Entschließung des 203. Plenums der HRK vom 9.11.2004
Vorbemerkung
Die Mitgliedergruppe Fachhochschulen in der HRK hat im Juli 2003 eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der in der HRK organisierten allgemeinen Fachhochschulen und der in der Rektorenkonferenz der Fachhochschulen für den öffentlichen Dienst organisierten Fachhochschulen für öffentliche Verwaltung eingerichtet. Ihre Aufgabe bestand darin, zu klären, "ob der FH-Bereich durch eine Aufwertung der FHöD gestärkt werden solle oder ob eine klare Abgrenzung sinnvoll sei" und diesbezüglich "eine gemeinsame Linie zu erreichen". Die Arbeitsgruppe hat sich zusätzlich das Ziel gesetzt, unter Berücksichtigung der aktuellen hochschulpolitischen Entwicklungen die Möglichkeiten und Formen einer engeren Zusammenarbeit von allgemeinen Fachhochschulen und Fachhochschulen für den öffentlichen Dienst auszuloten.
1. Die Fachhochschulen für den öffentlichen Dienst
In den Ländern der BRD gibt es zurzeit 29 Fachhochschulen für den öffentlichen Dienst mit insgesamt ca. 40.000 Studierenden. Die von ihnen abgedeckten Qualifizierungen umfassen vor allem die Bereiche Allgemeine Verwaltung, Polizeivollzugsdienst, Justizvollzugsdienst, Rechtspflege, Sozialversicherung, Steuerverwaltung, allgemeine Finanzverwaltung, Archivdienst und Forstwirtschaft. Die Mehrzahl der FHöD ist monofachlich auf jeweils eine der genannten Qualifikationen ausgerichtet, an den anderen sind zwei oder mehr Ressortorientierungen in jeweils eigenen Fachbereichen zusammengeschlossen.
Für die Laufbahnen des gehobenen Dienstes der Bundesverwaltung bildet die Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung Studierende in neun Fachbereichen aus. Die Fachhochschule des Bundes hat relativ eigenständige Fachbereiche für die Allgemeine innere Verwaltung, die Arbeitsverwaltung (Auflösungsbeschluss im Mai 2004), Auswärtige Angelegenheiten, den Bundesgrenzschutz, die Bundeswehrverwaltung, Finanzen, Sozialversicherung, öffentliche Sicherheit und den Wetterdienst.
Die Verwaltungsfachhochschulen oder Fachhochschulen für den öffentlichen Dienst (FHöD) sind nur wenig jünger als die allgemeinen Fachhochschulen. Die ersten von ihnen haben 1973 in Baden-Württemberg und Berlin ihre Arbeit aufgenommen. Bis 1979 sind ihnen die anderen Bundesländer und der Bund gefolgt, und trotz anders lautender Empfehlungen des Wissenschaftsrates (WR) haben die neuen Bundesländer zu Beginn der 90er Jahre diese Entwicklung zunächst vervollständigt. Dass dieser Hochschultyp im Laufe der vergangenen drei Jahrzehnte eine eigene dauerhafte Identität entwickeln würde, war nicht so geplant. Vielmehr war ursprünglich beabsichtigt, die Etablierung eigener FHöD nur als Übergangsstadium zu verstehen, bis die rechtlichen und institutionellen Voraussetzungen dafür geschaffen wären, sie in den allgemeinen Hochschulbereich zu integrieren. Mittlerweile hat sich bei ihnen jedoch eine institutionelle Eigenständigkeit entwickelt, die zwar von Verwaltungsseite als Garant für die Praxisnähe der Ausbildung angesehen wird, die aber aus hochschulpolitischer Sicht immer wieder heftig kritisiert worden ist.
Die Kritik richtet sich grundsätzlich darauf, dass die den FHöD in § 73 Abs. 2 HRG eingeräumte Möglichkeit von Sonderregelungen zu weitgehend ausgenutzt wurde und wird. Die Forderungen der Kritiker und dabei besonders des Wissenschaftsrates beziehen sich im Einzelnen darauf, dass folgende Strukturelemente an den meisten FHöD ganz oder teilweise nicht gewährleistet sind: der Status der Hochschulen als rechtsfähige Körperschaften, die Hauptzuständigkeit der Wissenschaftsministerien, die Fächervielfalt (Verzicht auf monofachliche Ressortfachhochschulen), die Vermeidung unterkritischer Größen, der Professorenstatus der Lehrkräfte, obligatorische Diplomarbeiten, die Einführung gestufter und modularisierter Studiengänge (BA und MA), die Öffnung für externe Studienbewerber sowie die Möglichkeit, neue Studiengänge und Weiterbildungsmöglichkeiten anzubieten.
2. Differenzierung und Entwicklungen
In den vergangenen Jahren hat es vielfältige Entwicklungen von verwaltungsinternen Fachhochschulen zur qualitativen und strukturellen Weiterentwicklung gegeben. Die Bundesländer Brandenburg und Sachsen-Anhalt haben als erste eine wesentliche Forderung des Wissenschaftsrates umgesetzt, indem sie ihre Fachbereiche Allgemeine Verwaltung schlossen und die entsprechenden Studiengänge als externe, also nicht mehr beamtete Studiengänge an eine bestehende allgemeine Fachhochschule verlagerten. Allerdings wurden die verbleibenden Fachbereiche Polizeivollzugsdienst in neu gegründete Polizeifachhochschulen übergeleitet.
Im Unterschied dazu hat Berlin die dortige FHVR insgesamt in den Zuständigkeitsbereich der Wissenschaftsverwaltung eingegliedert und ihr in jeder Hinsicht den Status einer allgemeinen Fachhochschule verliehen. Die Fachhochschulen Ludwigsburg und Kehl in Baden-Württemberg ressortieren schon seit ihrer Gründung beim Wissenschaftsministerium und haben die vom Landeshochschulgesetz vorgesehene Struktur.
Auch in anderen FHöD wurden im Rahmen der vorgegebenen Strukturen deutliche Fortschritte vor allem im Bereich der Studienreform, der Erweiterung der Studienangebote einschl. Master-Studiengänge und der Kooperationen mit dem allgemeinen Hochschulbereich erreicht. Dies hat zu einer Differenzierung innerhalb der Gruppe der FHöD hinsichtlich Rechtsform und Größe, Ressort-Zuordnung, Status der Dozentenschaft, curricularen Öffnungen sowie Einbindung in nationale und internationale Netzwerke geführt. Insbesondere bei den Studiengängen Allgemeine Verwaltung hat die betriebswirtschaftliche Wende im Nachdenken über den öffentlichen Dienst Reformbereitschaft auch in den zuständigen Verwaltungen bewirkt und zu neuen Studienangeboten im Bereich von Verwaltungsbetriebswirtschaft und Public Management geführt.
Im Bereich der Polizeiausbildung hat die Etablierung einer empirischen Polizeiwissenschaft ein wesentliches Standbein in den Fachbereichen bzw. Fachhochschulen für die Polizei gefunden, und die Europäisierung von Kriminalität und Kriminalitätsverfolgung hat zu interessanten Ansätzen einer Öffnung der Polizeiausbildung für internationale Kooperationen (z. B. Auslandspraktika) geführt, die noch vor wenigen Jahren schwer vorstellbar waren.Insgesamt ist festzustellen, dass die FHöD kein monolithischer Block mehr sind, sondern dass zwischen ihnen eine Differenzierung stattgefunden hat, die hinsichtlich der Kriterien "Kompatibilität mit dem allgemeinen Hochschulsektor" durch eine typisierende Einteilung in drei Gruppen beschrieben werden kann:
FHöD,
3. Übergeordnete Trends
a. Im öffentlichen Dienst ist die Zahl der zu besetzenden Beamtenstellen, zumindest im Bereich des Verwaltungsdienstes, aus verschiedenen Gründen rückläufig: Aufgabenwandel, Privatisierung öffentlicher Betriebe, Outsourcing von Dienstleistungen, haushaltsbedingter Stellenrückbau. Dies und andere strategische Wendungen in der Personalpolitik sowie die Tendenz, Anwärterbezüge für Studierende der FHöD in Frage zu stellen, führen dazu, dass Bedarf und Nachfrage für klassische Verwaltungsstudiengänge im Beamtenstatus zurückgehen und z. T. durch allgemein zugängliche Studiengänge ersetzt werden.
b. Zugleich vollzieht sich ein Prozess der partiellen Neuausrichtung von Qualifikations- und Anforderungsprofilen durch die Praxis. Dies erfordert, dass neben den klassischen, auf den Verwaltungs-generalisten zielenden Studiengängen auch solche mit stärkerer Inhalts- bzw. Ressortorientierung eingerichtet werden. Dieser Professionalisierungsschub führt auch zu neuen Anforderungen innerhalb der bestehenden Studiengänge hinsichtlich wissenschaftlicher und fachlicher Methodik. Allgemeinkompetenzen erhalten eine höhere Gewichtung, z. B. im Bereich Kooperation, Kommunikation, Fremdsprachen, lebenslanges Lernen. Unter den zentralen Fachkompetenzen nimmt die Betriebswirtschaft eine zunehmend wichtige Stellung ein.
Dies betrifft öffentliches Handeln unter ökonomischen Gesichtspunkten ("betriebswirtschaftliches Paradigma") und die Optimierung von Entscheidungsstrukturen ("Neues Steuerungsmodell"). Damit einher geht die inhaltliche Reform bestehender Studiengänge und das verstärkte Angebot neuer betriebswirtschaftlich orientierter Studiengänge.
c. Schließlich macht der Bologna-Prozess mit seiner Forderung nach kürzeren und effizienter genutzten Studienzeiten deutlich, dass die entsprechenden Kennwerte (Studiendauer, geringere Dropout- und höhere Erfolgsquote) bereits jetzt schon auch für die Studiengänge an FHöD maßgebend sind. Darüber hinaus bedingen die zentralen Bologna-Forderungen nach neuen Abschlüssen und der Akkreditierung aller Studiengänge grundsätzliche Reformen an den FHöD.
4. Vorbehalte der allgemeinen Fachhochschulen und Forderungen an die FHöD
Die Vorbehalte des allgemeinen Fachhochschulbereichs gegenüber den FHöD beziehen sich darauf, dass diese in ihrer überwiegenden Mehrheit zwar de nomine und angesichts bestehender Gesetze und Anerkennungsbescheide auch de jure Hochschulen sind, dass sie aber de facto teilweise den wesentlichen Kriterien eines materiellen Hochschulbegriffs nicht genügen, wie ihn das Hochschulrahmenrecht vorgibt.
Aufgrund der Namensgleichheit belasten sie daher den allgemeinen Fachhochschulbereich, soweit sie als dessen Teilmenge mit ihm identifiziert werden. Im Prozess der Positionsbestimmung der allgemeinen Fachhochschulen im nationalen und internationalen Hochschulkontext besteht daher die Tendenz, solange Distanz zur Gruppe der FHöD zu wahren, wie diese als Gruppe bzw. in ihrer Mehrzahl die konstitutiven Merkmale von Hochschulen nicht erfüllen.
Das bedeutet, dass die Mitgliedergruppe FH in der HRK eine Aufnahme von FHöD nur im Einzelfall akzeptieren kann, wenn - wie bei der FHVR Berlin - die bisher gültigen aus Artikel 5 Absatz 3 GG ff. abzuleitenden Aufnahmekriterien von der einzelnen Hochschule erfüllt werden:
Die Vorbehalte des allgemeinen Fachhochschulbereichs gegenüber den FHöD beziehen sich ausdrücklich nicht auf die Qualität ihrer Lehre und Forschung, sondern auf die Qualität der Strukturen, in denen diese stattfinden und die ihrerseits Rückwirkungen auf die längerfristige Sicherung der Qualität und die Entwicklung der Angebotsstrukturen zeigen.
5. Chancen einer Kooperation
Eine künftige Integration der oder von FHöD, die die genannten Strukturvoraussetzungen erfüllen, würde für den allgemeinen Fach-hochschulbereich eine Reihe von Vorteilen mit sich bringen, die ein aktives Hinwirken auf dieses Ziel als sinnvoll erscheinen lassen:
a. Eine eindeutige Zuordnung der FHöD zum Fachhochschulbereich würde dessen Gewicht quantitativ stärken und zugleich eine der bestehenden Unschärfen am Rande des Hochschulbereichs im Übergang zu anderen Sektoren des tertiären Bildungsbereichs aufheben.
b. Angesichts bereits jetzt bestehender gemeinsamer Schnittstellen in bisherigen Studienangeboten könnten zusätzliche Synergie- und Effizienzgewinne erreicht werden.
c. Die Aufhebung einer strikten Abgrenzung der Studiengänge und beruflichen Rekrutierungsvorgaben zwischen öffentlichem Dienst (auf der Ebene des gehobenen Dienstes) und allgemeinem Beschäftigungsmarkt könnte zu einer Ausweitung des Fächerspektrums im Bereich der allgemeinen FH und zugleich zu einer wettbewerblichen Ausweitung des Arbeitsmarktes für ihre Absolventen führen. Beispiele sind kooperative Studiengänge wie der Bachelor-Studiengang Public Management/Öffentliche Betriebswirtschaft (FH Nordhausen/FHöV Gotha) oder der Studiengang Public Management der FH Osnabrück.
d. Die erleichterte Kooperation zwischen beiden Hochschulbereichen könnte zu einem gegenseitigen Austausch von Know-how bei gemeinsamen Studienangeboten und Forschungsvorhaben führen.Die Vorteile solcher Kooperationen werden heute bereits von Hochschulen beider Bereiche genutzt. Ungefähr ein Drittel der FHöD haben konkrete Kooperationsprojekte mit allgemeinen Fachhochschulen oder Universitäten im Bereich von Diplom-, Bachelor- und Masterstudiengängen mit thematischen Schwerpunkten wie Public Management, Kulturmanagement, Europäische Verwaltung, Steuer- und Wirtschaftsrecht u.a.. Dabei zeichnet sich zurzeit eine Situation ab, nach der weniger die Anzahl der Kooperations-Projekte hervorsticht als vielmehr das gemeinsame Bemühen der Partner um Qualitätssicherung ihrer Studiengänge einschließlich Akkreditierung.
6. Empfehlungen und Perspektiven