Die Technikhistoriker vom Karlsruher Institut für Technologie legten während der Kleine Fächer-Wochen den Grundstein für die weitere Erforschung des früheren Kernforschungszentrums. Ein Gespräch mit dem Projektleiter Marcus Popplow über Forschungslücken, neue Erkenntnisse – und über heiße Diskussionen in der Öffentlichkeit.
Herr Popplow, während der Kleine Fächer-Wochen haben Sie ein Projekt zur Technikgeschichte des Kernforschungszentrums Karlsruhe gestartet. Warum gerade dieses Thema?
Das frühere Kernforschungszentrum ist eine Vorläuferinstitution des heutigen Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), da liegt eine engere Beschäftigung also nahe. Es ist außerdem ein hochgradig relevantes Thema, mit dem wir öffentlich zeigen können, was wir als Technikhistoriker am Standort Karlsruhe so machen. Und hinzu kommt, dass die Geschichte des Kernforschungszentrums nicht besonders gut erforscht ist, wir können also dazu beitragen, eine Lücke zu schließen.
Moment: So ein tragendes Thema für den Forschungsstandort Karlsruhe ist nicht gut erforscht?
Es gibt natürlich eine Reihe von Darstellungen der Forschungsgeschichte, und das sind sehr verdienstvolle Arbeiten voller Details. Damit Sie sich das besser vorstellen können: Es gibt allein 700 Regalmeter Akten dazu und 210.000 Fotos. Von diesem Material ist vieles noch nicht aufgearbeitet, auch wenn es eigentlich wunderbar erschlossen ist. Aber vor allem ist unser Ansatz ein anderer als in der Vergangenheit. Damals ging es vor allem darum, welche Forschungsprojekte am Kernforschungszentrum im Laufe der Jahrzehnte bearbeitet worden sind. Auch die öffentlichen Proteste in der Frühzeit der Institution sind gut erforscht. Aber man kann natürlich auch schauen, was diese Institution mit ihren mehreren tausend Mitarbeitern für die Stadt Karlsruhe bedeutet hat. Uns geht es um all das zusammen: also um den sozialen, den politischen, den ökonomischen, auch den kulturellen Kontext. Damit zeigen wir übrigens auch, wie vielseitig unser Fach Technikgeschichte ist.
Sie haben sich dieser Frage mit einem Projektseminar genähert, das dann in einer zweitägigen öffentlichen Konferenz mündete. Wie war die Resonanz?
Damit sind wir sehr zufrieden; an einem der Tage waren sogar 230 Zuhörer dabei –Studierende ebenso wie Teilnehmer aus der breiten Öffentlichkeit. Wir haben bewusst Referenten eingeladen, die möglichst viele Aspekte des Themas abdecken; von Führungspersönlichkeiten aus dem früheren Kernforschungszentrum über eine Bundestagsabgeordnete bis hin zu Kolleginnen und Kollegen, die den Stand der Kernenergie-Geschichtsschreibung im internationalen Rahmen dargestellt haben.
Sie selbst sind ja gut im Thema drin – gab es dennoch etwas, was Sie überrascht hat?
Für mich hat sich vieles bestätigt, was ich mir erhofft hatte. Es wurde deutlich, wie unterschiedlich die Perspektiven auf eine Institution sind, die ja auch für eine kontrovers diskutierte Technologie steht. Die weiteren Fragen liegen aber ebenfalls klar auf der Hand: Was machen wir eigentlich mit den ganzen Aktenbergen, in die noch niemand so richtig reingeschaut hat? Was können die Proteste gegen das Kernforschungszentrum, die es auch gegeben hat in die Geschichtsschreibung der Institution selbst aufgenommen werden? Oder auch die Frage, wie die Entwicklungslinien von der Kernforschung beispielsweise hin zur Klimaforschung am heutigen Campus Nord des KIT laufen, in der wir heute eine Spitzenposition in internationalen Rankings einnehmen.
Sie selbst haben Geschichte studiert – wie kamen Sie eigentlich in das Kleine Fach der Technikgeschichte?
Das war eine Aneinanderreihung von Zufällen, wie so häufig: Ich habe mein erstes Praktikum während des Grundstudiums in einem neu gegründeten Museum zur Technikgeschichte absolviert, und ich fand diese Interaktion zwischen Technik und Gesellschaft ungemein spannend. Und dann gab es an der Uni Bremen, wo ich mein Hauptstudium absolviert habe, zwei Professoren, die sich mit der Technikgeschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit beschäftigen – und so hat mich dieses Thema nicht mehr losgelassen.
Muss man nicht eigentlich auch Ingenieur sein, um die Fragestellungen richtig zu durchdringen?
Das wäre wünschenswert, aber es ist nicht realistisch. Wir haben nur ganz wenige Kollegen, die eine Ausbildung auf beiden Feldern haben. Das A und O ist es, immer neugierig zu sein und bereit zu sein, sich das technische Fachwissen für sein jeweiliges Thema zu erarbeiten. Insofern ist das Fach von sich aus schon sehr stark interdisziplinär orientiert, und ich persönlich finde es das Spannende, immer wieder die beiden Welten der Historiker und der Techniker zusammenzubringen.
Kommen denn Ihre Studierenden gezielt nach Karlsruhe, um sich auf die Technikgeschichte zu spezialisieren?
Wir haben keinen eigenen technikgeschichtlichen Studiengang, nein. Aber wer bei uns Geschichte studiert, lernt drei Säulen kennen – ganz klassisch die politische Geschichte, dann die Ideengeschichte und schließlich die Kulturgeschichte der Technik. Und wenn die Studierenden dann schauen, was das Leben der Menschen in den vergangenen Jahrhunderten beeinflusst hat, dann stellen sie fest: Natürlich ist es die Politik – aber es sind eben auch die technischen Entwicklungen, die die Gesellschaften überall auf der Welt geprägt haben. Insofern fällt es nicht schwer, Studierende für die Kulturgeschichte der Technik zu begeistern.
Das Interview führte Kilian Kirchgeßner.
Zur Person:
Marcus Popplow ist Professor für Geschichte der technisch-wissenschaftlichen Zivilisation und Studiendekan in der Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Zu seinen Schwerpunkten gehören die Technikgeschichte der europäischen Vormoderne und Moderne, die Wissensgeschichte der Technik sowie die Popularisierung technikhistorischer Forschung.