An der Ruhr-Universität Bochum steht Unconscious Bias im Mittelpunkt eines Projekts – und vor allem die Arbeit daran, ihn zu vermeiden.
Die Vorlesung hat es in sich: Zwei Informatik-Forschende sprechen darüber, wie Künstliche Intelligenz mit Bias umgeht – ob die KI also unwillkürlich menschliche Vorurteile in ihre Algorithmen übernimmt, wenn sie mit Texten und Vorlagen trainiert wird, in denen solche Vorurteile vorkommen. Und natürlich geht es auch um die Frage: Wie lässt es sich verhindern? Wie kann die Künstliche Intelligenz womöglich sogar gerechter werden als viele Menschen?
Katharina Zilles ist eine der Initiatorinnen hinter der Vorlesungsreihe an der Ruhr-Universität Bochum. „Unconscious Bias ist ein Trendbegriff geworden“, sagt die Projektleiterin, „uns geht es darum, ihn herunterzubrechen und mit Substanz zu füllen. Wir wollen zeigen, wie wichtig es für sehr viele Fragen ist, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.“ Unconscious Bias bezeichnet die Vorurteile, die alle Menschen in gewissen Situationen an den Tag legen – selbst dann, wenn sie sich für sensibilisiert halten und ihre Ansichten reflektieren. „Ko-Labor Unconscious Bias“ (KLUB) heißt das Projekt in Bochum, das im Rahmen der HRK-Initiative „Vielfalt an deutschen Hochschulen“ gefördert wird – die Vorlesungsreihe ist ein zentraler Baustein. Im Projekt KLUB soll eine ergänzende Perspektive auf Vielfalt eröffnet werden. So soll der Blick auf die Wirkungsweisen von unbewussten Vor- und Fehlurteilen gelenkt werden, die Einfluss auf akademische Laufbahnen haben und zu systematischen Benachteiligungen beitragen.
„Für uns ist es von großer Bedeutung, für die Dynamik von Unconscious Bias zu sensibilisieren“, sagt Isolde Karle, Prorektorin für Diversität, Inklusion und Talententwicklung. „Es geht darum, unseren eigenen Vorannahmen, die wir in der Regel nicht reflektieren, auf die Spur zu kommen und damit Diversität schätzen zu lernen und nicht intuitiv negativ zu bewerten. Schon unsere Studierendenschaft ist sehr divers. Mehr als die Hälfte unserer Studierenden sind First-Generation-Students, auch der Anteil an Studierenden, die deutsch nicht als Muttersprache haben, ist bei uns überdurchschnittlich groß. Das ist eine Herausforderung und zugleich eine große Chance mit Blick auf die Talententwicklung.“ Tatsächlich hat die Sensibilität für Ungleichheiten und ihre Auswirkungen an der Ruhr-Universität eine lange Tradition. Das spiegelt sich auch im Bereich der Personal- und Organisationsentwicklung: „Gleichstellung, Chancengerechtigkeit und Inklusion sind für uns Querschnittsthemen, in die wir als Dezernat unsere Fachkenntnisse und Erfahrungen einbringen. Bias Sensibilität ist für eine professionelle Organisations- und Personalentwicklung unverzichtbar, wenn wir als Organisation im Wettbewerb um Talente erfolgreich sein wollen – in der Personalauswahl, der Führungskräfteentwicklung und im Teambuilding“, so die zuständige Dezernentin, Andrea Kaus. „Wir nutzen die Projektergebnisse auch, um uns selbst weiterzuentwickeln und unsere Angebote rund um Fortbildung, Onboarding, Beratung und Konfliktmanagement Bias-sensibel auszugestalten.“
In ihrem Projekt KLUB wollen die Bochumer:innen ausloten, was Vorurteile sind – und auch, wie sie sich im Kontext der Wissenschaft und in komplexen Machtgefügen auswirken. Neben der Vorlesungsreihe wird es auch Erklärvideos geben, die Handlungsspielräume aufzeigen, um Vorurteilen zu begegnen. Ein weiterer Baustein sind Trainings und Fortbildungen zum Thema Unconscious Bias. Teilnehmen sollen gerade auch Personen, die über eine gewisse Machtfülle verfügen – wer sich etwa mit Berufungsverfahren beschäftigt, gehört zu den Zielgruppen. Und schließlich wird es als weitere Komponente noch ein E-Learning-Tutorial geben, um grundlegendes Wissen zu Unconscious Bias zu vermitteln. „Weil die Personen, an die wir uns richten, üblicherweise einen vollen Terminkalender haben, wählen wir bewusst ein flexibles Format“, erklärt Katharina Zilles. Auf Mitarbeitende aus dem Wissenschaftsmanagement zielt das Programm ebenso wie auf Forschende zu Beginn und in der Mitte ihrer Laufbahn und auf Studierende, die etwa als Gremienmitglieder an der Hochschule engagiert sind. Das Programm ist so konzipiert, dass sich digitale Selbstlern-Einheiten und Präsenzformen ergänzen.
Die Vortragsreihe richtet sich an die breite Öffentlichkeit. Die Vorlesung zur Künstlichen Intelligenz ist dabei nicht die einzige, in dem Professor:innen das Thema des Unconscious Bias aus ihrer konkreten fachlichen Perspektive beleuchten: Ein Hochschulforscher spricht über den „Kulturkampf“ – so der Titel der Veranstaltung – zwischen Mitarbeitenden in Technik und Verwaltung und Forschenden an Hochschulen. Und im Fach Kunstgeschichte wird es einen Blick auf afrikanische Artefakte in Bochumer Museen geben, auf ihre Provenienz sowie die Frage, wie westliche Rezipient:innen sich ihnen nähern.
Text von Kilian Kirchgeßner