Mit einem Mentoring-Projekt für Studierende will die FernUniversität Hagen Vielfalt aktiv gestalten.
Von dem greifbarsten Ergebnis des Pilotprojekts ist Meike Hilgemann immer noch begeistert. Ein paar Semester ist es her, da hatte die FernUniversität ein Peer-Mentoring für Studierende mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen ins Leben gerufen – neue Studierende fanden dort einen Mentor oder eine Mentorin in vergleichbarer Situation, nur eben ein paar Jahre studienerfahrener. „Als das Programm ausgelaufen ist, haben sie sich aus eigener Initiative weiter vernetzt und sind bis heute in Kontakt“, sagt Hilgemann – „wir haben also tatsächlich einen Bedarf getroffen und zum Self-Empowerment beigetragen.“
Nach diesem erfolgreichen Pilotprojekt will die FernUni Hagen das Konzept nun ausweiten. „Diversitätssensibles Peer-Mentoring“ ist der Titel des Programms, das im Rahmen der HRK-Initiative „Vielfalt an deutschen Hochschulen“ gerade entwickelt wird. Studierende in unterschiedlichen Lebenssituationen – Kriterien könnten Elternschaft, Geschlecht, Behinderung, berufliche Qualifikation oder Erstakademiker:innen sein – sollen mit Kommilitoninnen und Kommilitonen in vergleichbarer Lage zusammengebracht werden. „Natürlich findet jetzt auch schon ein Austausch zwischen den Studierenden statt“, sagt Anna Haase, die das neue Programm koordiniert, „aber diese Kontakte ergeben sich eher innerhalb des jeweiligen Studienfachs. Wir möchten jetzt Studierende in ähnlichen Lebenssituationen miteinander in Kontakt bringen, unabhängig von ihrem Fach.“ Das Ziel ist klar umrissen: Sie sollen Tipps und Tricks austauschen, Fragen und Sorgen vertrauensvoll besprechen – mit Leuten, die ähnliche Situationen selbst durchlebt haben, weil sie einen ähnlichen Hintergrund haben.
An der FernUniversität Hagen fällt dieses Konzept auf einen besonders fruchtbaren Boden. „Wir sind nicht nur die größte Universität in Deutschland“, sagt Rektorin Prof. Dr. Ada Pellert mit Blick auf die rund 70.000 Studierenden, „sondern haben auch die vielfältigste Studierendenschaft des Landes.“ Als die Universität vor fast genau 50 Jahren gegründet wurde, war die Vielfalt ihr besonderer Auftrag: Menschen in unterschiedlichsten Lebenslagen sollten hier die Möglichkeit zum Studium bekommen, die sie an klassischen Hochschulen nicht oder nur unter sehr erschwerten Bedingungen wahrnehmen könnten. So ist es bis heute geblieben. Die Studierenden sind „berufs- und lebenserfahren“, wie es Ada Pellert nennt.
Eine wichtige Lektion steht für die FernUni Hagen fest: „Vielfalt muss gestaltet werden!“ Modelle zur flexiblen Zeiteinteilung für berufsbegleitende Studienangebote, verschiedene Blended-Learning-Angebote, individuelle Beratung und eine eigene Uni-App sind deshalb in Hagen selbstverständlich. Der Hintergedanke laut Rektorin Ada Pellert: „Gutes Lernen gelingt dann, wenn es möglichst individuell ist.“
Welche Herausforderung das für die FernUniversität Hagen bedeutet, wird mit Blick auf die Zahlen klar, die in Hagen bei einer Studierendenbefragung gesammelt wurden. 20 Prozent der Studierenden haben eine eigene Familie, zwei Drittel zählen zu den First-Generation-Academics, 18 Prozent haben eine Behinderung oder eine chronische Erkrankung und wählen genau deshalb ein Fernstudium, andere leben fernab von Hochschulstädten und möchten trotzdem studieren, 76 Prozent sind berufstätig und können sich nur abends dem Studium widmen – und sehr viele Studierende fallen in mehrere dieser Kategorien. „Zugleich stehen wir vor der Herausforderung, dass wir eine sehr schlanke Struktur an Mitarbeitenden und Lehrenden haben“, sagt Ada Pellert.
Das geplante Mentoring-Projekt ist deshalb in der speziellen Konstellation der Hagener Universität ein logischer Schritt, bedeutet er doch Hilfe zur Selbsthilfe. Das Team um Meike Hilgemann und Anna Haase bringt auf der Grundlage von ausführlichen Fragebögen Mentor:innen mit ihren Mentees zusammen, alle bekommen eine Schulung zu Beginn des Projekts, passgenaue Workshops und Kontakte zu Ansprechpartner:innen – helfen einander aber weitgehend eigenständig, sei es in Zweierkonstellation oder Kleingruppen. Dass neue Studierende mehr erfahren über die Abläufe an der Hochschule, dass sie Tipps zur Bewältigung des Alltags oder Hinweise auf Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner innerhalb der Hochschule bekommen und so ein Zugehörigkeitsgefühl entsteht. Allein das schon helfe erheblich bei der Studienzufriedenheit und trage letztlich zu besseren Studienergebnissen bei – „denn ein Fernstudium kann durchaus zu einer Vereinzelung führen, und dem wollen wir etwas entgegensetzen“, wie Meike Hilgemann sagt.
Das Projekt des Peer-Mentoring soll zunächst mit wenigen Dutzend Teilnehmer:innen starten. „Erfahrungsgemäß stellen sich diejenigen, die solche Programme einmal als Mentees durchlaufen haben, im Anschluss gern selbst als Mentorinnen und Mentoren zur Verfügung“, sagt Meike Hilgemann. Von Semester zu Semester sollen also jedes Mal mehr Studierende eingebunden werden. Das Angebot lässt sich dadurch mit exponentieller Steigerung ausbauen – „ein Schneeballsystem im besten Sinne!“
Text von Kilian Kirchgeßner