nicht (mehr) vom Studium beurlauben lassen wollen oder können, zu finanziellen Notsituationen. Für die Pflege und Erziehung eines Kindes bis zu drei Jahren wird nach BAföG nur eine Überschreitung der Förderungshöchstdauer um ein Semester angerechnet (für das 4. und 5. Lebensjahr des Kindes hingegen je ein Semester); bei gleichzeitiger Betreuung von mehreren Kindern wird die Anrechnungsmöglichkeit nicht entsprechend erweitert.
Zumindest bei alleinerziehenden Studierenden entsteht somit nahezu zwangsläufig eine Überschreitung der verlängerten Förderungshöchstdauer. Ein Anspruch auf Sozialhilfe besteht aber auch nach Auslaufen des BAföG selbst in den Fällen nicht, in denen die Betroffenen keinen sonstigen Unterhalt bekommen und auch keine Arbeitsmöglichkeit bzw. -verpflichtung besteht.
Studierende mit Kind(ern) müssen wie alle Studierenden die Möglichkeit erhalten, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Deshalb sind für einen längeren Zeitraum angemessene Regelungen zu schaffen. Dem Konflikt "Studium oder Familie" kann durch eine den tatsächlichen Verhältnissen angemessene Verlängerung der Förderungshöchstdauer, insbesondere für die Erziehung eines Kindes bis zum dritten Lebensjahr und für die Betreuung mehrerer Kinder, vorgebeugt werden. Die HRK fordert deshalb, bei der Betreuung von Kindern bis zu fünf Jahren die Förderungshöchstdauer pro Kind und pro Lebensjahr des Kindes um ein Semester zu verlängern.
Die HRK betont, daß BAföG- und Sozialleistungen für Studierende mit Kind(ern) so gestaltet werden müssen, daß BAföG-Geförderte finanziell nicht schlechter gestellt sind als Sozialhilfeempfänger. Dies verlangt gegebenenfalls auch die Überprüfung der finanziellen Hilfen für Studierende mit Kind(ern) im Rahmen der allgemeinen Sozialgesetzgebung, z.B. eine an betroffenen Personengruppen orientierte Überprüfung des im § 26 BSHG festgeschriebenen Ausschlußprinzips.
VI. Zusammenfassung und Ausblick
Bei der individuellen Ausbildungsförderung besteht dringender Reformbedarf, da das BAföG seinem Anspruch, für einen Chancenausgleich zwischen Studierenden aus einkommensschwachen und -starken Familien zu sorgen, immer weniger gerecht wird.
Die HRK fordert deshalb:
- die Förderung entsprechend der tatsächlichen Bedürftigkeit zu gestalten, was gegenwärtig eine deutliche Erhöhung der Gefördertenquote erfordert;
- das Finanzvolumen der Reform unter Rückgriff auf den Haushaltsansatz des Jahres 1995 zu definieren;
- die fehlenden Finanzmittel durch eine Umverteilung im Gesamthaushalt des Bundes verfügbar zu machen, d.h. durch Verwendung der durch die Anknüpfung an BAföG-Kriterien beim Familienlastenausgleich freiwerdenden Finanzmittel sowie der Rückflüsse aus gewährten BAföG-Darlehen;
- die Regelungen der 18. BAföG-Novelle in den Bereichen Auslandsstudium, Gremientätigkeit, Förderungshöchstdauer und Studienabschlußförderung nachzubessern;
- Bildungsinländer wie deutsche Staatsbürger zu behandeln sowie
- bessere Förderbedingungen für Studierende mit Kind(ern) zu schaffen, insbesondere bei der Betreuung von Kindern bis zu fünf Jahren die Förderungshöchstdauer nach der Formel "ein Semester pro Lebensjahr und Kind" zu verlängern.
Der vorliegende Entwurf zu einer Novelle des Hochschulrahmengesetzes ermöglicht die Einrichtung von Bachelor- und Masterstudiengängen. Die HRK weist hiermit erneut darauf hin, daß Studienstrukturreform eine angemessene Studienfinanzierung erfordert. Es ist deshalb sicherzustellen, daß förderungsberechtigte Studierende in Masterstudiengängen, die auf erfolgreich absolvierten Bachelorstudiengängen aufbauen, Ausbildungsförderung nach BAföG erhalten.
Anmerkungen
[1] Vgl. Enschließung des 179. Plenums der HRK "Zur Finanzierung der Hochschulen" vom 9. Juli 1996, Dokumente zur Hochschulreform 110/1996.
[2] Angaben gem. BAföG-Berichten der Bundesregierung. Gefördertenquote nach der Standard-Methode: Verhältnis der Zahl der BAföG-geförderten Studierenden zu der Zahl aller Studierenden.Gefördertenquote nach der normativen Methode: Verhältnis der Zahl der BAföG-geförderten Studierenden zu der Zahl der Studierenden, die dem Grunde nach BAföG-anspruchsberechtigt sind. (Demnach fällt aus der Statistik heraus, wer z.B. über die Förderungshöchstdauer hinaus studiert oder ein Zweitstudium absolviert. Im Jahr 1994 waren nur 63,4 Prozent aller Studierenden dem Grunde nach BAföG-anspruchsberechtigt.)
[3] Vgl. Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (Hrsg.): Das soziale Bild der Studentschaft in der Bundesrepublik Deutschland, 14. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks, Bonn 1995.
[4] Alle Angaben vgl. 14. Sozialerhebung des DSW, s. Fußnote 3)
[5] Vgl. Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts, Nr. 253 vom 02.09.1997.
[6] Beschluß des Deutschen Bundestags zum 18. BAföGÄndG vom 27. Juni 1996, Drs.-Nr. 13/5116.
[7] Vgl. Entschließung des 174. Plenums der HRK "Zur Studienstrukturreform - Leistungsnachweise im Grundstudium" vom 7.11.1994.
[8] Nach Berechnungen der Bund-Länder-Fach-AG auf Basis des geltenden Steuerrechts.
[9] Vgl. Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses zum 18. BAföGÄndG am 8. Mai 1996; "Stellungnahme zu den geplanten Änderungen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes" vom 13. November 1995.
[10] Vgl. Plenarstellungnahme "Zur Situation der Studierenden nach Inkrafttreten der 18. BAföG-Novelle" vom 4.11.1996.