Dr. Sebastian Tillmann von der Universität Konstanz im Gespräch: Der Referent für Diversity in der Wissenschaftskultur über den Wert guter Datengrundlagen und darüber, wie sie sich für das Thema Vielfalt nutzen lassen.
Herr Dr. Tillmann, was wissen Sie eigentlich über die Vielfalt unter Ihren Studierenden?
Bei uns in Konstanz haben Studierenden-befragungen eine lange Tradition und vor zwei Jahren haben wir angefangen, quantitative Daten zum Thema Diversity zu erheben. Deshalb haben wir einen recht guten Überblick – wir haben Fragen aufgenommen etwa zur Ethnie, zur sexuellen Orientierung, zu geschlechtlichen Identitäten. Das wurde bislang an deutschen Universitäten kaum erfasst. Und jetzt können wir sagen, dass unsere Studierendenschaft zu 72 Prozent heterosexuell ist, dass rund 21 Prozent einen Migrationshintergrund haben – und noch viele andere Vielfalts-Kategorien lassen sich daran ablesen.
Teil der Befragungen war auch eine Erhebung des Diversitäts-Klimas. Damit haben Sie doch eigentlich bereits alle Informationen zusammengetragen, oder?
Nein, im Zuge der HRK-Initiative möchten wir tiefer eintauchen. Sie haben natürlich Recht: Wir sehen schon jetzt aus unseren Befragungen, dass zum Beispiel die Studierenden mit Migrationshintergrund oder diejenigen mit unterschiedlichen geschlechtlichen Identitäten mehr Diskriminierungserfahrungen gemacht haben als andere. Aber wir wissen nicht genau, was da eigentlich passiert. Wir wollen qualitativ nachfragen, welche Dinge den Leuten auffallen, wie sie das Thema erleben.
Wie wollen Sie diese Informationen bekommen?
Wir veranstalten fünf Roundtables, bei denen wir in die Tiefe gehen können. Sie finden zu unterschiedlichen Themen statt: zu First Generation Academics, generell zu Studium und Lehre, zu inklusiver Führung und Antidiskriminierung, zu Berufungsverfahren und Stellenbesetzungen sowie zur Willkommenskultur. Wir planen das als Workshop-Format mit rund 20 Teilnehmenden und laden Studierende ebenso ein wie Verwaltungsmitarbeitende, Forschende und Lehrende. Auch Mitglieder des Rektorats sind immer dabei. In diesen Workshops möchten wir zum einen die Probleme der jeweiligen Gruppen identifizieren und in einem zweiten Schritt nach Lösungsmöglichkeiten suchen.
Sind Sie an der Universität Konstanz bei den konkreten Maßnahmen genauso gut aufgestellt wie bei der Datenerhebung?
Wir haben tatsächlich eine sehr gute Infrastruktur: von Unterstützungsangeboten und Weiterbildungsmaßnahmen über Mentoring-Pakete bis hin zu einer Antidiskriminierungsberatung und einem Unconscious-Bias-Tool auf unserer Webseite. Ich erlebe aber immer wieder, dass die Gruppen, für die das gedacht ist, gar nichts davon wissen – manchmal vergleiche ich die Universität mit einer großen Stadt, bei der man auch nicht weiß, dass es am anderen Ende der Stadt noch einen Laden gibt, der für einen relevant ist. Das wollen wir ändern.
Und was soll aus Ihrer Datenerhebung und den Roundtables jetzt konkret entstehen?
Wir fassen das für uns so zusammen, dass wir die inclusive university fördern wollen. Der Begriff „inclusive“ bezieht sich – anders als im Deutschen üblich, deshalb wählen wir die englische Bezeichnung – nicht nur auf Personen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen, sondern wir verstehen ihn als Einbeziehung und Teilhabe Aller. Manche Ideen, die wir bei den Roundtables gewinnen, lassen sich direkt umsetzen. Aber bei anderen braucht es mehr Personal und Ressourcen, so dass sie sich nicht so schnell verwirklichen lassen. Deshalb sollen viele der Vorschläge, die wir während der aktuellen Initiative sammeln und entwickeln, in unser Konstanzer Konzept für die nächste Runde der Exzellenzinitiative einfließen.
Das Interview führte Kilian Kirchgeßner.