Mit einer aufwendigen Vollerhebung werden an der Universität Göttingen wichtige Daten zur Diversität und zum sozialen Klima gesammelt – eine zentrale Grundlage für die weitere Arbeit.
Die offenen Türen hat Dr. Daniela Marx schon eingerannt, bevor die Umfrage überhaupt gestartet ist: „Auf diese Zahlen warten wir schon lange“, hört sie häufig als Reaktion, wenn sie von dem Vorhaben an der Georg-August-Universität Göttingen erzählt, „super, dass es das endlich gibt!“ Und in ihrem Mail-Postfach finden sich Nachrichten von Studierenden, die sich bedanken, dass sie über eine solche Erhebung endlich sichtbarer werden.
Es ist eine der zentralen Maßnahmen, die Daniela Marx, Leiterin des Bereichs Diversität, und ihr Team umsetzen: In einer groß angelegten Erhebung wollen sie das Thema Vielfalt an der Hochschule auf verschiedenen Ebenen adressieren. „Es geht bei den Fragen nicht nur um die Diversität an sich, sondern auch um Diskriminierungserfahrungen, um Erfahrungen mit Machtmissbrauch und generell das soziale Klima an der Universität“, erläutert Marx. 20 bis 30 Minuten dauert die Umfrage, die online stattfindet. Im Hintergrund läuft eine komplexe Filterführung, so dass alle Teilnehmenden nur die Fragen erhalten, die sie betreffen – und umgekehrt ganze Äste des Fragebogens nicht angezeigt werden, wenn jemand beispielsweise keine Diskriminierungserfahrung gemacht hat und deswegen auch nicht genauer dazu Auskunft geben kann. Zur Teilnahme sind alle Studierenden und Promovierenden sowie alle Beschäftigten aufgerufen. „In einer solchen Tiefe und Breite“, sagt Daniela Marx, „gibt es nicht viele andere Erhebungen an deutschen Hochschulen.“
Die Universität Göttingen hat in den vergangenen Jahren einen Weg beschritten, auf dem das Thema Diversität eine große Rolle spielt. Seit 2016 bereits gibt es eine Diversitätsstrategie, im Jahr 2018 wurde der Bereich Diversität als dauerhafter Bestandteil der Stabsstelle Chancengleichheit und Diversität eingerichtet, zusätzlich gibt es auf der dezentralen Ebene zahlreiche Angebote. „Unser Ziel ist es aber, dass das Wissen über Diversität und die Sensibilität für Diskriminierung in allen Arbeitsprozessen und im Alltag überall an der Universität automatisch mitlaufen, von der Lehre bis hin zum Gebäudemanagement“, sagt Daniela Marx. Zum Erreichen dieses Ziels beizutragen und Diversität und Diskriminierungsschutz zur „Normalität“ zu machen, ist eines der wichtigsten Anliegen bei dem Projekt „Universität divers – Diskriminierungsschutz im Fokus“, das derzeit im Rahmen der HRK-Initiative „Vielfalt an deutschen Hochschulen“ stattfindet.
Seit drei Jahren gibt es bereits eine Richtlinie zum Schutz vor sexualisierter Diskriminierung und Gewalt – „aber ein breiterer Ansatz, der auch andere Diskriminierungsdimensionen umfasst, fehlt bei uns“, so Daniela Marx. Um einen solchen Ansatz am tatsächlichen Bedarf auszurichten, sollen durch die Umfrage nun Daten gewonnen werden. Noch in diesem Jahr soll auf Basis des 2023 erarbeiteten Diskriminierungsschutzkonzepts eine Antidiskriminierungs-Richtline entwickelt werden. „Die Ergebnisse der Erhebung werden in alle Verfahren und Prozesse eingespeist“, so Daniela Marx: „Überall werden die Ergebnisse dringend benötigt!“
Damit diese Ergebnisse verlässlich sind, wirbt die Universität um eine möglichst große Teilnahme. Über Social Media, Plakate und Postkarten, in Gremien, in der Studierendenschaft und in den Fakultäten wird die Umfrage beworben. Das Befragungsteam wird dabei vom Präsidium sowie von Personalrat, AStA, Gleichstellungsbeauftragten und zahlreichen weiteren Akteur:innen innerhalb der Universität unterstützt. „Das soziale Klima nehmen schließlich alle wahr, auch diejenigen, die beispielsweise keine Diskriminierungserfahrung haben“, sagt Daniela Marx: „Deshalb ist die breite Teilnahme auch besonders wichtig!“
Eine zweite Säule des Göttinger Projekts ist eine Sensibilisierungs-Kampagne, die nach der Erhebung geplant ist: Sie wird die Ergebnisse präsentieren, um die Relevanz des Themas zu unterstreichen. „Wir arbeiten schon lange und sehr erfolgreich auf der individuellen und strukturellen Ebene“, sagt Daniela Marx. „Was wir aber brauchen, ist ein Kulturwandel.“ Den wollen die Göttinger:innen jetzt durch ihr Projekt beschleunigen.
Text von Kilian Kirchgeßner