Die Biomathematiker von der Hochschule Koblenz wollen ihre Disziplin sichtbarer machen – und in speziellen Workshops Lehrkräfte als Multiplikatoren gewinnen, um angehende Abiturienten für das Fach zu interessieren
Die provokative Frage steht auf der Homepage der Biomathematiker von der Hochschule Koblenz unübersehbar im Mittelpunkt, und damit sie richtig wirkt, folgt auch gleich die Antwort: „Was man mit Biomathematik macht? Die Welt retten!“ Darüber ein Video, in dem – dynamisch geschnitten – junge Leute über komplizierten Formeln brüten. Die Biomathematiker, so heißt es darin, suchten nach Heilmitteln für Krebs und Alzheimer, sie forschten an Wald- und Insektensterben, kurzum: „den Sachen, die die Welt besser machen.“
Die Homepage und das professionell gemachte Video sind zentraler Bestandteil der Projekte im Rahmen der Kleine Fächer-Wochen, bei denen es für die Biomathematiker der Hochschule (die auf dem RheinAhrCampus in Remagen sitzen) vor allem darum geht, guten Nachwuchs zu gewinnen. Das sei das zentrale Problem des Fachs, sagt Maik Kschischo, einer der drei Professoren: „Jeder kann sich etwas unter Biologie vorstellen, unter Mathematik auch – aber was man da nach einem Studium konkret macht und dann auch noch in der Kombination beider Disziplinen, davon haben die meisten Abiturienten keine Vorstellung.“ Die klassischen Bewerber um einen Studienplatz hatten Mathe und Biologie im Leistungskurs und wollen beide Fächer kombinieren. Sie kommen aus dem ganzen Bundesgebiet an den Campus nach Remagen, was für eine Fachhochschule zwar atypisch scheint, aber schlicht damit zu tun, dass es die Biomathematik ansonsten nur noch an der Uni in Greifswald gibt. Und: Zwischen 70 und 80 Prozent der Studierenden sind Frauen – eine ungewöhnlich hohe Quote für einen mathematisch-naturwissenschaftlichen Studiengang.
Die klassische Frage danach, wo man als Biomathematiker nach dem Studium eigentlich unterkommt, beantwortet der neu gedrehte Werbefilm gleich auch. „Alle wollen dich“, heißt es darin: „Pharmazie, Medizin und Biotechnologie, Softwarefirmen, Berater, Start-ups, die Forschung weltweit.“ Diese Botschaft wollte die Hochschule Koblenz weit streuen – dass die Biomathematiker wichtige und spannende Aufgaben haben in der Forschung, und dass sie auf dem Arbeitsmarkt hochgefragt sind.
Als eine Zielgruppe für Offensive, ds Fach bekannter zu machen, wählten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hochschule Gymnasiallehrkräfte aus. „Wer Mathe unterrichtet“, erzählt Maik Kschischo aus seiner Erfahrung, „hat oft ein Bild von Mathematik als rein akademischer Diszplin und weiß gar nicht, wo und wie sie sich in Praxis einsetzen lässt.“ Das war der Ansatzpunkt für einen Lehrkräfte-Workshop, zu dem Teilnehmer aus Schulen in der weiteren Umgebung eingeladen waren. Einen Nachmittag lang erfuhren sie in kleinen Seminaren, was die Biomathematik ist, und Maik Kschischo ließ sie hinter die Kulissen der Disziplin schauen. „Wir haben gemeinsam ein Beispiel aus der Stochastik gerechnet, das typisch ist für die Aufgaben in unserem Fach – es ging darum, wie man aus einem riesigen Datensatz mit statistischen Methoden ein gesuchtes Gen herausfiltern kann. So eine Aufgabe hilft dabei, sich unser Fach konkreter vorstellen zu können.“ Und vor allem: Gemeinsam mit den Lehrern brach Kschischo die komplexe Aufgabe anschließend auf ein Niveau herunter, dass sie sich auch im Oberstufenunterricht einsetzen lässt. Auf diese Weise, so ist die Hoffnung, werden schon Oberstufenschüler an die Biomathematik herangeführt – dank der Multiplikatoren-Funktion der Lehrer.
Eine weitere Veranstaltung hatte die breite Öffentlichkeit als Zielgruppe. Eine Podiumsdiskussion veranstalteten Kschischo und seine Kollegen, in denen es um die „Datenethik in der Medizin“ ging – ein Kernthema der Biomathematiker. „Oft wird nach dem Datenschutz gefragt und danach, welche Patientendaten für unsere Forschung verwendet werden dürfen“, erkärt Maik Kschischo. So wichtig das Thema sei, so sehr hemmten übertriebene Restriktionen die Forschung, sagt er: Wenn es etwa darum gehe, Korrelationen zwischen verschiedenen Krankheiten zu erkennen oder um die Frage, ob sich aus bestimmten Patientenmustern eine Sepsis vorhersagen lässt – dann könne die Biomathematik dazu beitragen, Menschenleben zu retten. „Wir haben bei unserer Diskussion also den Spieß umgedreht und gefragt, ob es ethisch verantwortlich ist, mit diesen Daten NICHT zu arbeiten.“ Auf dem Podium saßen ein Krankenhaus-Vorstandsmitglied, ein Arzt und Start-up-Gründer, ein Datenethiker, eine Biostatistikerin und ein Staatssekretär vom BMBF. Mit der Veranstaltung trafen die Koblenzer einen Nerv: Das Audimax war vollbesetzt – und wer zugehört hat, der weiß künftig mit Sicherheit, wie tragend die Rolle der Biomathematiker ist.
Text von Kilian Kirchgeßner