In Halle stellen die Sprechwissenschaftler ein Programm auf die Beine, durch das ihre Disziplin ein halbes Jahr lang in der Stadt allgegenwärtig ist. Mit dabei: viel Begeisterung für die Sache – und jede Menge hochkarätiger Gäste.
Womit sie sich in den vergangenen Monaten beschäftigt hat, braucht man Susanne Voigt-Zimmermann nicht zu fragen. „Das ganze Jahr über laufen die Vorbereitungen hier schon auf Hochtouren, damit wir das alles schaffen“, ruft sie, während sie schon fast wieder auf dem Weg zum nächsten Termin ist. Voigt-Zimmermann ist Professorin für Sprechwissenschaft in Halle, und zusammen mit ihren Kollegen und Kolleginnen und einer Heerschaar engagierter Studierender und Kooperationspartnern aus Wissenschaft, Politik und Forschung hat sie für die Kleine-Fächer-Wochen ein Programm zusammengestellt, das in der ganzen Stadt für Aufsehen sorgt. Allein schon in der Auftaktwoche waren eine amtierende Ministerin dabei, ein früherer Ministerpräsident und weitere prominente Gäste – und vor allem jede Menge Bürgerinnen und Bürger aus Halle, die sich neugierig informierten.
„Unsere sprechwissenschaftlichen Inhalte sind etwas, wovon die ganze Gesellschaft profitieren kann“, sagt Susanne Voigt-Zimmermann. Das ist das Credo ihres Fachbereichs, der seiner Natur nach nicht nur nach innen gerichtet ist, auf die Fachcommunity, sondern vor allem auch nach außen. „Die Sprechwissenschaft untergliedert sich in fünf Säulen“, erläutert sie und zählt auf: „Rhetorik, Phonetik, Sprechkunst, Klinische Sprechwissenschaft und Sprecherziehung.“ Es ist ein gewaltiges Spektrum, das sich hinter diesen Schlagworten verbirgt, es reicht von der Therapie bei Sprachstörungen über die Ausbildung von Sängern, Schauspielern und Deutsch-als-Zweitsprache-Lernenden bis hin zum Rhetoriktraining. In einer Auftaktwoche zeigten die Hallenser die ganze Bandbreite auf.
Einer der Höhepunkte war die Podiumsdiskussion unter dem Motto „Im Gespräch bleiben – Wie wir heute über konflikthafte Themen in Politik und Gesellschaft sprechen“, veranstaltet in Zusammenarbeit mit der Leopoldina. Auf dem Podium saßen unter anderem Christoph Bergner, der frühere Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, der Landespolitiker Sebastian Striegel von den Grünen sowie zwei Politologie-Professoren. „Wir alle sprechen miteinander, jeden Tag mit unterschiedlichsten Personen über unterschiedlichste Themen“, umreißt Susanne Voigt-Zimmermann das Thema: „Das Miteinander-Sprechen ist das zentrale Mittel, um sich über grundlegende Fragen des Zusammenlebens in der Gesellschaft zu verständigen, und das durchaus kontrovers.“ Wie sich das Sprechen im Laufe der zurückliegenden Jahre verändert hat, wie Positionen unversöhnlicher geworden sind – darüber berichtete Christoph Bergner aus eigener Erfahrung. Und der Grünen-Politiker Sebastian Striegel erzählte über seinen Umgang mit Drohungen, die unverhohlen gegen ihn und Politiker-Kollegen ausgesprochen werden. „Es war eine unwahrscheinlich spannende Debatte“, erinnert sich Susanne Voigt-Zimmermann, die selbst auch mit auf dem Podium saß – eine Debatte, die im Anschluss noch weiterging: Im Foyer stellten sich die Politiker und Wissenschaftler an Stehtischen dem Gespräch mit den Besuchern. „Immer wieder ging es dabei um die Frage, wie sich jeder einzelne einbringen kann, wie man sich engagieren kann“, sagt Voigt-Zimmermann – und schon sei man mittendrin gewesen in einer sprechwissenschaftlichen Debatte, denn letztlich gehe es in der Disziplin um das „Sprechen über das Sprechen“. Menschen zum bewussten und verantwortlichen Sprechen zu befähigen, beginnt schon im Kindesalter und in der Schule, ein Thema, das bei den Veranstaltungen „Kinder argumentieren“ und „Feedback-Kultur in der Schule“ aufgegriffen wird. Es setzt sich fort in den Sozialen Medien. „Deshalb muss auch über die Visionen und Grenzen der neuen digitalen Kommunikationswelt (4.0) gesprochen werden“, so die Veranstalter.
Eine der anderen sprechwissenschaftlichen Säulen steht bei der Ausstellung „Was Sprachtherapie kann“ im Mittelpunkt. Konzipiert vom Bundesverband für akademische Sprachtherapie und Logopädie, gibt sie einen Einblick in die Geschichten von Menschen mit Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen. Bei der Vernissage, zu der die sachsen-anhaltinische Sozialministerin Petra Grimm-Benne Grußworte überbrachte, berichtete ein Betroffener, der nach einem Schlaganfall das Sprechen neu erlernen musste, von seinen Erfahrungen mit der Sprachtherapie.
Einen wiederum anderen Aspekt rückt die Tagung „Ausspracheideale auf der Bühne in Geschichte und Gegenwart“ in den Fokus. Die Sprechwissenschaftler arbeiten mit dem Star-Dirigenten Kent Nagano zusammen, der in seinem Projekt „Wagner-Lesarten“ eine Aufführung des „Ring des Nibelungen“ plant, bei der sich die Sängerinnen und Sänger an der Aussprache des Deutschen zu Wagners Zeiten und nach seinen Vorstellungen orientieren sollen.
Geplant sind über die nächsten Monate noch jede Menge anderer Veranstaltungen, von einem Workshop zum chorischen Sprechen bis hin zu einer Vorlesekarawane, bei der Studierende an wichtigen Orten der Stadt Station machen und aus Büchern vorlesen – in der Kinderklinik, in der Seniorentagesstätte, aber auch in der Straßenbahn und auf dem Weihnachtsmarkt werden sie auftreten. „Die Studierenden waren in der Vorbereitung ungemein aktiv“, bilanziert Susanne Voigt-Zimmermann, die sich darüber freut, dass die Begeisterung im Rahmen der Kleine Fächer-Wochen übergesprungen ist: „Das ganze Programm etwa der Vorlesekarawane haben sie selbst erarbeitet, von den inhaltlichen Aspekten bis hin zur Koordination mit den beteiligten Einrichtungen.“
Text von Kilian Kirchgeßner.